Trauung: Wer hat hier eigentlich „Ja“ gesagt?

Der Blumenstrauß zittert leicht in der Hand der Braut, der Bräutigam hat weiche Knie, die Eltern vergewissern sich, daß Taschentücher griffbereit sind, alle Fotoapparate sind schußbereit.

Da bemerkt der Standesbeamte, daß der Trauzeuge des Bräutigams blind ist und vorbei ist’s mit der Harmonie.

Da nützt weder, daß der blinde Mann versichert, sich absolut in der Lage zu fühlen der Zeremonie zu folgen, noch, daß der Bräutigam versichert, volles Vertrauen zu seinem Zeugen zu haben. Ein Blinder darf nach österreichischem Recht nicht Trauzeuge sein. Rasch wird eine Beamtin anstelle des blinden besten Freundes des Bräutigams herbeigeholt.

Der Wunsch des blinden Mannes offiziell Beschwerde gegen diese Diskriminierung einzubringen, wird vom Vorgesetzten des Standesbeamten als überflüssig, weil sinnlos, abgelehnt. Der Beamte erklärt dem Blinden aber noch gönnerhaft, er dürfe trotzdem bei der Trauung anwesend sein.

Dieser Vorfall ereignete sich im vergangenen Jahr in der Steiermark. Eine der Bestimmungen, die auf der Liste der dringend zu beseitigenden Diskriminierungen behinderter Menschen in der österreichischen Gesetzgebung ganz oben steht, ist die, nach der blinde Menschen nicht als Trauzeugen fungieren dürfen.

Grundlage des Ausschlusses blinder Menschen als TrauzeugInnen ist die Personenstandsverordnung: „Die Zeugen müssen mindestens 18 Jahre alt sein, die Sprache, in der die Trauung stattfindet, verstehen und dürfen nicht nach ihrer Körper- oder Geistesbeschaffenheit unvermögend sein, ein Zeugnis abzulegen.“

Dazu stellte das Justizministerium im Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage fest: „Der Gesamtvorgang der Eheschließung besteht somit zum Teil aus Abläufen, die akustisch und optisch wahrzunehmen sind, zum Teil aber auch nur aus optisch wahrnehmebaren Sequenzen.“ Somit seien also blinde Personen „nach ihrer Körperbeschaffenheit unvermögend“ der Trauung zu folgen.

Blinde ebenso wie sehende Menschen, die den Ablauf einer Trauung kennen, reagieren auf den Ausschluß blinder Personen als Trauzeugen im allgemeinen mit verständnislosem Kopfschütteln und der Frage „Wo liegt denn hier das Problem?“.

Ich will also einen Versuch unternehmen mich in die spezielle Denkwelt ministerieller JuristInnen zu versetzen. Worauf kommt es eigentlich an? Ich sollte als Trauzeugin erkennen können, daß die unmittelbar neben mir sitzende Person „Ja“ gesagt hat. Dies läßt sich sowohl anhand der Richtung, aus der die Stimme ertönt als auch – da es sich ja wohl um eine mir gut bekannte Person handeln dürfte – an der Stimme selbst eindeutig erkennen.

Krisenfall – Westernmanier?
Es könnte natürlich der Krisenfall eintreten, daß der Bräutigam eigentlich nicht will und deshalb vom Brautvater in schöner Westernmanier mit vorgehaltenem Colt zum „Ja“ „überredet“ wird. Dies würde vermutlich auch dem verträumtesten Standesbeamten auffallen.

Es könnte natürlich auch sein, daß die Braut eigentlich nicht will und ihr deshalb von ihrer Mutter, die sie endlich „an den Mann“ bringen will, von hinten der Mund zugehalten wird, während die Mutter an ihrer Stelle „Ja“ sagt. Derartiges würde wohl kaum ohne akustisch sehr wohl wahrnehmbare Gegenwehr ablaufen und auch hier sollte dem Standesbeamten zusätzlich wohl etwas auffallen. Gehen wir aber davon aus, daß keiner der genannten Krisenfälle eingetreten ist, es nun zum Ringtausch und schließlich zum Kuß der Eheleute kommt.

Auch letzterer ließe sich – falls das gewünscht wird – durchaus akustisch gestalten. Nun soll noch die Eintragung im Ehebuch unterzeichnet werden und blinde Trauzeugen sollten wissen, was sie da unterschreiben. Aus Erfahrung – sowohl bei meiner eigenen Hochzeit als auch als Gast bei mehreren Trauungen – weiß ich, daß manche Standesbeamte – mangels besserer Einfälle – die Eintragung im Ehebuch von sich aus vorlesen. Es sollte also keine Schwierigkeit darstellen mit dem zuständigen Standesbeamten vorher zu vereinbaren, daß er dies tut, bevor die Frischvermählten und die Trauzeugen ihre Unterschrift darunter setzen.

Und – wo liegt jetzt das Problem?
Bliebe noch das Argument eines Beamten des Justizministeriums, die Eheschließenden hätten einen Anspruch an den Staat, daß über ihre Ehe eine „anständig beweisbare Situation“ bestehe. Somit werden also die Brautleute auch gleich entmündigt, denn sie suchen sich ihre Zeugen ja selbst aus und fühlen sich, wenn eine blinde Person darunter ist, ganz offensichtlich sicher, daß diese ihre Ehe „anständig beweisen“ kann. Übrigens ergab eine entsprechende Nachfrage in Deutschland, daß es dort für blinde Menschen keinerlei Beschränkung gibt, Trauzeugen zu sein.

Es erhebt sich der Verdacht, daß hinter dem Widerstand, diese eindeutige Diskriminierung behinderter Menschen zu beseitigen, nicht sachliche Gründe stehen, sondern die bewußte oder unbewußte Weigerung zu akzeptieren, daß behinderte Menschen nicht nur das Recht, sondern auch die Fähigkeit haben, gleichberechtigt an allen Bereichen des Lebens teilzunehmen.

Ein deutscher Blinder kommentierte dies mit dem Stoßseufzer „Herr, schmeiß Hirn runter!“ Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

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