Teil 2: Abhängigkeiten in Beziehungen

Mosaiksteine über das Zusammenleben von nichtbehinderten und behinderten Menschen.

Frau schiebt Mann im Rollstuhl
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Niemand kann alles. Es ist völlig normal, andere Menschen zu brauchen. Ob als Bäcker, Handwerkerinnen, Freunde oder Verwandte. In längeren Liebesbeziehungen unterstützt man sich gegenseitig, vielleicht teilt man sogar Aufgabenbereiche auf. Z.B. kümmert sich die Frau um Reparaturen und ums Auto, der Mann versorgt ältere Angehörige, beim Kochen und Spülen wird abgewechselt. Oder der eine Mann geht Geld verdienen, sein Partner kümmert sich um die Kinder. Oder in noch anderen Variationen.

Unterschiedliche Aufgabenaufteilungen

Wenn ein/e PartnerIn behindert ist, gibt es sehr unterschiedliche Aufgabenaufteilungen. Es muss nicht so sein, dass die/der behinderte PartnerIn mehr Unterstützung braucht oder unselbstständiger ist. Manchmal ist es auch umgekehrt.

Ich finde, es ist in jedem Fall eine Herausforderung, wie man mit unterschiedlichen Möglichkeiten und Einschränkungen in einer Beziehung umgeht. Und mit dem äußeren Bild, dass selbstverständlich die/der behinderte PartnerIn mehr von der/dem nichtbehinderten PartnerIn braucht, als umgekehrt. Mein eigener Umgang mit Hilfe in Beziehungen hat sich in meinen 15 „behinderten“ Lebensjahren stark verändert.

Es war eine katastrophale Zeit

Im dritten Semester meines Studiums bin ich bedrohlich krank geworden und war über ein Jahr weitgehend bettlägerig. Es war eine katastrophale Zeit. Obwohl ich eigentlich schon wusste, dass ich lieber Frauen mag, hatte ich damals noch eine letzte Männerbeziehung, die über 2 Jahre bestand.

Mein Freund hat unheimlich viel für mich getan, sich um mich gekümmert, den Haushalt gemacht, mich durchgebracht. Er hat sich für mich aufgeopfert.

Ich habe seine Unterstützung dringend gebraucht. Ich hatte keine Familie, auf die ich zurückgreifen konnte. Freunde und Freundinnen haben sich schnell zurückgezogen, weil sie überfordert waren und die Freundschaften sich vorher noch nicht jahrelang hatten festigen können. Oder weil viele Kontakte sowieso nur funktionieren, solange man seine Wohnung verlassen und wohin gehen kann.

Weil ich abhängig war …

Neben der Dankbarkeit gegenüber meinem ehemaligen Lebensgefährten, glaube ich, dass ich eine Funktion für ihn hatte. Das ist die andere Seite der Medaille. Er konnte sich für mich aufopfern und wenn er sein Leben nicht hinkriegte, waren ich und meine Krankheit dafür verantwortlich. Nicht er selbst. Ich verdanke ihm viel – aber es gab auch schreckliche Seiten in der Beziehung, die ich jetzt nicht näher beschreiben werde.

Weil ich von seiner Hilfe abhängig war, konnte ich ihn nicht verlassen. Er hat nicht viel dafür getan, meine Abhängigkeit zu verringern, im Gegenteil. Seit dieser Zeit ist mir sehr wichtig, nie mehr von jemand abhängig zu sein. Die Hilfen, die ich wegen meiner Behinderung brauche, möchte ich von meinen bezahlten Assistentinnen bekommen.

Angst verlassen zu werden

Ich glaube, es gibt ein paar Menschen, die Beziehungen zu kranken oder behinderten Menschen suchen, weil es ihnen etwas gibt, wenn ihr Gegenüber von ihnen abhängig ist. Sie können sich stark und fähig fühlen, wenn ihr/e PartnerIn etwas nicht so gut kann und sie braucht. Sie haben vielleicht weniger Angst, verlassen zu werden.

Es gibt einen guten Grund, auf den man Schwierigkeiten im Leben schieben kann. Außerdem sind sie die „guten Menschen“, die mit „so jemand“ zusammen leben. Ihre schwierigen Seiten werden weniger gesehen.

Es gibt natürlich auch viele, die eine Liebesbeziehung mit einem behinderten Menschen einfach deshalb anfangen, weil es ganz normal ist. Weil sie genau diesen Menschen bezaubernd und wunderbar finden und nicht auf die Idee kommen, eine Liebesbeziehung zu unterlassen, bloß weil wir behindert sind.

Aber es gibt auch andere Gründe

Aber ich glaube, es gibt auch ein paar, die andere Gründe haben, für die unsere Einschränkung eine bestimmte Funktion hat. Es kann sein, sie fühlen sich minderwertig, haben größere Probleme, denken vielleicht, sie könnten sich niemand zumuten oder niemand würde sie wollen – und meinen dann, jemand Behindertem gegenüber würden sie sich nicht so schwach oder unterlegen fühlen.

Wenn jemand ein schlechtes Selbstwertgefühl oder andere psychische Probleme hat, kann das trotzdem eine ganz wundervolle Person sein. Das muss kein schlechtes Zeichen sein. Aber wenn wir mit unserer Behinderung instrumentalisiert werden, damit sich jemand anders stärker fühlt, finde ich das brenzlig.

Dieser Artikel ist ein Ausschnitt aus einem längeren Text, den ich für ein Coming-Out-Buch mit Interviews mit „behinderten“ Lesben und Schwulen geschrieben habe. Link zum kompletten Text und weiteren Texten von mir.

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