Teil 13: Mit Beteiligung behinderter Menschen

Mosaiksteine über das Zusammenleben von nichtbehinderten und behinderten Menschen.

Skulptur mit Uhren
BIlderBox.com

Anfang März habe ich mir einen Tag Urlaub genommen. Nein, nicht für einen spannenden Ausflug oder einen gemütlichen Vormittag mit Damenbesuch oder für andere schöne Dinge. Sondern für eine Sitzung zum Thema barrierefreie Gaststätten.
Die Sitzung lag mitten am Vormittag, sodass ich ihr entweder fern bleiben oder von der Arbeit frei nehmen musste.

Im letzten November hatte eine engagierte SchülerInnengruppe GastwirtInnen darauf angesprochen, was sie behinderten Gästen vermitteln, wenn die GastwirtInnen nicht für Barrierefreiheit sorgen: „Behinderte Gäste sind hier nicht willkommen.“

Erst als die Presse die Geschichte aufgriff, reagierten die GastwirtInnen. Anfang März sollte jetzt endlich besprochen werden, was in der Zwischenzeit erledigt worden war und welche weiteren Schritte anstünden.

Gaststätten als Aushängeschild

Die Gaststätten, an einem touristischen Aushängeschild unserer Stadt gelegen, waren mit öffentlichen Geldern gefördert worden. Deshalb saßen neben den üblichen Verdächtigen auch VertreterInnen von Behörden und anderen öffentlichen Stellen mit am Tisch.

Als am Ende der – sogar für mich noch erschreckend unerfreulichen – Sitzung nach neuen Terminen gesucht wurde, habe ich darum gebeten, den nächsten Termin so zu legen, dass ich mir nicht wieder von der Arbeit frei nehmen müsste, um daran teilnehmen zu können. Mit mäßigem Erfolg. Auch wenn ich eine sehr komfortable Gleitzeitregelung nutzen kann: Um 14 Uhr kann ich nicht in der Innenstadt sein. Aber eine noch spätere Uhrzeit wäre selbstverständlich nicht möglich, erfuhr ich.

Die Behördenvertreterin, die im Rahmen ihrer Tätigkeit ganz offiziell zur Zuständigen für Barrierefreiheit an besagter Kneipenmeile ernannt wurde, arbeite nur bis 15 Uhr. Außerdem habe sie zwei Kinder. Hm, wahrscheinlich haben behinderte Menschen keine ebenso wichtigen Verpflichtungen wie sie.

Termin in der bezahlten Arbeitszeit

Von den anwesenden drei RollstuhlfahrerInnen und einer blinden Person waren drei berufstätig. Und nicht gerade mit kleiner Stundenzahl. Andere Interessen, Verpflichtungen und Belastungen haben wir auch zuhauf.

Nur einer von uns konnte den Termin in seiner bezahlten Arbeitszeit wahrnehmen. Wir andern haben unbezahlt unsere Zeit, Kraft und unsere Nerven investiert, um mit den verschiedensten nichtbehinderten VertreterInnen über Dinge zu diskutieren, die eigentlich längst selbstverständlich sein sollten. Zwei von uns hatten Urlaub bzw. sich mit Sonderregelungen von der Arbeit frei nehmen müssen.

Während des Treffens wurde mehrfach erwähnt, wie wichtig und grundlegend die Beteiligung behinderter Menschen bei Fragen der Barrierefreiheit ist.

Wenn man unsere Arbeitszeit jedoch im Vergleich zur Zeit der nichtbehinderten Behördenvertreterin in die Waagschale legt, waren ihre Bedürfnisse offensichtlich wesentlich wichtiger als unsere und ihre Zeit um ein Vielfaches mehr wert als meine Zeit.

Es war selbstverständlich, dass sie ihre Arbeitszeit nicht ausnahmsweise um nur 1-2 Stunden verschieben kann. Dass zwei der vier anwesenden VertreterInnen der behinderten Menschen ihre Erwerbsarbeit wesentlich stärker verschieben mussten als sie, damit ein gemeinsamer Termin zustande kam, war ebenfalls selbstverständlich und nicht der Rede wert. Ein Termin, der gar nicht nötig gewesen wäre, wenn die anderen Seiten vorher ordentlich und mit Respekt vor den Rechten behinderter Menschen „ihren Job erledigt“ hätten.

