Taubstummes Weib kann Gehörlosensprache

Die vorsichtige Wahl der Worte: eine politisch korrekte Hysterie oder ein legitimes Anliegen?

Gebärde für Diskriminierung
Österreichischer Gehörlosenbund

Der Österreichische Gehörlosenbund (ÖGLB) ersucht darum, daß als Bezeichnung für seine Mitglieder ‚gehörlos‘ und nicht ‚taubstumm‘ oder ‚hörgeschädigt‘ verwendet wird. Auch möchte der ÖGLB, daß die Sprache der österreichischen Gehörlosengemeinschaft richtig mit ÖGS oder Österreichischer Gebärdensprache bezeichnet wird.

Oftmals werden Benennungen für Menschen nicht selbst gewählt, sondern von Mehrheits-Mitgliedern geprägt.

Besonders, wenn die benannten Menschen von Mehrheits-Bildern abweichen, drückt sich oftmals im Namen allein das wahrgenommene ‚Defizit‘, also das zumeist negativ bewertete Anderssein, aus. In der Folge sind viele Begriffe für Minderheiten-Angehörige negativ, entmachtend, passiv.

Der alte Begriff ‚taubstumm‘ drückte das aus: taub, dachte man aus hörender (bzw. audistischer) Perspektive, bedeute auch stumm.

Aber weit gefehlt: taube Menschen haben ja Sprachen, in denen sie überhaupt nicht stumm, sondern sehr wortgewandt sind: die Gebärdensprachen.

Nicht stumm, sondern gebärdend
Man legte also, ‚taubstumm‘ ab, und ging zu ‚taub‘ über – im englischsprachigen Raum von ‚deaf and dumb‘ zu ‚deaf‘. Aber bei ‚deaf‘ war noch kein Halt, denn der Wunsch und die Notwendigkeit entstanden, das körperliche Merkmal des Nicht-hörens getrennt zu sehen von der Gehörlosen-Kultur.

In der englischsprachigen (Fach-)literatur wird daher das großgeschriebene ‚Deaf‘ verwendet, wenn es nicht um den Hörstatus sondern um Identität, Sprach- und Kulturzugehörigkeit geht.

Das bedeutet: Es gibt hörende Menschen mit einer halben Deaf-Identität und es gibt auch Menschen, die nicht hören können, also deaf sind, aber ohne Kontakt zur Gebärdensprachgemeinschaft leben, keine Deaf-Identität haben!

Im deutschsprachigen Raum bildete sich als Parallelbegriff zu ‚Deaf‘ ‚gehörlos‘ heraus. Seltsamerweise beinhaltet genau dieses Wort wieder ein Defizit, etwas, was nicht da ist, was man nicht hat – aber trotzdem: jetzt, in dieser Phase der Gehörlosengeschichte, ist es der selbstgewählte, der selbst verwendete Begriff. Es kann sein, daß die Gemeinschaft irgendwann, vielleicht durch eine neue Generation, ein neues Wort für sich selbst findet (in Deutschland zum Beispiel sagen einige Leute lieber ‚taub‘ zu sich selbst).

Aber momentan ist in Österreich ‚gehörlos‘ der gewünschte Begriff. Die Gruppe ist die ‚Gehörlosengemeinschaft‘ oder die ‚österreichische Gebärdensprachgemeinschaft‘, zu der z.B. ich als hörende aber gebärdende Person absolut dazugehöre.

Nicht geschädigt
Auch die Bezeichnung ‚hörgeschädigt‘ wird heute als nicht angemessen empfunden: sie beinhaltet einerseits ein ganz klares Bild von etwas kaputtem, geschädigtem – was von der Gehörlosengemeinschaft abgelehnt wird.

Andererseits wird der Begriff noch immer oftmals da verwendet, wo gehörlose und schwerhörige Menschen in einen Topf geworfen werden. Meist geschieht dies durch hörende Menschen – für die die beiden Gruppen einfach beide ’schlecht hören‘. Viel unterscheidet jedoch die Bedürfnisse, die Lebensweisen und die Anliegen der beiden Gruppen – unter anderem eine Sprache!

Besonders in der sogenannten ‚Hörgeschädigtenpädagogik‘ wurde durch diesen Überbegriff ein wichtiger Unterschied zwischen gehörlosen und schwerhörigen Kindern einfach aufgehoben, nämlich, daß für die einen ein ungesteuerter Erwerb einer Lautsprache einfach unmöglich ist.

