Theresa Hammer zum Verbandsklage-Urteil: Das ist ein großer Erfolg

Im ausführlichen BIZEPS-Interview erläutert Theresa Hammer, Geschäftsführerin und Leitung der Rechtsdurchsetzung des Klagsverbands, was die gewonnen Verbandsklage bei der Persönlichen Assistenz im Bildungsbereich bedeutet und wie es nun weiter gehen wird.

Theresa Hammer
Vero Steinberger

Nach einer gescheiterten Schlichtung brachte der Klagsverband im Juli 2021 eine Verbandsklage gegen die Republik ein. Auf Basis eines Rundschreibens des Bildungsministeriums werden Kinder und Jugendliche mit Behinderungen diskriminiert, wie das Wiener Handelsgericht Ende April 2023 in 1. Instanz feststellte.

Das Gericht hält unmissverständlich fest, dass Österreich Schüler:innen mit Behinderungen beim Bildungszugang diskriminiert, erläuterte der Klagsverband und führte aus: Denn derzeit gibt es Persönliche Assistenz für den Besuch von Bundesschulen nur für Schüler:innen mit körperlichen Behinderungen und einer hohen Pflegegeldstufe.

Klagsverband. Mit Recht gegen Diskriminierung.
Klagsverband

BIZEPS-Interview mit Theresa Hammer

BIZEPS: Nun ist die Verbandsklage rechtskräftig. Was heißt „rechtskräftig“ eigentlich genau und was bedeutet das?

Theresa Hammer: In dieser ersten Verbandsklage nach dem Behindertengleichstellungsgesetz hat das Handelsgericht Wien entschieden, dass Österreich Schülerinnen und Schüler beim Bildungszugang diskriminiert, weil es nicht für alle, die es brauchen, Persönliche Assistenz gibt.

Der Bildungsminister hätte versuchen können, gegen dieses Urteil vorzugehen, dann hätte das nächsthöhere Gericht entschieden. Der Bildungsminister hat aber keine rechtlichen Schritte gegen dieses Urteil gesetzt. Daher ist das Urteil des Handelsgerichts Wien nun verbindlich und gilt endgültig.

Die Diskriminierung ist „rechtskräftig“ festgestellt.

BIZEPS: Welche Fragen wurden vom Gericht genau entschieden?

Theresa Hammer: Ohne eine bedarfsgerechte Assistenz können viele Kinder und Jugendliche mit Behinderung nicht gleichberechtigt am Schulleben teilnehmen. Derzeit gibt es diese Unterstützung für den Besuch von Bundesschulen – also zum Beispiel AHS und BHS – nur bei körperlichen Behinderungen und hoher Pflegegeldstufe.

Schüler:innen mit anderen Behinderungen, also zum Beispiel aus dem Autismus-Spektrum oder mit einer Sinnesbehinderung, haben keinen Anspruch auf diese Form der Unterstützung. Oft gibt es auch keine andere geeignete Unterstützung, so dass sie auf eine Sonderschule oder eine Mittelschule ausweichen müssen.

Das Gericht hat entschieden, dass beides diskriminierend ist: Es ist diskriminierend, dass es Persönliche Assistenz in Bundesschulen derzeit nur bei körperlicher Behinderung gibt. Und es ist diskriminierend, dass es Persönliche Assistenz grundsätzlich nur ab Pflegegeldstufe 5 gibt.

Zudem sieht das Gericht es als diskriminierend, wenn es für mehrtätige Schulveranstaltungen oder Freistunden keine Persönliche Assistenz gibt. Schüler:innen mit Behinderung werden so nämlich von wichtigen Teilen des Schullebens ausgeschlossen.

BIZEPS: Wenn eine private Person klagt, kann sie vor Gericht einen Schadenersatz zugesprochen bekommen. Was bekommt nun der Klagsverband?

Theresa Hammer: Bei der Verbandsklage prüft das Gericht keinen konkreten Einzelfall, sondern ein Problem, das viele Menschen mit Behinderung betrifft. Was wir mit dem Urteil erreicht haben, ist die rechtliche Feststellung, dass in einem ganz wichtigen Lebensbereich, nämlich der Schulbildung, bisher diskriminiert wurde und wird. Das ist ein großer Erfolg.

Um dieses vom Gericht festgestellte Diskriminierung zu beenden, muss der Bildungsminister eine neue Regelung der Persönlichen Assistenz für die Schule machen. Wir hoffen daher, dass aufgrund unseres Urteils endlich eine diskriminierungsfreie Lösung für alle Schüler:innen mit Behinderung gefunden wird.  

BIZEPS: Was muss gemacht werden, wenn trotz Ankündigung des Bildungsministeriums keine Änderung erfolgt?

Theresa Hammer: Der Klagsverband wird kritisch und wachsam sein, ob es hier tatsächlich zu den angekündigten Verbesserungen bei der Persönlichen Assistenz kommt.

Und mit uns alle Selbstbestimmt Leben Organisationen, die das Verfahren unterstützt haben und die diese Diskriminierungen aus der Praxis kennen. Zudem haben wir ganz viel Zuspruch von betroffenen Familien bekommen.

BIZEPS: Was passiert, wenn nur teilweise erfüllt wird?

Theresa Hammer: Sehr viele erwarten sich daher jetzt vom Bildungsminister die angekündigte diskriminierungsfreie Neuregelung. Solange es diese nicht gibt, besteht die vom Gericht festgestellte Diskriminierung fort. Rechtlich könnte daher jedenfalls wieder eine derartige Verbandsklage eingebracht werden. Wir hoffen aber, dass es das nicht braucht.

BIZEPS: Was können Eltern machen, wenn sie in gleichen Fällen – wie in der Verbandsklage behandelten Beispiele – diskriminiert werden?

Theresa Hammer: Wenn der Fall einer Schülerin oder eines Schülers mit dem Verbandsklageurteil vergleichbar ist – es also um verweigerte Persönliche Assistenz für den Besuch einer Bundesschule geht – kann eine Diskriminierung vorliegen. Das Behindertengleichstellungsgesetz sieht bei einer Diskriminierung Schadenersatzansprüche vor.

Die betroffenen Schüler:innen bzw. ihre Eltern müssten dafür ein Gerichtsverfahren einleiten, also klagen. Vor einer Klage braucht es einen Schlichtungsversuch beim Sozialministeriumservice. Die Verbandsklage hilft, weil rechtlich nun schon mal entschieden wurde, dass eine Diskriminierung vorliegt.

Es empfiehlt sich aber jedenfalls, sich vorher bei Organisationen wie BIZEPS beraten und unterstützen zu lassen.

BIZEPS: Wir danken für das Interview!

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