Über das freudlose Behindertendasein (nicht)behinderter Menschen

"Adele, sehr gut gebaut & kerngesund"

Ein „Austropopper“, der sommers von „Adele, sehr gut gebaut & kerngesund“ trällert und daher in der nächsten Strophe „wirklich keinen Grund wußte“, warum die Bedauernswerte, – wiewohl zumindest körperlich fit – noch keinen Mann abgekriegt hatte,… eine Amerikanerin in Wien, die verwundert fragt, warum hierorts so selten „handicapped people“ auf der Straße anzutreffen seien, … eine PatientInneninformation (MS-Standard Nr. 5), die lapidar festhält: „Während die Frauen kranker Männer für gewöhnlich bei ihnen bleiben und sie tatkräftig unterstützen, nehmen männliche Partner oft Reißaus, …“

Sie sehen: Behindert zu leben, macht ganz offensichtlich keinen Spaß – schon gar nicht als Frau.

Wer seine Extremitäten nicht mehr „widmungsgemäß“ verwenden kann, wird augenblicklich „an den Rollstuhl gefesselt“, wer gehörlos ist, ist ein „staubdummer Taubstummer“ (haha), blinden Menschen kann unsere Gesellschaft ebenfalls ein wenig „bruhaha“ – Humor abgewinnen: Sie werden über die Straße geleitet, ob sie das nun wollen oder nicht. (Hin und zurück, hin und zurück, hin und …).

Wenn nicht der Part des Spaßvogels im Cartoon schon von einer alten Frau mit Krückstock besetzt ist.

Nein, alt und gebrechlich oder jung und behindert zu sein, das kann keinen Spaß machen, in einer Welt, in der topfitte Neunzigjährige Herzoperationen vornehmen, in der eine Sekretärin in Kleidergröße 44 schon zum Problem für die Personalabteilung wird, in der ein Besuch beim Psychotherapeuten unter allen Umständen geheimgehalten werden muß vor Arbeitgeber und Freundeskreis.

Dann: Ein Wiener Politiker, der im Radiointerview konstatiert, „unsere Gesellschaft ist kalt geworden“. (Helmut Zilk, Im Journal zu Gast, 22. Jänner 1994). Dann – nichts mehr.

Oder doch: Die alleinerziehende Mutter eines spastisch gelähmten Sohnes ertränkt ihr Kind in der Badewanne (Kurier 5. Feber 1994), der Chor der Umstehenden raunt (verhalten zwar, aber hörbar): Es war wohl am besten so fürs Kind, das Leiden (wessen Leiden?) hatte ein frühes Ende.

Eine junge Mutter will ihr nichtbehindertes Kind im Herbst 1998 in einem integrativen Kindergarten anmelden, der Chor zischelt: mit denen soll Dein Kind spielen?

Einer jungen Frau mit Gehstock schenkt man (vor allem in der Weihnachtszeit) gerne den Fünfer fürs Einkaufswagerl (sie nimmt´s als Entschädigung dafür, daß die jeweiligen Gönner gerne den Behindertenparkplatz vorm Billa benutzen und versucht so, ihr Selbstwertgefühl vor dauerhaftem Schaden zu bewahren).

Der Politiker, mittlerweile Privatmann, tritt wieder auf und fordert „Mehr Behinderte in die Politik“ (Kronenzeitung, 22.11.98)

In 13 Monaten feiern wir den Beginn des dritten Jahrtausends – wer wagt es und schließt sich mir an, wenn ich nächstens meinen ganzen Humor zusammennehmen und auf offener Straße lachen werde? (Und das, obwohl ich 28, behindert und zudem noch eine Frau bin?)

Lauthals lachen über eine Gesellschaft, die ihr teils abstruses Sexleben in nachmittäglichen Talkshows ausbreitet und ihren Kindern angesichts eines behinderten Menschen peinlich berührt schamhaft wegzuschauen gebietet – ist das erlaubt?

Realitätsverlust??
Nein, Lebenslust!!

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