Umfassender Fragenkatalog zur Behindertenpolitik von Parteien beantwortet

Anlässlich der Nationalratswahlen am 29. September 2013 hat Selbstbestimmt Leben Österreich im Juni den Parteien elf Fragen zur Behindertenpolitik gestellt. Nun sind die Antworten online.

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Alle Einleitungen zu den Fragen sowie die umfangreichen – teilweise aber auch ziemlich langatmigen – Antworten sind auf der SLIÖ-Homepage veröffentlicht worden. Ein Ausschnitt der Antworten:

Frage 1: Werden Sie für eine Weiterentwicklung des Nationalen Aktionsplanes Behinderung NAP im genannten Sinne eintreten? Wie, in welchen Bereichen und bis wann soll sie erfolgen?

Kurzfassung der Antworten: ja (SPÖ, Grüne, FPÖ), eher ja (ÖVP, Team Stronach)

Die SPÖ betont die Wichtigkeit des NAP und dass der Bundesregierung die „umfassende Realisierung der Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention ein großes Anliegen ist“ – eine Weiterentwicklung soll kommen. Einschränkend wird festgehalten: „Behindertenangelegenheiten sind in Österreich allerdings eine Querschnittsmaterie, die auch eine starke föderalistische Komponente aufweist.“

Für die ÖVP ist der NAP in einem “ partizipativen Prozess“ entstanden und wird begrüßt. Möglichen Weiterentwicklungen stehe man offen gegenüber.

Die Grünen wollen sich „sofort nach den Wahlen dafür einsetzen, dass der NAP weiterentwickelt wird“, denn „vor allem Indikatoren zur Zielerreichung, konkrete Zeitpläne mit Zwischenschritten und Finanzierungsgarantien fehlen derzeit völlig“.

Die FPÖ sieht den NAP „in vielen Bereich mehr als unverbindlich“ an und er „entspricht nicht den Vorgaben, die im Rahmen eines professionellen Projektplans zu einer effizienten Umsetzung führen kann“. Man schließt daraus: „Daher muss bereits im Rahmen der Regierungsverhandlungen eine Überarbeitung des NAP Thema sein.“

Das Team Stronach meint, dass „alle Bundesländer und die Ministerien gefordert“ sind sich einzubringen.

Frage 2: Befürworten Sie eine ganzheitliche, bedarfsgerechte, bundeseinheitliche Regelung von Persönlicher Assistenz für alle Menschen mit Behinderungen in Österreich? Wenn ja: Bis wann soll eine bundeseinheitliche Regelung umgesetzt werden? Und wie?

Kurzfassung der Antworten: ja (SPÖ, ÖVP, Grüne, FPÖ, Team Stronach)

Für die SPÖ „ist die Schaffung eines Systems der Persönlichen Assistenz für alle Gruppen von Menschen mit Behinderungen, das einkommensunabhängig gestaltet werden und nach Möglichkeit eine freie Wahl der Organisationsform einräumen soll“ das Ziel. Man verweist auf eine Arbeitsgruppe im Sozialministerium sowie auf 2 diesbezügliche Maßnahmen im NAP.

Die ÖVP erwähnt einen Entschließungsantrag mit dem Ziel „Persönliche Assistenz im Zuge des nächsten Finanzausgleiches bundesweit einheitlich zu regeln“. Man werde auf die Umsetzung achten.

Ähnlich wie die SPÖ antworten auch die Grünen, verweisen aber darauf, dass die eingerichtete Arbeitsgruppe „leider noch immer keine Ergebnisse vorgelegt hat“.

Die FPÖ verweist auf frühere Initiativen zur Persönlichen Assistenz. Man möchte Rechtssicherheit im „Sinne des Grundsatzes eines selbstbestimmten Lebens“ schaffen.

Das Team Stronach befürwortet auch die Persönliche Assistenz. „Eine bundeseinheitliche Regelung sollte bereits am Beginn der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden.“

Frage 3: Was werden Sie österreichweit für den Abbau von speziellen Einrichtungen für behinderte Menschen im Sinne von De-Institutionalisierung unternehmen? Welche Bedingungen werden Sie diesbezüglich im Rahmen der Verhandlungen um den Bund-Länder-Finanzausgleich stellen?

Kurzfassung der Antworten: wollen sich einsetzen (Grüne, FPÖ), ausweichend (SPÖ, ÖVP, Team Stronach)

Die SPÖ verweist auf den NAP bzw. auf die Zuständigkeit der Bundesländer. „Der Bund ist jedoch bemüht, einen Beitrag dazu zu leisten“, heißt es und man verweist auf das Pflegefondsgesetz.

Auch die ÖVP hofft, dass Pflegefonds zur De-Institutionalisierung beiträgt und die Kontrollen der Volksanwaltschaft wirken.

