Während etwa in Schweden über die Höhe der Entschädigung für die Opfer diskutiert wird, werden in Österreich die Fakten noch immer verniedlicht oder gar in Abrede gestellt.
Wenn es noch eines weiteren Beweises für die Notwendigkeit eines Kampfes um unsere Menschenrechte und für ein umfassendes Anti-Diskriminierungsgesetz mit Sanktionen bedurft hätte, dann hat die jüngste Diskussion rund um die Zwangssterilisierungen an geistig behinderten Mädchen und Frauen den endgültigen Beweis dafür erbracht.
Während etwa in Schweden über die Höhe der Entschädigung für die Opfer diskutiert wird, werden in Österreich die Fakten noch immer verniedlicht oder gar in Abrede gestellt.
Es werde „ein Klima von Verunsicherung und Angst unter Betroffenen, Eltern und MitarbeiterInnen in Institutionen der Behindertenhilfe geschaffen“, behauptet Rektor Gäbler vom Evangelischen Diakoniewerk in Gallneukirchen (OÖ) in einem Offenen Brief. Und in einer Aussendung von Wiens Stadtrat Rieder (SPÖ) berichtet dieser von Einschätzungen führender Wiener Psychiater (Gabriel und Rudas), denen „in den von den beiden überschauten Bereichen keine konkreten Hinweise auf Zwangssterilisierungen“ bekannt geworden sind (beide sind seit vielen Jahren in diesen Bereichen tätig).
Unbestreitbare Tatsache ist jedoch, daß in Österreich die Zwangssterilisation „nach wie vor gängige Praxis“ ist, wie Doz. Ernst Berger vom Wiener Neurologischen Krankenhaus am Rosenhügel feststellt, der eine Studie zu diesem Thema verfaßt hat. Ob nun 70 oder 50 % oder nur eine einzige behinderte Frau davon betroffen ist oder rund 27 % aller für eine Studie der Frauenministerin aus dem Jahr 1996 über „Sexuelle Ausbeutung von Mädchen und Frauen mit Behinderung“ befragten Frauen, ist im Grunde nicht so wichtig. Diese Diskussion lenkt nur von der Ungeheuerlichkeit des Geschehens ab.
Geregelt ist die Sterilisation bei uns im Strafgesetzbuch. Dort heißt es im § 90 Abs. 2: „Die von einem Arzt an einer Person mit deren Einwilligung vorgenommene Sterilisation ist nicht rechtswidrig, wenn entweder die Person bereits das 25. Lebensjahr vollendet hat, oder der Eingriff aus anderen Gründen nicht gegen die guten Sitten verstößt“. Eine Sterilisation ist also unabhängig vom Alter gegen einen wie immer geäusserten Willen der Betroffenen ausnahmslos unzulässig. Auch dann, wenn geistig behinderte Menschen SachwalterInnen haben, haben sie das Recht, über die Sterilisation selbst zu entscheiden. Entscheidend sind das Wohl und die Interessen der Betroffenen.
Darüber hinausgehende erbbiologische, ökonomische, familiäre, moralische oder gesellschaftspolitische Gesichtspunkte sind dabei nicht maßgeblich. Die Sterilisation Minderjähriger bedarf in Österreich derzeit überhaupt nur der Zustimmung der Eltern. Denen wird aber sehr oft nahegelegt, den Eingriff durchführen zu lassen, denn dann bräuchten sie keine Angst mehr zu haben, daß „später etwas passiert“. Gängige Praxis in Österreich sei es, daß „geistig behinderte und psychisch kranke Menschen (…) ohne Aufklärung, ohne Zustimmung durch den/die SachwalterIn und ohne Genehmigung durch das Gericht zwangssterilisiert (werden)“, so Peter Schlaffer, Geschäftsführer des Vereins für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft in Wien.
Von Fachleuten wird eine Neuregelung der Gesetzeslage gefordert, die zumindest vorsieht, daß bei Minderjährigen die Zustimmung der Eltern allein nicht ausreichend ist und bei Erwachsenen der Eingriff nur dann erlaubt ist, wenn sie in der Lage sind, den Eingriff und seine Tragweite zu verstehen und ihm ausdrücklich zustimmen. Von den Grünen wurde im Parlament ein Antrag eingebracht, der den Minister auffordert, eine Arbeitsgruppe einzurichten, zu der auch VertreterInnen der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung eingeladen werden.
Die Ankündigung des Justitzminister Michalek, bis zum Frühjahr einen Entwurf eine Neuregelung der gesetzlichen Bestimmungen vorlegen zu wollen, ist zwar ein grundsätzlich positives Signal, aber reichlich späte Reaktion: Bereits 1991 (!) hat sein Vorgänger in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Grünen, die Prüfung einer eigenen gesetzlichen Regelung angekündigt.
„Wenn behinderte Menschen ohne ihre Zustimmung sterilisiert werden können, so ist dies diskriminierend.“ Petition für ein Gleichstellungsgesetz, April 1995