Martin Ladstätter und Christine Steger im Interview mit Arbeit&Wirtschaft.
Die Behindertenanwältin Christine Steger und der Journalist und BIZEPS-Obmann Martin Ladstätter kämpfen seit vielen Jahren für eine Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderungen in Österreich.
In einem Interview mit Arbeit&Wirtschaft vom 23. April 2024 zeigten sie eine Reihe von Missständen in der österreichischen Behindertenpolitik auf. Das Interview führte Alexandra Rotter.
Von der frühen Aussonderung von Menschen mit Behinderung in Sonderschulen, über fehlenden Diskriminierungsschutz und schlechte Bildungsmöglichkeiten, bis hin zu mangelnden Bereitschaft von Unternehmen und öffentlichen Stellen, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen, Österreich hat noch einige Baustellen, wenn es um die Inklusion von Menschen mit Behinderungen geht.
„Der Zustand der Behindertenpolitik in Österreich ist schlecht“, so Behindertenanwältin Christine Steger und BIZEPS-Obmann Martin Ladstätter im Interview mit Arbeit&Wirtschaft.
Österreich ist führend in Aussonderung
So lautet das ernüchternde Fazit von Behindertenanwältin Christine Steger. Diese Aussonderung beginnt schon in der Schulzeit und setzt sich dann im Rest des Lebens von Menschen mit Behinderungen fort.
„Schlechte Bildungschancen, schlechte Qualifikation, weniger gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt, nicht adäquate Unterstützung am Arbeitsplatz und Existenzsicherung sind untrennbar miteinander verbunden. 47 Prozent aller begünstigt behinderten Menschen sind arbeitslos – das sind 60.000 Menschen. Weitere 30.000 arbeiten in Einrichtungen mit Beschäftigungstherapie. Menschen mit Behinderungen sind doppelt so häufig manifest arm bzw. armutsgefährdet.“
So schildert Christine Steger die Konsequenzen von fehlender schulischer Inklusion. Für Martin Ladstätter gibt es noch eine weitere Folgeerscheinung, nämlich der fehlende Kontakt zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen. Das verstärkt die Unsicherheit von Menschen ohne Behinderungen und führt zu weiterem Ausschluss. Die Aussonderung von Menschen mit Behinderungen hat viele Facetten neben fehlender Inklusion im Bereich Bildung und Arbeit gibt es weitere Problemfelder.
Zahnlose Behindertenrechte
Eines dieser Problemfelder ist zum Beispiel der Erfüllungsvorbehalt bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Erfüllungsvorbehalt bedeutet, dass die Ziele der UN- Konvention nicht in Rechte überführt worden sind. Es hätte eine rechtliche Verankerung der Zielsetzungen aus der Konvention in den Landes-, Bundes- und sonstigen Bestimmungen gemacht werden müssen, so Steger und Ladstätter. Dies sei bisher nicht gemacht worden.
Ein ähnliches Problem gibt es laut Steger beim Diskriminierungsschutz. „Es ist zwar gut, dass wir das Gleichstellungsgesetz haben, aber es ist wahnsinnig zahnlos, weil wir keinen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch bei Diskriminierungen haben. Für die Gleichstellung und die Rechtedurchsetzung von Menschen mit Behinderungen ist es essenziell, dass ich nicht nur 700 Euro Schadenersatz kriege, wenn ich bei meinem Hausarzt nicht in die Praxis kann, sondern dass er umbaut und barrierefrei zugänglich wird.“
Aussonderung sollte nicht mehr erlaubt sein
Eines ist klar: die Forderungen im Bereich Behinderung haben sich verändert. „Wenn vor Jahrzehnten Eltern erfolgreich dafür gekämpft haben, dass ihr Kind mit Behinderung in die Schule gehen kann, war das positiv. Heute geht es um Inklusion und darum, dass Aussonderung behinderter Menschen generell nicht mehr erlaubt sein sollte,“ erklärt Ladstätter.
Das gesamte Interview mit Christine Steger und Martin Ladstätter vom 23. April 2024 finden Sie in Arbeit&Wirtschaft.
Wienerin,
28.08.2024, 12:06
Die Beschreibung des Zustandes ist sehr zutreffend! Vor allem im Bildungsbereich werden Rechte auf Bildung von Kindern- und Jugendlichen mit Behinderungen vor allem in Wien massiv verletzt. Die Landesregierung Wien verweigert bewusst die Inklusion – Schulassistenz, pers. Assistenz, School Nurses ab KIGA bis Matura komplett. Die Wiener Landesregierung trägt bewusst und absichtlich zur SelbserhaltungsUNfähigkeit der heutigen Kinder mit besonderen Bedürfnisse bei und verursacht Kinder- und Familienarmut der Zukunft. Kindern- und Jugendlichen mit Behinderungen werden aus der Bildung in Wien genauso herausdiskriminiert wie Frauen in einzelnen asiatischen Ländern.
Bruno Achermann, Pädagogische Hochschule Luzern, pens.,
26.08.2024, 22:53
Hallo Frau Müllebner
Ihren Beitrag habe ich mit Interesse gelesen.
Die Situation in Österreich und in der Schweiz recht ist recht ähnlich.
Der Völkerrechtler Prof. Dr. Markus Schefer von der Universität Basel sagt:
„Die heutige landesrechtliche Situation in der Schweiz verletzt den menschenrechtlichen Anspruch von Menschen mit Behinderungen auf eine inklusive Bildung“ (Schefer ist Mitglied des Ausschusses der UNO-Behindertenrechtskonvention).
Auf diesem Hintergrund versuchen wir jetzt mit einem Strategischen Prozess die Selbstverpflichtung, die die Schweiz mit der Unterzeichnung der KRK eingegangen ist, mit einer Beschwerde bei der UN Kinderrechtskonvention, schrittweise in die Tat umzusetzen, vgl. dazu https://www.we-claim.ch/faelle/inklusive-bildung-fuer-kind-mit-autismus).
Das könnte die Behindertenanwältin, Frau Christine Steger, vielleicht interessieren.