Die Grünen wollen sich in jedem Bundesland für den Abbau von speziellen Einrichtungen für behinderte Menschen einsetzen.

Die FPÖ erwähnt in diesem Zusammenhang das Pflegegeld und kritisiert, dass es massiv an eingebüßt hat. Etwas missverständlich hält man fest: „Höchste Priorität haben für die FPÖ nach wie vor Pflege und Betreuung im eigenen Heim.“

Frage 4: Werden Sie die Forderung nach einem bundesweit einheitlichen Persönlichen Budget für alle behinderte Menschen unterstützen?

Kurzfassung der Antworten: ja (Grüne, FPÖ, Team Stronach), eher ja (ÖVP), keine Antwort (SPÖ)

Die SPÖ beantwortet die Frage nicht und verweist auf die Antwort auf Frage 2 (Persönliche Assistenz). Die ÖVP möchte „in der nächsten Legislaturperiode“ die Möglichkeit evaluieren, hält es aber für sinnvoll.

„Die Forderung nach einem bundesweit einheitlichen Persönlichen Budget für alle behinderten Menschen ist für uns mit der bundeseinheitlichen Persönlichen Assistenz verbunden und wird von uns natürlich unterstützt“, halten die Grünen fest. Kurz und bündig die Antwort der FPÖ: „Ja, unbedingt und vorbehaltlos.“ Auch das Team Stronach unterstützt das Vorhaben.

Frage 5: Wie werden Sie in Österreich flächendeckend Barrierefreiheit im Sinne der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen durchsetzen?

Kurzfassung der Antworten: Regeln durchsetzen (Grüne, FPÖ), Bund soll handeln (SPÖ), verkennt Situation (ÖVP), unklar (Team Stronach)

Sowohl SPÖ als auch ÖVP reduzieren sich bei ihren Antworten auf den Bund und lassen die Notwendigkeit der Einbeziehung der Bundesländer völlig unbeachtet. Die SPÖ verweist auf geplante Maßnahmen im NAP. Die Antwort der ÖVP ist überhaupt haarsträubend falsch, wenn es heißt „Das Behindertengleichstellungsgesetz sieht bis 2015 die einklagbare Barrierefreiheit in allen Bereichen vor.“

Die Grünen wollen „verbindliche bundesweite Regelungen für barrierefreies Bauen im öffentlichen Bereich“, die FPÖ möchte, dass bei der Fördervergabe mehr auf Barrierefreiheit geachtet wird. Für das Team Stronach hat der Bund Vorbildfunktion.

Frage 6: Werden Sie versuchen einen Beseitigungsanspruch im Behindertengleichstellungsrecht durchzusetzen?

Kurzfassung der Antworten: ja (Grüne, FPÖ), eher ja (SPÖ), eher nein (ÖVP), Frage wurde nicht verstanden (Team Stronach)

Die SPÖ beantwortet die Frage nicht, sondern verweist auf den NAP, der eine breit angelegte Diskussion vorschlägt. Auch die ÖVP enthält sich einer Antwort und schreibt: „Die Möglichkeit einer Klage auf Unterlassung und Beseitigung muss dabei mit internationalen Regelungen verglichen und deren Durchsetzbarkeit überprüft werden.“

„Ohne Beseitigungsanspruch ist das Behinderten-Gleichstellungsgesetz zahnlos und nicht nachhaltig“, meinen hingegen die Grünen, die deswegen „in der nächsten Legislaturperiode wieder versuchen, einen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch durchzusetzen“. Klar auch die FPÖ, die für die Umsetzung eines Beseitungsanspruchs ist.

Frage 7: Ab wann sollen nach Ihrem politischen Willen keine Kinder mehr neu in Sonderschulen aufgenommen werden?

Kurzfassung der Antworten: sofort (Grüne, FPÖ), sollen auch in Zukunft aufgenommen weden (SPÖ, ÖVP, Team Stronach)

Die SPÖ verweist auf die im NAP geplanten inklusiven Modellregionen, die ÖVP zitiert das positive Beispiel Reutte; die Wahlfreiheit von Eltern soll verbessert werden.

Die Grünen sind für einen sofortigen „Aufnahmestopp neuer SchülerInnen in Sonderschulen“. „Inklusive Bildung ist sofort und mit Beginn des neuen Schuljahres umzusetzen“, antwortet die FPÖ. Deutlich ablehnend die Antwort des Team Stronach: „Es ist die Aufgabe von Experten und nicht von Politikern oder Interessensverbänden, hier von Fall zu Fall zu entscheiden, ab wann dieser sonderpädagogische Bedarf gegeben ist und soweit es möglich ist, Kinder und Jugendliche in einen normalen Schulbetrieb zu integrieren.“

Frage 8: Was werden Sie dafür tun, dass die Einstellungspflicht eingehalten wird. Sind Sie z.B. für eine Erhöhung der Ausgleichstaxe auf die Höhe von Kollektiv-Mindestlöhnen? Wie wollen Sie sicherstellen, dass in Österreich flächendeckend und einheitlich Unterstützte Beschäftigung umgesetzt wird?

