Aus der Serie: "Wo versagt das Behindertengleichstellungsgesetz? Wie kann es verbessert werden?"
Warum entschließt sich das Bundeskanzleramt, eine Servicestelle für Bürgerinnen und Bürger in einem historischen Gebäude einzurichten, das nicht barrierefrei ist und das auch nur sehr schwer barrierefrei adaptierbar ist?
Das fragte sich ein Rollstuhlfahrer, der ein neu eröffnetes Servicezentrum in der Wiener Innenstadt besuchen wollte, aber an den Stufen am Eingang scheiterte.
Übergangsfristen machen Gesetz zahnlos
Der Fall reicht zurück in das Jahr 2008 und ist ein weiterer Beweis für die Unzulänglichkeiten des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes (BGStG). Der Rollstuhlfahrer hat sich nämlich nach einer gescheiterten Schlichtung entschlossen, die Republik Österreich mithilfe des Klagsverbands wegen Diskriminierung zu klagen.
Nachdem der Fall durch zwei Instanzen gegangen ist und die Gerichte keine Diskriminierung nach dem Behindertengleichstellungsgesetz erkennen konnten, lautet sein persönliches Urteil: Im rechtlichen Dickicht der Übergangsbestimmungen findet man sich nicht nur schwer zurecht, sie laden förmlich zur Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen ein.
Welchen Bestimmungen unterliegen historische Gebäude?
Beide Instanzen sind nämlich zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei dem historischen Gebäude in der Wiener Innenstadt um einen Trakt der Hofburg handelt, der mit einer vor dem 1. Jänner 2006 erteilten Baubewilligung errichtet wurde. Deshalb seien die Bestimmungen für barrierefreies Bauen nur insoweit anzuwenden, als eine bauliche Barriere rechtswidrig errichtet worden sei, also der Bauordnung widerspreche.
Im Urteil aus dem Jahr 2012 heißt es weiter, es werde erst ab 1. Jänner 2016 bei allen „alten“ Bauwerken, unabhängig von der Höhe des Aufwandes zur Beseitigung der Barrieren, möglich sein, Diskriminierungen aufgrund baulicher Barrieren geltend zu machen.
Auch eine Einrichtung des Bundes muss sich an Gesetze halten
Der Kläger sieht sich nicht nur nach dem Ergebnis des Gerichtsverfahrens, sondern bereits nach seinem missglückten Besuch im Service-Center in seinen Rechten massiv eingeschränkt: „Ich bin sehr enttäuscht von dem Vorgehen des Bundeskanzleramtes. Zuerst eröffnet man nach Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes eine Beratungsstelle, die nicht barrierefrei zugänglich ist. In der Schlichtungsverhandlung sieht man dann das Versäumnis ein und zum Schluss beendet man diese Diskriminierung dann doch nicht und definiert plötzlich selbst, was barrierefrei ist Ich erwarte mir vom Bundeskanzleramt – so wie von jedem anderen auch – sich an das Behindertengleichstellungsgesetz zu halten.“
Barrieren bleiben, Schlichtung könnte helfen
Noch dazu kommt wieder die Frage des Beseitigungsanspruchs, der im Gesetz nicht gegeben ist. Auch wenn der Kläger das Verfahren gewonnen hätte, wäre der Bund nicht verpflichtet gewesen, den Eingang der Service-Einrichtung barrierefrei zu gestalten. Hier hätte eine Schlichtung produktive Lösungen bringen können.
„Mit einer selbsttätig öffnenden Tür beim barrierefreien Eingang und einer durchgängigen Beschilderung wäre ich bereit gewesen zu akzeptieren, dass der Haupteingang nicht barrierefrei ist und RollstuhlfahrerInnen auf einen anderen Eingang ausweichen müssen“, schildert er seine Haltung beim Schlichtungsverfahren. Als er das Service-Zentrum besuchen wollte, musste er jedoch beim Personal um Hilfe bitten.
Dieses führte ihn einen längeren Weg zu einem anderen Eingang, der nicht beschriftet war, über einen Hof mit Kopfsteinpflaster zu einer Tür, die nur für Bedienstete der Einrichtung und ausschließlich mit Magnetkarte zu öffnen ist. (Der Sachverhalt kann hier nachgelesen werden.)
Inklusive Teilhabe für Menschen mit Behinderungen in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen sieht definitiv anders aus.