Studie: Menschen mit Behinderung in Wien

Mehrfach angekündigt und nun doch noch teilweise veröffentlicht. In der Reihe "Wiener Sozialpolitische Schriften" erschien sie als Band 7 "Menschen mit Behinderung in Wien". Ein Kommentar.

Symbolbild Zahlen unter Beobachtung
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Gemäß dem Spruch „Was lange währt, wird endlich gut.“ freute ich mich schon auf die Ergebnisse der lange angekündigten – aber immer wieder verschobenen Grundlagenstudie der L&R Sozialforschung im Auftrag der Magistratsabteilung 24, Gesundheits- und Sozialplanung.

Das Ergebnis ist allerdings dürftig – wie hier nachzulesen.

Fragen und Antworten

Die Studie umfasst rund 100 Seiten, von der es auch eine Kurzfassung in Leichter Lesen gibt. Wir erfuhren schriftlich, dass bewusst nur eine gekürzte Fassung online gestellt wurde.

„Im Rahmen dieser Studie wurde für das Bundesland Wien anhand der Zusammenführung von Leistungs-, Förder- und Registerdaten eine Einschätzung zur Zahl der Menschen mit Behinderung getroffen“, ist zu lesen. Man ist sich bewusst, dass es nur ein „Versuch der Annäherung an die Gesamtgröße der real betroffenen Menschen“ sein kann.

Weiters fällt auf, dass die Zahlen der Menschen mit Behinderungen (gemäß der – wie oben beschrieben – erhobenen Daten) im untersuchten Zeitraum (2006 bis 2011) von 67.900 auf 73.800 gestiegen sind.

Also gibt es nun mehr behinderte Menschen? Dem wird in der Studie gleich entgegnet. „Vielmehr sprechen einige Befunde dafür, dass es sich primär um Effekte einer angebotsindizierten Ausweitung auf den errechneten Bestand der Personen handelt. Weiters ist nicht auszuschließen, dass in manchen Fördersystemen die datenbezogene Erfassung in den letzten Jahren verbessert werden konnte.“

Die zugegeben schwierige Aufgabe dürfte insoweit angegangen worden sein, dass, wer Leistungen bezieht auch in die Zielgruppe fällt. Der Umkehrschluss ist aber genau das Problem. Wenn Personen Leistungen bekommen (entweder weil es erstmals Leistungen dafür überhaupt gab, oder sie Zugang erhielten) steigt die Zahl. Anderseits sinken die Zahlen, wenn Systeme so verändert werden, dass der Anspruch wegfällt. (Der Sozialminister sorgt mit seiner Verschärfung des Pflegegeldes ab 2015 in dieser Logik derzeit für weniger behinderte Menschen. Die Daten zeigen dies auch im Bezug auf die letzte Pflegegeldverschärfungen aus dem Jahr 2011.)

So kommen auch Zahlen wie diese heraus: „Zwischen 39% und 40% der Personen sind Frauen, fast zwei Drittel Männer.“ Auch dies ist ein klares Indiz, dass die Zahlen mehr auf Inanspruchnahme von Leistungen als auf Vorliegen einer Behinderung basieren (statistisch gibt es nämlich mehr Frauen als Männer).

Was kaum berücksichtigt wurde

Die Studie führt auch aus, dass das Kriterium „jung“ und „alt“ nur bedingt berücksichtigt wurde. „So findet sich beispielsweise unter den 11 verwendeten Datenquellen nicht der Bereich der Schulen und Kindergärten. Dieser Altersbereich konnte somit nur gestreift werden – etwa durch Daten zur erhöhten Familienbeihilfe“, heißt es einerseits. Andererseits war der Fokus ausschließlich auf Menschen mit Behinderung im Alter unter 60 Jahre (Frauen) bzw. 65 Jahre (Männer) in Wien gerichtet.

Daraus folgt: „Insgesamt beläuft sich den hier vorliegenden Daten zufolge der Anteil an Menschen mit Behinderung an der Bevölkerung auf 5,4%. Bei Männern fällt der Anteilswert mit 6,4% höher aus als bei Frauen mit 4,4%. Beachtenswert ist auch, dass Kinder und Jugendliche (Alter bis 18 Jahre) sowohl bei Frauen als auch bei Männern deutlich höhere Anteilswerte aufweisen als Personen im mittleren Lebensalter.“

Zum Vergleich: In der Regel geht man von einem 3 mal so hohen Wert aus.

Veränderungen und Vergleichbarkeit

Da die Daten doch schon recht alt sind (2006 bis 2011), wird sich zeigen, ob in Zukunft daraus wirklich viel herausgelesen werden kann. Besonders die Anknüpfung an Leistungen, die es teilweise so gar nicht mehr gibt (Landespflegegeldgesetz) bzw. größere Änderungen beim Behindertenpass (wegen Parkausweisen) könnte der gewünschten Vergleichbarkeit sehr in die Quere kommen.

Art der Behinderung

Eine Zielsetzung der Studie war, den Grad der Behinderung zu erheben, was laut Studie schwierig war: „Besonders, was die Art der Behinderung betrifft, ist somit trotz eines erheblichen Aufwands zur Datenaufbereitung der 11 Datenquellen zu fragen, in wieweit die Ergebnisse für die Beschreibung der Lage von Menschen mit Behinderung in Wien verwertbar sind, können hier für das Jahr 2011 doch bei rund 67% der Personen keine Angaben gemacht werden.“

Überhaupt fällt positiv auf, dass der Studie häufig sehr selbstkritische Worte zu Erhebungen entnehmbar sind. (Beispiel: „Deutlich sichtbar ist hier das unterschiedliche Ausmaß der Behinderung je nach Datenquelle.“)

Welche Faktoren treffen aufeinander?

Ausführlich wird der Frage nachgegangen, welche Leistungen kombiniert auftreten. (Beispiel: „Rund 77% der NutzerInnen von Freizeitfahrtendiensten beziehen Bundespflegegeld, rund 62% dieser Gruppe haben einen Behindertenpass, rund 39% nehmen andere Behindertenleistungen des FSW in Anspruch.“)

Auffallend auch, wie stark die Bundesleistungen im Vergleich zu den Landesleistungen in Anspruch genommen werden. („So erhalten im Jahr 2011 rund 34% aller Menschen mit Behinderung Bundesleistungen aus dieser Systemgruppe, rund 13% Landesleistungen.)

Schlussfolgerung der Studie: „Zusammenfassend kann auch diese Studie nur einen kleinen Teil der vielen offenen und ungelösten Fragestellungen zum Themenbereich Menschen mit Behinderung beantworten. Durch die Zusammenführung der Datenbestände (freilich unter strengster Wahrung datenschutzrechtlicher Richtlinien) konnten einige bis dato noch unbekannte Einsichten gewonnen werden.“

Von außen betrachtet, drängt sich die Frage auf, ob sich die Durchführung dieser Studie überhaupt gelohnt hat. Aufgrund der aufgezeigten Schwächen und der formulierten Selbstkritik wird die Studie wohl nicht dazu taugen, wesentliche Erkenntnisse in politisches Handeln im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen.

Interessant wäre allerdings, beim Thema Datenschutz bei den an der Studie beteiligten Stellen bzw. Verantwortlichen nachzufragen. Denn dass es sich bei diesen persönlichen (Gesundheits-)Daten um sehr sensible Informationen handelt, ist eindeutig. Dies gilt auch für die Zukunft, wo es eine klare Grenzziehung geben muss zwischen hilfreichen Statistiken und einem weiteren Schritt zum „gläsernen Menschen“.

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