Kurzfassung der Antworten: Ausgleichstaxen erhöhen (Grüne, FPÖ), abwarten ob bisherige Maßnahmen wirken (SPÖ, ÖVP), keine Änderungen notwendig (Team Stronach)

Die SPÖ verweist auf die Änderungen beim Kündigungsschutz und den nun gestaffelten Ausgleichstaxen. Man möchte erst auf die Evaluierung dieser Maßnahmen warten.

„Eine weitere Erhöhung der Ausgleichstaxe wäre unter der gegenwärtigen angespannten Wirtschaftssituation kontraproduktiv“, meint die ÖVP.

Für Erhöhungen sind die Grünen („zumindest auf den kollektivvertraglichen Mindestlohn“) sowie die FPÖ, die für das Modell einer progressiven Ausgleichstaxe eintritt. „Mit jedem behinderten Arbeitnehmer, der nicht eingestellt wird, muss die Ausgleichstaxe pro Person weiter ansteigen.“

Das Team Stronach ist dagegen, weil man mit Zwang nichts erreicht „noch dazu wenn sich die Wirtschafts-, und Arbeitsmarktsituation insgesamt in den nächsten Jahren nicht verbessern wird“.

Frage 9: Welche Maßnahmen zum Gewaltschutz für behinderte Menschen werden Sie durchsetzen?

Die SPÖ verweist auf die OPCAT-Durchführungsgesetze (Kontrollen der Volksanwaltschaft) – wieder auf eine einschlägige Maßnahme im NAP. Die ÖVP möchte „in der nächsten Legislaturperiode eine Studie über die Prävention von sexuellem Missbrauch und Gewalt“.

Die Grünen treten für „barrierefreie Frauenberatungsstellen, Frauenhäuser und Frauennotrufe (baulich und kommunikativ)“ und Empowerment-Trainings ein. Die FPÖ denkt an Änderungen in der Rechtslage zur „Verbesserung des Schutzes behinderter Menschen und Minderjähriger“. Das Team Stronach möchte wirksame und regelmäßige Kontrollen.

Frage 10: Werden Sie ein Staatssekretariat für Behindertenangelegenheiten, besetzt mit selbst behinderten ExpertInnen, einfordern und durchsetzen?

Kurzfassung der Antworten: ja (ÖVP, FPÖ), eher nein (Grüne, Team Stronach), nein (SPÖ)

Die SPÖ sieht da keine Notwendigkeit, weil ein Minister mehr politische Stärke hat. Außerdem ist dadurch die Problematik der Querschnittskompetenzen auch nicht auflösbar. Die ÖVP begrüßte die Idee eines Staatssekretariats. Die Grünen zeigen sich skeptisch und befürchten eine Placebo-Einrichtung. Für die FPÖ ist das eine hervorragende Idee. Das Team Stronach gibt zu bedenken, dass ein Staatssekretariat an sich nichts bewirkt, sondern die Regierung gewillt sein muss, entsprechende Initiativen zu setzen.

Frage 11: Bei welchen behindertenpolitischen Themen sehen Sie den größten Handlungsbedarf?

Die SPÖ verweist wiederholt auf die Inhalte des NAP, den „grundsätzlich sind alle Lebensbereiche der Menschen mit Behinderungen von Bedeutung“. Die ÖVP möchte die unantastbare Menschenwürde in der Verfassung verankert wissen. Die FPÖ ergänzt noch das Thema „Selbstbestimmtheit“ und nennt das Pflegegeld, dass keine Sachleistung werden darf.

Fazit

„Es fällt auf, dass die Bundesparteien auf das Problem der Bund-Länder-Kompetenz keine Antwort haben. Dabei könnte der Bund durchaus aktiv auf die Länder einwirken und müsste nicht so zurückhaltend sein. Der Bund-Länder-Finanzausgleich wäre durchaus eine Gelegenheit die Umsetzung der UN-Konvention mit entsprechendem Druck zu verlangen. Da müsste der Bund allerdings selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Ich fürchte, die meisten Antworten der Parteien sind halbherzig. Wo bleibt der Ruck, wirklich etwas ändern zu wollen?“ meint Prof. Volker Schönwiese (Selbstbestimmt Leben Österreich) als Fazit auf die Antworten. Nachtrag von SLIÖ am 5. September 2013: „Zu den Fragen von SLIÖ an alle Parteien gibt es jetzt auch die Stellungnahmen des BZÖ, der KPÖ und der NEO.“

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