Tränen und stille Helden

Der ORF möchte zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen neue Bilder in unsere Köpfe bringen. Doch ist er dabei auf dem richtigen Weg? Ein Kommentar vom Dr. Fanz-Joseph Huainigg in der PRESSE.

Franz-Joseph Huainigg
Christian Müller

Eigentlich hätte es für den ORF das Europäische Jahr behinderter Men schen nicht gebraucht, gibt sich ORF Generaldirektorin Lindner bescheiden. Denn der ORF leistet nach Ansicht der Verantwortlichen auf diesem Gebiet ohnehin sehr viel. Aber da es dieses Jahr nun einmal gibt, hat man im ORF ein großes Brainstorming veranstaltet. Herausgekommen ist eine beachtliche Ansammlung an Beitragsthemen, die in allen Sendungen ausgestrahlt werden.

Bei der Präsentation der Behinderten-Großoffensive wurden auch gleich Beispiele vorgestellt, über die man am Küniglberg stolz ist: Da sind die stillen Kämpfer im Rehabilitationszentrum; Christopher Reeve, der Superman im Rollstuhl, rührte bereits Anfang März die Herzen der Zuseher, als er sagte „Und eines Tages stehe ich auf und gehe“.

Stolz ist man im ORF auch auf die Idee, das „No Problem Orchestra“ in den Musikantenstadl einzuladen – da geht sicher schenkelklopfend die Post ab.

Sind das die vom ORF angekündigten „Neuen Bilder“, mit denen die Bevölkerung sensibilisiert werden soll?

Zugegebenermaßen gibt es auch ambitionierte Konzepte, in denen auch die Lebenssituation behinderter Menschen dokumentiert werden sollen. Vor allem Ö1 geht mit der Zusammenarbeit mit selbst betroffenen Journalistinnen im Rahmen eines EU-Projektes neue Wege: Themenvorschläge kommen direkt von den Betroffenen und spiegeln daher deren Lebenssituation wider, die Beiträge werden mit ORF-Journalisten gemeinsam produziert. Ansonsten vermisst man neue Ideen und Innovation.

Beispiele aus anderen Ländern zeigen, was möglich wäre: In Großbritannien gibt es eine amüsante Kochsendung mit geistig behinderten Menschen, in Spanien gestalten zwei gehörlose Journalisten einen TV-Gebärdensprachkurs, in den meisten europäischen Ländern gibt es eigene Sendeplätze, die von behinderten Menschen gestaltet werden. Wirklich innovativ für den ORF wäre, wenn etwa bei Starmania ein blinder Sänger auftreten würde, oder wenn im Kinderprogramm gehörlose Kinder in der Gebärdensprache Sendungen moderieren könnten.

Auch eine tägliche Nachrichtensendung in Gebärdensprache ist längst überfällig, die ZIB1 auf einem ORF-Kanal mit Gebärdendolmetschung zu senden, würde das Bewusstsein der Bevölkerung für diese Sprache stark steigern. Ist dafür das österreichische Publikum noch nicht reif genug, wie es die ORF-Verantwortlichen befürchten? Oder hat der ORF nicht den Mut, wirklich neue Wege zu gehen?

Stolz gibt sich der Sender, wenn es um die Erfüllung des Behinderteneinstellungs-Gesetzes geht – das sei voll erfüllt. Schweift man allerdings durch die Gänge des ORF-Zentrums oder der Landesstudios, wird man vergebens einen Rollstuhlfahrer, einen blinden oder gehörlosen Mitarbeiter in den Redaktionen suchen. Was behinderte Menschen in einer Medienanstalt bewirken können, zeigt die BBC. Dort erkennt man eindeutig, dass Beiträge von selbst Betroffenen anders aussehen. Gleichzeitig findet in den Redaktionen auch eine Sensibilisierung der nichtbehinderten Redakteure statt.

Der ORF beteiligte sich im vergangenen Jahr in Kooperation mit dem Kuratorium für Journalistenausbildung und dem Verein Integration Österreich an einem integrativen Journalisten-Lehrgang. Bei diesem Pilotprojekt wurden neun behinderte Teilnehmer zu Journalisten ausgebildet. Nun gilt es die Erfahrungen auch umzusetzen. Wenn im Europäischen Jahr behinderter Menschen im ORF zwei Planstellen oder Ausbildungsstipendien für behinderte Menschen geschaffen würden, wäre das eine sehr positive Überraschung. Moderatoren im Rollstuhl sollten nicht Utopie bleiben.

Reformbedürftig ist im Sinne behinderter Menschen auch die Sendung „Licht ins Dunkel“. 30 Jahre flimmerndes Mitleid zur Weihnachtszeit sind hoffentlich genug. Viele selbst betroffene Menschen fühlen sich durch die klischeehafte Darstellung diskriminiert. Bleibt zu hoffen, dass der von Kurt Bergmann last minute eingeleitete Diskussionsprozess mit Gerhard Ruminak als neuem „Licht ins Dunkel“-Mann fortgesetzt wird.

Die Verwandlung der „Aktion Sorgenkind“ in Deutschland in die „Aktion Mensch“, bei der selbst Betroffene in die Produktion und Leitung miteinbezogen sind, sollte dabei als Vorbild dienen. Dort entstanden – bei gleichem Geldeinnahmen – völlig neue Medienbilder. Zu hoffen bleibt, dass auch der ORF auf diesem Gebiet im Europäischen Jahr der behinderten Menschen Mut zu neuen Wegen zeigt.

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