Justitia

Steiermark: Prozess um Zwangssterilisierung

Eine lernbehinderte Frau aus der Steiermark wurde vor 13 Jahren ohne ihr Wissen sterilisiert. Ihr Anwalt, Marc Oliver Stenitzer, vergleicht die Vorgangsweise der Beteiligten mit NS-Methoden.

Der Vorfall hat für viel Gesprächsstoff gesorgt und nun sind auch zwei Gerichtsverfahren anhängig. Die Vorgeschichte ist schnell erzählt. Eine heute 33-jährige lernbehinderte Frau wurde 1992 ohne ihr Wissen sterilisiert. Die Frau hat erst im Vorjahr von dem schwerwiegenden Eingriff erfahren, als sie sich an die Kinderwunsch-Ambulanz des Landeskrankenhaus Graz gewandt hat, weil sie nicht schwanger wurde, berichtet die Kleine Zeitung.

Der gemeinsam mit einer Abtreibung durchgeführte Eingriff war von ihrer Mutter veranlasst worden, nachdem sie schwanger geworden war. Ihr Vater habe sie wiederholt vergewaltigt – gibt die Frau an – und im Zuge einer Abtreibung wurde sie ohne ihr Wissen sterilisiert. Damals war die Frau 20 Jahre alt.

Die Eltern (!) hätten das gemeinsam mit einem Arzt beschlossen „weil sie angeblich an Oligophrenie (Intelligenzdefekten) leide und zu viele sexuelle Kontakte gehabt hätte“, so der Anwalt des Opfers. Auf der Einverständniserklärung sollen sich nur die Unterschriften der Eltern befinden.

„Der Eingriff wurde unter Umständen vorgenommen, die in grauenhafter Weise an die im Dritten Reich begangenen Zwangssterilisationen an geistig behinderten Menschen erinnert“, hält der Anwalt des Opfers in der Kleinen Zeitung fest.

„Sterilisation aus geistiger Indikation“

Die behandelnden Ärzte hatten von einer „geistigen Indikation“ an der damals volljährigen Patientin gesprochen, berichtet Stenitzer und kritisiert, dass hier „eigenmächtige Heilbehandlung mit einer dabei verwirklichten Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen“ vorliege.

Der Anwalt zieht in der Tageszeitung einen Vergleich mit NS-Methoden: „Es wird auch Schlimmes wieder in Erinnerung gerufen, wenn man sich im Fall meiner Mandantin die Krankheitsbezeichnung anschaut; da steht: Sterilisation aus geistiger Indikation.“

Geklagt werden neben dem Gynäkologen, der an einem südsteirischen Krankenhaus den Eingriff durchgeführt hat, auch die Krankenanstalten (Kages) sowie Vater und Mutter der Frau.

„Über den Einzelfall hinaus von hohem allgemeinen Interesse“

Wolfgang Herzog aus der Rechtsabteilung der Kages meinte gegenüber dem Standard, sollten die Vorwürfe haltbar sein, sei man gesprächsbereit, doch „dieser Arzt arbeitet nicht mehr für uns und kann sich an den Fall überhaupt nicht erinnern“.

Das macht doch stutzig. Ist dieses Vorgehen denn so alltäglich, dass der Arzt sich daran nicht mehr erinnern kann? „Die Rechtssache ist weit über den Einzelfall hinaus von hohem allgemeinem Interesse“, argumentiert der Anwalt, denn es „ist zu befürchten, dass auch heute noch derart vorgegangen wird und Verstöße gegen die Verpflichtung der Bestellung eines Sachwalters und der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung geschehen“.

Prozess vertagt. Landesgericht für Strafsachen ermittelt

Der Prozess am Grazer Zivilgericht wurde nach der Verhandlung am 4. November 2005 vertagt und wird erst im nächsten Jahr fortgesetzt. Der Streitwert beträgt 31.000 Euro und damit sollen u.a. die Kosten für eine künstliche Befruchtung eingeklagt werden.

Am Landesgericht für Strafsachen wird nun auch wegen Vergewaltigung ermittelt.

Zwangssterilisierungen in Österreich in der NS-Zeit

„Die erste verbrecherische Maßnahme, die die Nationalsozialisten nach ihrer Machtergreifung auf dem Gebiet der ?Erb- und Rassenpflege? durchführten, war die zwangsweise, das heißt staatlich angeordnete Sterilisierung (Unfruchtbarmachung) von ?Erbkranken? durch das ?Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses? vom 14. Juni 1933“, schrieb vor einigen Jahren Prof. Wolfgang Neugebauer, ehemaliger Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, in der BIZEPS-Broschüre „wertes unwertes Leben“.

In Österreich war die Zahl der Zwangssterilisierungen aus verschiedenen Gründen, vor allem wegen der gleichzeitig vor sich gehenden „Euthanasie“, weitaus geringer. „Genaue Angaben über die Anzahl der Zwangssterilisierungen in Österreich von 1940-1945 lassen sich freilich infolge der ungünstigen Quellenlage nicht machen; vielmehr können nur Teilangaben bzw. Hochrechnungen und Schätzungen daraus vorgenommen werden, wobei sich eine Bandbreite von 5.000 bis 10.000 Fällen errechnen lässt“, erläuterte Neugebauer in seinem Beitrag.

Österreichs Umgang mit diesem Thema

Viele Jahrzehnte blieb diese Geisteshaltung in den Köpfen der österreichischen Mediziner und die diesbezüglichen Gesetze ermöglichten – mit der Zustimmung der Eltern – eine Sterilisation ohne Einwilligung der betroffenen Menschen.

Im Sommer 1997 wird diese Regelung intensiv diskutiert. In- und ausländische Medien berichten umfangreich über die Praxis in Österreich. Der Bericht über die Lage der Menschenrechte in Österreich 1997 (erstellt vom U.S. Department of State) hält fest, dass in Österreich Zwangssterilisationen an behinderten Menschen durchgeführt werden.

Im Jahr 1998 wird erstmals ausgiebig – und begleitet von internationale Protesten – in Österreich über diese Regelungen in einer parlamentarischen Enquete zu diesem Thema informiert und diskutiert.

Im darauf folgenden Jahr gibt es immer wieder Vorstöße, diese schändliche Regelung zu ändern. Beispielsweise: „Guggenberger: Zwangssterilisation immer noch gesetzlich erlaubt“ sowie „Endlich Ende der ?Zwangssterilisation??„.

Aber erst im Herbst 2000 wird eine diesbezügliche Änderung im Rahmen des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz dem Ministerrat vorgelegt und anschließend im Nationalrat beschlossen.

Erst im Jahr 2005 folgt der nächste Schritt. Im Rahmen des Anerkennungsgesetzes wird – 60 Jahre nach Kriegsende (!) – geregelt, dass „Zwangssterilisierte als NS-Opfer anerkannt werden„.

Dieses Thema ist hochaktuell und es ist eine gute Fügung, dass es gerade heuer, im Gedankenjahr, wieder in Erinnerung gerufen wird. Österreich muss sich auch diesem Teil der Vergangenheit und Gegenwart stellen.

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