„Über Behinderung will ich schreiben, aber nicht nur.“

Marlies Neumüller kam "eher durch Zufall" zum Journalismus, doch "eigentlich war Journalismus mein Traumberuf", verrät die 24 jährige Oberösterreicherin im BIZEPS-INFO Interview.

Marlies Neumüller
Ladstätter, Markus

Im Rahmen des Journalistenpreis 2004 – „Für Vielfalt. Gegen Diskriminierung.“ – gewann das Trio Christoph Dirnbacher, Alexis Johann und Marlies Neumüller für den gemeinsam verfassten Artikel im Wirtschaftsmagazin Trend „Je anders, desto besser“ die österreichische Vorausscheidung. Die 25 nationalen Preisträger, die von einer Jury aus Medienfachleuten und Experten für Diskriminierungsfragen ermittelt werden, nehmen nun am EU-weiten Wettbewerb teil.

„Hatte Bedenken“
„Journalismus war eh mein Traumberuf“ verrät Marlies Neumüller im BIZEPS-INFO Interview, doch sie hatte Bedenken, ob „Journalismus und Rollstuhl“ wirklich machbar sind.

Marlies Neumüller besuchte in Freistadt/OÖ die Volks- und Hauptschule. „Es war aber eine ‚wilde Integration‘ in der Regelschule“ erzählt sie und berichtet, dass sie nachher „unabhängiger nicht mehr nur zu Hause sein wollte“.

Sie zog nach Wien und absolvierte die Handelsakademie in der Ungargasse, im dritten Wiener Gemeindebezirk. Dort entdeckte sie eine Ankündigung für einen integrativen Journalismuslehrgang. „Das kam mir gelegen, weil ich eh nicht gewusst hab, was ich machen soll“, gibt Neumüller offen zu.

„Da der Lehrgang explizit integrativ ausgeschrieben war“, fasste sie – trotz ihrer Bedenken – den Entschluss es zu probieren. „Die Ausbildung half mir sehr und ich habe nette und wichtige Leute kennen gelernt“, erzählt sie im BIZEPS-INFO Interview.

Praktika bei Kurier und Standard
Anschließend konnte sie – dank Vermittlung durch Beate Firlinger, Leiterin des Journalismuslehrganges – bei der Tageszeitung Kurier ein Praktikum absolvieren. Ihr Tätigkeitsbereich umfasste u.a. die Verfassung von Artikeln zu internationalen Vorfällen.

Auch bei der Tageszeitung „Der Standard“ hatte sie die Möglichkeit für zwei Monate Erfahrungen zu sammeln. „Wegen der schwierigen baulichen Gegebenheiten“ wurde es die Wirtschaftsredaktion, weil diese die, für sie als Rollstuhlfahrerin, einzig zugängliche war.

„Ich habe mich vor der Auffassung anderer Leute gefürchtet“ gesteht Neumüller ihre Ängste unumwunden ein. Doch „es war überhaupt kein Problem“. Die an sie gestellten Aufgaben haben sie „durchaus gefordert“, doch sie waren immer lösbar und sie war daher sehr zufrieden. „Ich habe beim Kurier und beim Standard sehr viel gelernt und die Kolleginnen und Kollegen waren sehr hilfsbereit“, erinnert sich Neumüller gerne zurück. Nun besucht sie den Studiengang Journalismus an der Fachhochschule des WIFI in Wien.

Welchen Stellenwert hat Behinderung?
Die Frage „Welchen Stellenwert hat für Deine journalistische Arbeit Deine Behinderung?“ ist für Neumüller gar nicht so einfach beantwortbar. „Natürlich wird einem die Behinderung bewusst, wenn es um Mobilität geht“ erläutert sie und fügt hinzu, dass sie darauf sensibler reagiere und auf soziale Gegebenheiten, Missstände hinschaue.

„Über Behinderung will ich schreiben. Aber ich will nicht wegen meiner Behinderung in eine Schublade gedrängt werden“, weist die Journalistin deutlich auf die Gefahr hin. Dieser Druck kommt „nicht nur von außen, sondern auch von mir selber, weil ich mich in dem Bereich besser auskenne und berichtenswerte Themen in Sachen Behinderung schneller aufgreife, als nichtbehinderte Journalisten.“

Im Prinzip war es mehr ein netter Titel als eine großartige Bedeutung, geht Neumüller auf den Titel „Je anders, desto besser“ ein und fügt hinzu: „Es ist aber schon so, dass ich durch die eigene Behinderung viel sensibler auf die Entwicklungen reagiere. Ich sehe die eigene Behinderung nicht nur als Nachteil.“

Was bringt so ein Gesetz?
Der nun ausgezeichnete Artikel geht ausführlich auf die Umsetzung der EU-Richtlinien zur Anti-Diskriminierung ein. Die Umsetzung in Österreich umfasst bekanntlich nicht den Bereich „Behinderung“, der nun im Behinderten-Gleichstellungsgesetz erfolgen soll.

Doch auch hier hält Neumüller mit Ihrer Meinung nicht hinter dem Berg. „Ich finde, dass der derzeitige Entwurf zu zahnlos ist“ zeigt sich Neumüller skeptisch. Sie vermisst „wirkliche Verbesserungen“ für behinderte Menschen und kritisiert den vorliegenden Gesetzesentwurf scharf.

„Was bringt so ein Gesetz?“ fragt sie und fordert ein Gesetz mit durchsetzbaren Rechten. Ein Gesetz nur für die Bewusstseinbildung ist ihr zu wenig. „Wir haben jetzt 20 bis 30 Jahre Bewusstseinbildung gehabt. Wenn das so perfekt wäre, wie manche Politiker sagen, dann wären wir schon viel, viel weiter“, gibt sie zu bedenken.

Konkret fordert sie „unbedingt die Anerkennung der Österreichischen Gebärdensprache“ sowie ein Gesetz „nach britischem Vorbild, wo ein unabhängiges Institut auf Einhaltung wacht und bei Streitigkeit auch den Betroffenen hilft und Klagen einreicht“. Denn – so fragt Neumüller – „welcher Mensch hat wirklich die Nerven Klagen bis zur letzten Instanz durchzuziehen?“

MedienOskar 2003
Die nun erhaltene Auszeichnung ist nicht die erste für Marlies Neumüller. Im Jahr 2003 erhielten die ORF-Radiojournalistinnen Ina Zwerger und Marlies Neumüller für die Ö1-Radiokolleg-Reihe „Rechte statt Almosen“, die im Rahmen des Ö1-Programmschwerpunktes vom 5. bis 8. Mai des Jahres 2003 ausgestrahlt wurde, den „MedienOskar“ im elektronischen Bereich verliehen.

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