Dadurch konnte zum Beispiel das spezielle Bedürfnis gehörloser Kinder, eine Gebärdensprache zu lernen und dann eine Lautsprache gezielt als Zweitsprache vermittelt zu bekommen, einfach negiert werden.

Viele Sprachen, kein Esperanto
Ein weiteres Anliegen des ÖGLB betrifft die Bezeichnung der eigenen Sprache. Es wird immer mehr über ‚Gebärdensprache‘ geschrieben und berichtet. Dieses Wort – viel besser als die im Titel genannte ‚Gehörlosensprache‘ – transportiert eines der ganz großen Mißverständnisse über Gebärdensprachen. Es ist ein Singular. Es tut so, als gäbe es nur eine Gebärdensprache auf der Welt – und das ist falsch.

‚Gebärdensprache‘ ist der Überbegriff für eine ganze Sprachfamilie: es gibt zahlreiche nationale Varianten, die sich voneinander unterscheiden, und auch regionale Varianten, die – so wie gesprochene Dialekte – Unterschiede aufweisen.

Möglicherweise gibt es genauso viele Gebärdensprachen wie gesprochene Sprachen … also fast 6000. Die ein bißchen idealistisch-träumerische Vorstellung, daß es eine Sprache gibt, mit der man sich auf der ganzen Welt verständigen kann, ist eine alte, die mit Kunstsprachen wie z.B. Esperanto zu erfüllen versucht wurde.

Es ist jedoch bezeichnend, daß hörende Menschen diesen Wunsch auf eine Sprachfamilie umlegen, die ihnen wenig bekannt ist, von der man annehmen kann, sie sei irgendwie eigentlich Pantomime und daher global verständlich und einsetzbar.

Fast ein bißchen enttäuscht müssen hörende Menschen oftmals zur Kenntnis nehmen, daß es viele eigenständige, oftmals grundverschiedene Gebärdensprachen gibt.

Um diese Tatsache auch sprachlich zu repräsentieren, sollten die Namen der Gebärdensprachen verwendet werden: ‚ÖGS‘ , ‚ASL‘, ‚BSL‘, ‚ISL‘ (Österr. Gebärdensprache, American Sign Language, British Sign Language, Irish Sign Language) usw. oder – wenn man den Namen nicht weiß – ‚die nationale Gebärdensprache‘.

Keine Rezepte
Zurückkommend auf die Frage der Selbstbezeichnung für Minderheiten: es gibt zahlreiche Beispiele, wo Minderheitsangehörige ursprünglich als Beschimpfung gemeinte Bezeichnungen selbst aufgreifen und umdrehen, zu Kampfbegriffen machen, sie sozusagen zurückerobern. (Wichtig ist vielleicht auch die Bemerkung, daß es sich bei ‚Minderheit‘ nicht um zahlenmäßig wenige, sondern an gesellschaftlichem Status und Einfluß wenig mächtige Gruppen handelt.)

Beispiele für diese vielsagenden Zurückeroberungen von negativ konnotierten Bezeichnungen gibt es viele:

Organisationen wie ‚Kanack-Attack‘ in Deutschland und ‚TschuschInnen-Power‘ in Österreich, der Einsatz des Wortes ‚Nigger‘ in englischsprachigen Rap-Texten, die Inanspruchnahme von ‚queer‘ durch die Lesben- und Schwulenbewegung, die ‚Cyberweiber‘, die das erste österreichische Frauen-online-Magazin betreiben.

Das für viele Menschen Schwierige daran: wenn die Begriffe als Selbstbezeichnung zurückerobert wurden, darf ich sie trotzdem nicht einfach wieder verwenden.

‚Nigger‘ bleibt rassistisch, wenn ich es als weiße Österreicherin verwende, ‚Weib‘ bleibt unangenehm, wenn ich von einem Mann so betitelt werde und ‚Tschusch‘ wird noch immer von vielen als Schimpfwort verwendet. Einfach ist diese Sache also nicht, Rezepte gibt es leider keine.

Aktives Eingreifen in Sprache und Sprachgebrauch ist uns allen möglich – sei es, indem wir andere auf etwas aufmerksam machen und um bestimmte Begriffe streiten oder aber indem wir einfach unseren eigenen Sprachgebrauch der sich ändernden Außenwelt und den sich ergebenden Bedürfnissen anpassen.

Dazu gehören – finde ich – Sensibilität und genügend Respekt, um in erster Linie jene Wünsche ernst zu nehmen, die die betroffenen Menschen selbst verbalisieren.

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