"Hier habe ich erst leben gelernt - die Freude am Leben!" Wie kann ein Mensch das sagen, der weiß, daß seine Erkrankung in ein Endstadium gekommen ist?
Ein Hospiz ist ein Ort, an dem die Freude am Leben bewußt werden kann; ein Ort, an dem Schmerz, Leid, Abschiednehmen, aber auch Friede, Ruhe und Freude an kleinen Dingen, zugegen sind. Es stellen sich viele Fragen für alle Betroffenen und wir versuchen, sie mit ihnen zu beantworten.
Die ärztliche Hospizarbeit baut auf der Hoffnungslosigkeit des chronisch Kranken auf und dem Unvermögen der modernen medizinisch-therapeutischen Möglichkeiten, dem Fortschreiten der Erkrankung Einhalt zu gebieten.
Jeder Hospizpatient hat eine Fülle von diagnostischen und therapeutischen (meist massiv invasiven) Maßnahmen hinter sich. Der körperliche und psychische Allgemeinzustand ist deutlich reduziert, Leid, Ohnmacht, Hoffnungslosigkeit, Angst und oft das Gefühl, minderwertig zu sein, herrschen vor – daß der Arzt genau hier noch ein breites Tätigkeitsfeld hat, ist für viele Außenstehende vielleicht nicht nachvollziehbar.
Das Wesen der Hospizidee ist es, sowohl dem Kranken als auch seiner pflegenden Umgebung und seinen Angehörigen die Furcht vor unvorbereiteten und nicht zu bewältigenden Problemen zu erleichtern, sie gemeinsam zu tragen und auch Lösungen zu finden auf der Basis von Menschlichkeit und fachlicher Kompetenz.
Unsere Arbeit als Ärztinnen und Ärzte im Hospiz hat als Grundmotiv die Würde und Freiheit des Einzelnen zu wahren und zu achten mit dem Ziel, unser erlerntes medizinisches Fachwissen nach dem neuesten wissenschaftlichen Stand zur maximal möglichen Sicherung der Lebensqualität anzuwenden.
Wir arbeiten im Team, das heißt, wir sind mit dem Kranken, der Pflegenden, den Angehörigen, dem Seelsorger und ehrenamtlichen Mitarbeitern in ständiger Kommunikation und Austausch. Die Akzeptanz einer Therapie oder Behandlung hängt letztlich von der Beziehung aller Teammitglieder untereinander und zum Kranken ab.
Die Rolle des Arztes kann hier also nicht mehr eine persönlich unbeteiligte sein. Tritt ein Arzt von einem Akutspital in den Hospizdienst, ist großes Umdenken in der therapeutischen Führung des Patienten unumgänglich.
Studium und Ausbildung lehren, Heilung vor Augen zu haben. Im Hospiz wird die Ohnmacht des Behandelnden transparent. Das Wissen um den Krankheitsverlauf und dessen Ausgang ist belastend; oft stehen Entscheidungen an, keinen chirurgischen oder onkologischen Eingriff zu machen. Diese Situationen erfordern von uns kritische und genaue Kenntnis der möglichen und vermeidbaren Folgen.
Der Wunsch des Patienten ist für uns ganz wichtig, und deshalb liegt ein Teil unserer Tätigkeit im Arzt-Patientengespräch. Meist unter Einbeziehung der Angehörigen werden alle Möglichkeiten erwogen, den „richtigen“, gewünschten und würdigen Weg zur Bewältigung aller Probleme zu finden.
Auch die Schmerztherapie hat einen großen Stellenwert in unserem Tätigkeitsfeld. Die individuelle Schmerzmedikation erfordert gewissenhafte Aufklärung sowie die Mitarbeit des Kranken und seiner Umgebung, denn nur so kann die Eigenständigkeit und Mündigkeit gewahrt bleiben.
Es ist hochqualifiziertes Wissen um die Erkrankung und den augenblicklichen Zustand des Patienten nötig. Da das pflegende Personal den größten Teil seiner Zeit mit dem Kranken verbringt, ist die Beobachtung der Schwestern und Pfleger ein wichtiger Teil in der Patientenbetreuung. Das Hauptgewicht der Hospizarbeit liegt in deren Händen.
Jeder Patient erhält ausreichend Zeit für die Pflege des Körpers. Als Kontrast zum Akutspital wird dabei kein zeitlicher Rhythmus eingehalten – Schwester und Patient entscheiden gemeinsam, wie der Tag eingeteilt wird.
Wer für den Kranken die Person des größten Vertrauens ist – eine Schwester/Pfleger, ein ehrenamtlicher Mitarbeiter, ein Arzt oder der Seelsorger, ergibt sich in den ersten Tagen, in vielen Gesprächen oder einfach spontan. In den Gesprächen mit den Patienten werden wir oft sehr stark in den persönlichen Weg und das Leben des Kranken einbezogen.
Oft bespricht sich das Team oder arbeitet in der laufenden Supervision die oft sehr intensiven Erlebnisse mit dem Patienten auf. Die Supervision bietet auch die Möglichkeit der Trauerarbeit – unsere persönliche Betroffenheit, unsere Tränen und das Miterleben macht auch Ärzte zu Menschen, die noch etwas zu geben haben, wenn die Medizin mit ihrer Weisheit am Ende ist.
Unsere Arbeit in der Palliativmedizin ist sicherlich ein Randbereich der Medizin und ein Tabubereich. Fast täglich treffen wir auf Grenzsituationen, die sowohl rechtliche, ethische, religiöse oder einfach rein persönliche Fragen aufwerfen. Altwerden, Sterben, Ausgegrenztsein durch Behinderung und Veränderung der Körperfunktionen oder Persönlichkeit geben in den Augen der Öffentlichkeit unserer Gesellschaft kein sehr attraktives Bild ab. All dieses Unbequeme erinnert an unsere Endlichkeit und die Tendenz, Unbekanntes, Unbequemes oder Fremdes abzuschieben.
Jede Lebensphase gibt Anlaß zur Diskussion. Aktuell überdenkt die Bevölkerung den Versuch, eine Euthanasiediskussion über die Situation der chronisch-sterbenskranken Menschen zu entfachen. Jeder Arzt, der das Glück hat, in einem Hospiz zu arbeiten, der sich der menschlichen Freiheit sehr stark bewußt wird und erlebt, wie leicht diese in emotionalen Grenzsituationen eingeengt sein kann, steht einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe nur ablehnend gegenüber.
Niemals in den vielen Tagen und Nächten unserer Tätigkeit hat einer unserer Patienten ehrlich und bestimmt den Tod durch die selbstgewollte Gabe eines wirksamen Medikaments gewünscht. Viele haben den Tod als den einzigen weiteren Schritt erwartet, um ihm zu begegnen. Einige haben diesen Schritt bewußt ganz alleine tun wollen und auch getan, oft in einer Entschlossenheit und in Frieden – sie haben uns alle betroffen gemacht und bereichert, wir haben vieles gelernt.