Der Psychiater und langjährige Gerichtsgutachter Heinrich Groß war während der NS-Zeit an mehreren Tötungen von Kindern in der Klinik Am Spiegelgrund beteiligt.
Erst jetzt wird ihm der Prozeß wegen Beteiligung am Mord gemacht. Wenn er ihn nicht verhindert, berichtet der „Falter“.
Der Besuch des Doktor Heinrich Groß war kurz. Dennoch wird sich Friedrich Z. sein Leben lang daran erinnern. „Umdrehen!“ befahl Groß dem damals 14-jährigen anno 1943. Ein kurzer Stich mit der Nadel ins Gesäß, dann wurde Friedrich speiübel. Zwei Stunden lang marterte ihn ununterbrochener Brechreiz. Daß es anderen „Patienten“ der NS-Kinderklinik „Am Spiegelgrund“ noch schlimmer erging, konnte der Junge durch einen schmalen Fensterschlitz von seiner Zelle aus beobachten: Immer wieder wurden Leiterwägen mit toten Kinderkörpern vorbeigerollt.
Gut drei Jahrzehnte später blickt Friedrich Z. wieder in die Augen des Doktor Groß. Der Mediziner arbeitet als Gerichtsgutachter, der Gefangene Z. wird ihm vorgeführt. „Sind sie schon einmal psychiatriert worden“, fragt Groß. „Für einen Akademiker haben Sie ein schlechtes Gedächtnis“, antwortet Friedrich Z.: „Kennen Sie mich nicht?“ Groß wird kreidebleich. In seinem Gutachten zitiert der Psychiater dann eine am Spiegelgrund angefertigte Expertise aus der NS-Zeit und stempelt Z. zum „haltensschwachen Psychopathen“. Der Angeklagte wandert für mehrere Jahre ins Gefängnis.
Am 21. März 2000 werden Groß und Friedrich Z. abermals zusammentreffen. Doch diesmal muß sich Groß selbst vor Gericht verantworten. Z. ist Zeuge. Die Anklage: Beteiligung am Mord von neun Kindern. Mutmaßlicher Tatort: der ehemalige Kinderpavillon im Psychiatrischen Krankenhaus auf der Baumgartner Höhe, genannt „Am Spiegelgrund“. Für Groß gilt die Unschuldsvermutung – so der „Falter“.