Mit Gebärdensprache lassen sich Gedichte beschreiben, Feinmechanik unterrichten, von einer Hochzeit erzählen oder Ministerrabatte diskutieren.
Doch staatlich anerkannt wird die Sprache nicht, nicht einmal an Gehörlosenschulen und schon gar nicht durch das österreichische Parlament. Nach dem Wunsch der EU hätte sich das längst ändern sollen
Gebärdensprache ist nicht international? Überraschung macht sich breit. Tatsächlich ist es nicht nur eine Sprache, die rund um die Welt gebärdet wird, sondern es sind derer Tausende – mit eigenen Geschichten, Grammatiken, Vokabularen. Die anscheinend zutiefst menschliche Hoffnung auf eine weltweit verständliche Sprache wird immer wieder an die Gebärdensprachen geknüpft – und auch hier enttäuscht. Denn die Gebärdensprachen sind natürliche, gewachsene Sprachen. Derzeit überlegt man, ob sie in der Menschheitsgeschichte sogar noch vor der Lautsprachen entstanden. Erstaunen macht sich breit.
Überraschung, Erstaunen und massiver Zweifel waren es auch, was der amerikanische Linguist Stokoe und seine MitarbeiterInnen auslösten, als sie 1960 nach eingehenden Analysen proklamierten: Die bis dahin als pantomimische Fuchtelei wahrgenommenen Gebärden der amerikanischen Gehörlosen seien tatsächlich eine Sprache – American Sign Language.
Inzwischen ist dieser Nachweis des echten Sprachcharakters mit Mitteln der modernen Linguistik für viele Gebärdensprachen weltweit erfolgt – und hat immer wieder Menschen vor die Herausforderung gestellt, tradierte Fehlannahmen und sprachliche Intoleranz ablegen zu müssen. Grammatikalische Unterschiede zwischen Gebärden- und Lautsprachen wurden oftmals als Minderleistung der Ersteren gedeutet und ihre Gleichwertigkeit wurde kategorisch angezweifelt.
Tatsächlich kann man mit Österreichischer Gebärdensprache (ÖGS) unbegrenzt sprachlich aktiv werden: Gedichte gebärden, Feinmechanik unterrichten, von einer Hochzeit erzählen oder Ministerrabatte diskutieren. Alle Register, Nuancen und auch eine erste geschriebene Grammatik der ÖGS stehen zur Verfügung.
Die hiesige Gebärdensprachgemeinschaft umfasst circa 10.000 (zumeist gehörlose) Menschen, deren Erstsprache ÖGS ist, und weitere, die ÖGS als Fremdsprache beherrschen. ÖGS ist eine vollwertige, eingesessene österreichische Sprache … sie gehört zum traditionellen sprachlichen Reichtum Österreichs. Und trotzdem ist sie fast nicht sichtbar im öffentlichen Leben.
Als bei der letzten Volkszählung in das freie Feld zur Angabe der Sprache „Österreichische Gebärdensprache“ eingesetzt wurde, haben Volkszählorgane dies vor den Augen der gehörlosen Person wieder durchgestrichen, berichtet der Österreichische Gehörlosenbund.
Auch im staatlichen Fernsehen ist ÖGS nur wenige Minuten pro Woche sichtbar. Im gültigen Lehrplan der Gehörlosenschulen kommt ÖGS nicht vor – weder als Fach noch als Kommunikationsmittel im Unterricht.
Seit nunmehr zehn Jahren bemüht sich die Gebärdensprachgemeinschaft um rechtliche Anerkennung der ÖGS. Sie ersucht um eine schützende Verankerung ihrer besonderen Sprache, will sie an die Kinder weitergeben und erklärt unermüdlich – aber ohne gehört zu werden -, dass ÖGS einen fixen Platz im Bildungswesen für Gehörlose bekommen muss, dass die vielen hörenden LehrerInnen in ihren Schulen ÖGS-kompetent sein sollten. