Sterbehilfe: Juristische Stimmen klar gegen ein Verfassungsverbot

Am 19. Mai 2014 fand in einem Rechtspanorama am Juridicum eine Podiumsdiskussion zum Thema "Sterbehilfe: Zu viel oder zu wenig verboten?" statt. Eine Zusammenfassung der Standpunkte, über einen ungebetenen Zwischenruf und ein bitteres Ende.

Monitor zeigt Herzschlag
BIZEPS

Die an der Podiumsdiskussion teilnehmenden Experten und Expertinnen diskutierten über ein Thema, das im Herbst 2014 auch die österreichische Bundesregierung intensiv beschäftigen wird.

Wird es zu der Verankerung eines Verbotes der Sterbehilfe in der Verfassung kommen? Oder setzen sich Stimmen durch, die Möglichkeiten der aktiven Sterbehilfe bzw. des assistierten Suizids fordern? Wie kann gewährleistet sein, dass die letzte Phase menschlichen Lebens selbstbestimmt, schmerzfrei und würdig ablaufen kann?

Zur Veranstaltung lud die Tageszeitung „Die Presse“ und die Wiener Rechtswissenschaftliche Fakultät. Der Hörsaal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Vom Studierenden über den praktizierenden Arzt bis hin zu zahlreichen „Dignitas“-Unterstützern und mehr. Den Bericht der „Presse“ können Sie hier nachlesen.

Derzeit sehr gute, differenzierte Gesetzgebung

Kurt Schmoller, Professor für Strafrecht an der Universität Salzburg stellte die derzeitige Gesetzeslage in Österreich dar und zeigte sich davon auch grundsätzlich überzeugt. Einerseits gibt es klare strafrechtliche Bestimmungen: § 77 StGB Tötung auf Verlangen sowie § 78 StGB Mitwirkung am Selbstmord. Andererseits ist es für jeden möglich, medizinische Behandlungen (§ 110 StGB Eigenmächtige Heilbehandlung) und damit auch eine etwaige Lebensverlängerung abzulehnen.

Schmoller verweist auf die problematischen Gesetzesentwicklungen in Belgien, den Niederlanden und Luxenburg hin. Einer Aufnahme des Verbots der Sterbehilfe in die österreichische Verfassung kann Schmoller dennoch wenig abgewinnen. Wenn, wäre eine Verankerung des kostenlosen Zuganges zur schmerzmindernden Behandlung zu überlegen. In der Diskussion räumt auch Schmoller ein, dass in bestimmten strafrechtlichen Fällen Milderungsgründe vermehrt Berücksichtigung finden sollten.

„Tabulose Diskussion“ und „Hände weg von der Verfassung“

So in aller Kürze das Statement von Christian Kopetzki, Professor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien und Leiter der Abteilung für Medizinrecht. Überhaupt kam seine teils schmissige Rhetorik bei dem überwiegend jungen Publikum gut an: „… die Verfassung ist keine Sondermülldeponie für weltanschauliche Duftmarken“. Oder: „dass die Frage, ob Sterbehilfe erlaubt sein soll, jeder Generation überlassen sein sollte“.

Es bedarf der Diskussion und einer neuen Terminologie

Dr. Christiane Druml, Juristin und Vorsitzende der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt, sprach sich gegen die Verwendung des unklaren Begriffs „Sterbehilfe“ aus und verwies vielmehr auf eine Empfehlung der Bioethikkommission vom 27. Juni 2011: über die „Terminologie medizinischer Entscheidungen am Lebensende“.

Kurz zusammengefasst: Es gehe vielmehr um „Sterbebegleitung“, „Therapie am Lebensende“ und „Sterben zulassen“. Für eine Verfassungsänderung sehe sie keinen Bedarf, gefragt seien ein grundsätzlicher Bewusstseinswandel und Diskussionen. Druml verwies auf den Umstand, dass die MedUNI Wien sogar über eine eigene Professur für Palliativmedizin verfügt. Schließlich sprach sich auch sie in der Diskussion für ein Überdenken strafrechtlicher Bestimmungen aus.

Ausbau von Palliativbetreuung. Neuer Umgang mit Tod und Sterben.

Dafür plädierte Prim. Dr. Athe Grafinger, Leiterin der Abteilung für Innere Medizin mit palliativer Geriatrie im Haus der Barmherzigkeit. Sehr viele Patienten und Patientinnen ändern angesichts schwerer Erkrankung mit absehbarem Lebensende ihre Meinung. Sie möchten leben bis zuletzt. Gebrechlichkeit als Teil des Lebens. Sterben als Teil des Lebens.

In vielen Gesprächen mit schwerkranken Menschen habe sie gelernt: Der Satz „Ich möchte nicht mehr leben.“ bedeutet meist vielmehr „Ich möchte so nicht mehr leben.“ Die Palliativmedizin verfüge über viele Möglichkeiten für eine umfassende Betreuung bis zum Lebensende und kenne auch legale „Notausgänge“. Weiters besteht die Möglichkeit der Patientenverfügung und der Vorsorgevollmacht. Sie sehe keine Notwendigkeit der aktiven Sterbehilfe. Die österreichischen Gesetze reichten aus. Auch sie sprach sich für ein Überdenken der Strafandrohung aus. Die Finanzierung einer flächendeckenden Palliativbetreuung könne durch Umschichtungen erreicht werden (z.B. keine unnötige Diagnostik und Therapie am Lebensende).

Einmal mehr „Dignitas“

Ludwig A. Minelli, Generalsekretär des Schweizer Vereins „Dignitas“, setzte sich in diesem Rahmen geschickt in Szene. Bei seinen – für Kenner hinlänglich bekannten Erklärungen – stand er als einziger Teilnehmer der Podiumsdiskussion einfach auf – und hatte somit die volle Aufmerksamkeit der Studierenden. Auch seine Aussagen wie „keine Angst vor der Freiheit“ kamen bei den überwiegend jungen Zuhörern gut an. Bei „Dignitas“ dürfe man über Suizid unbefangen sprechen. Wer sich für einen Suizid entscheide, der solle nicht das Risiko des Scheiterns mit all den negativen Konsequenzen tragen müssen. Bei „Dignitas“ könne ein Suizid begleitet, praktisch und effizient stattfinden. Gestärkt sieht Minelli sein Verständnis von einem „würdevollen Sterben“ im Art. 8 EMRK.

In seinem Schluss-Statement versicherte Minelli noch einmal, dass „Dignitas“ und Palliativmedizin einander nicht ausschließen müssen. Doch bei der Palliativmedizin gebe es eben Grenzen. Wie bei einem seiner Fälle: Ein junger Mann, 25 Jahre alt, schwerst an Multipler Sklerose erkrankt, der in einer Institution lebte, wo ihm eine selbstbestimmte Mobilität in seinem E-Rollstuhl nicht mehr möglich war … … Das war – mir – zuviel. Als zuhörender MS-Betroffener im Rollstuhl konnte ich zwar nicht aufstehen, um L.A. Minelli Paroli zu bieten, aber meine laute Stimme und mein schlagfertiger Kommentar verkürzten Minellis menschenverachtende Aussage wenigstens.

Drei ausgewählte Statements aus dem Publikum

Lotte Ingrisch: Ihr Statement war eindeutig. Jede/r solle sich für einen Eintrag auf der e-card entscheiden müssen. „Ich möchte (oder möchte nicht) ein lebenslanger Pflegefall sein.“

Interessant bis erschreckend ein Statement von einem praktischen Arzt (lt. seiner Aussage) mit seinen Erfahrungen bei Totenbeschauungen und möglichen Graubereichen. Zumindest hatte er bei folgendem Hinweis recht: Die Zahl von Obduktionen wird aus budgetären Gründen immer kleiner.

Eine junge Medizinstudentin: Sie gab den völlig richtigen Hinweis, dass 70 – 80 % der Menschen, die Suizidgedanken haben, von einer Depression, also von einer Erkrankung, betroffen sind. Leider wurde am Podium nicht wirklich darauf eingegangen.

Das Beste kommt zum Schluss

Nach dem sich die Veranstaltung und die obligatorische Schlacht des „gemeinen Fußvolkes“ am kalten Buffet langsam auflöste und sich schließlich nur noch sehr wenige Zuhörer in der Aula vor dem Hörsaal befanden, fiel mein vergeblich nach einem letzten Brötchen suchender Blick auf eine große metallene Gedenktafel, deren Schrift ich aufgrund der schlechten Lichtverhältnisse nur mühsam entziffern konnte:

IN ERINNERUNG AN DIE UNRECHTSHERRSCHAFT DES NATIONALSOZIALISMUS ALLEN JENEN, DIE FÜR RECHT UND GERECHTIGKEIT KÄMPFEN UND SICH DEM MISSBRAUCH DES RECHTS ZUR UNTERDRÜCKUNG UND VERNICHTUNG DES MENSCHEN WIDERSETZEN. MÄRZ 1988.

Mein scheinbarer Hunger wich einer weiteren bitter aufstoßenden Überlegung: Ob den vielen jungen Studierenden angesichts des Trubels diese Gedenktafel überhaupt aufgefallen ist? Und wenn, haben sie dann kurz inne gehalten und dieselbe Assoziation bzw. ähnliche Gedanken wie ich gehabt?

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