Natürlich glaube ich, dass die Betreuung von Kindern eine wichtige Aufgabe ist. Aber die Tätigkeiten von Nichtbehinderten sind nicht die einzigen wichtigen Aufgaben.

Gleichberechtigt sind wir noch lange nicht

Wenn der Vater der Kinder sich bei seiner Erwerbsarbeit ab 15 Uhr oder für den ganzen Tag frei genommen hätte, um für seine Kinder da zu sein, weil seine Frau ausnahmsweise einem wichtigen Termin nachgehen muss, der leider länger dauert – dann wäre das genau so viel Entgegenkommen gewesen, wie ich für den Termin Anfang März geliefert habe. Diese Variante kam natürlich nicht in Frage. Gleichberechtigt sind wir noch lange nicht.

Ich hätte mich auch damit zufrieden gegeben, wenn als Kompromiss die Behördenvertreterin für 1,5 Stunden einen Babysitter engagiert hätte und ich meinen Arbeitsplatz 3 Stunden eher verlassen hätte, als gewöhnlich. Das wäre im Rahmen meiner Gleitzeit nämlich möglich gewesen. Aber zu dieser Kompromiss-Suche ist es gar nicht gekommen. Es ist ohne große Diskussion bei dem 14 Uhr-Termin geblieben.

Immer dieselben Gespräche

All dies Aufrechnen würde ich hier nicht anbringen, wenn es nicht oft genau so liefe: Behinderte Menschen investieren immer wieder viel Zeit und Kraft in immer dieselben Gespräche mit nichtbehinderten, um sie von Diskriminierung und Ausgrenzung abzubringen und ihnen Grundlagenwissen zu erklären.

Oft wird uns sogar vermittelt, es wäre ein Entgegenkommen der nichtbehinderten Menschen, an diesen Gesprächen mit uns teilzunehmen. Von uns wird eine gemäßigte Dankbarkeit und Anerkennung ihres „Entgegenkommens“ erwartet. Dabei nutzen sie kostenlos unsere Beratungs- und Aufklärungsarbeit. Die Diskriminierungen und Ausgrenzungen, wegen denen es zu den Gesprächen kommt, liegen in der Regel in ihrem Verantwortungsbereich.

Gespräche mit nichtbehinderten Menschen, die von sich aus uns behinderte Fachleute ansprechen, um Barrieren abzubauen und die respektvoll mit unserer kostenlosen Unterstützungsarbeit umgehen, sind für mich etwas anderes.

Sind Barrieren und Ausgrenzung normal?

Manche Menschen vertreten die Ansicht, Barrieren und Ausgrenzung wären normal. Deshalb denken sie, behinderte Menschen müssten dankbar dafür sein, wenn aus Entgegenkommen „extra für sie“ ein Teil der Barrieren entfernt würde. „Man hilft ja gern.“

Ich sehe das anders. Barrierefreiheit und Teilhabe sind ein Menschenrecht. Sie werden uns u. a. in der UN-Menschenrechtskonvention zugesichert, die in Österreich und Deutschland gültiges Recht ist. Die Verantwortung, für Barrierefreiheit und den Abbau von Diskriminierung zu sorgen, tragen nicht die behinderten Menschen selbst!

Beratungsarbeiten müssten bezahlt werden

Die Verantwortung haben einerseits diejenigen, durch deren Verhalten oder durch deren Passivität es zu menschenrechtswidrigen Ausgrenzungen kommt, andererseits die Gesellschaft insgesamt und der Staat. Normalerweise müssten behinderte Menschen für ihre Beratungsarbeit bezahlt werden. Nicht nur die nichtbehinderten, die nur selten unbezahlt oder ohne den Druck der Öffentlichkeit an diesen Gesprächen teilnehmen.

Nein, ich rechne nicht damit, dass die Rechte, die uns nach der UN-Konvention zustehen, sofort und komplett umgesetzt werden. Aber ich erwarte, dass die anderen Seiten ihre Verantwortung übernehmen und sie nicht allein uns behinderten Menschen in die Schuhe schieben. Und dass bei „Beteiligung von behinderten Menschen“ respektvoll mit uns umgegangen wird.

Dazu gehört, dass die Zeit und Arbeit von behinderten Fachleuten genauso Wert geschätzt wird, wie die von nichtbehinderten.

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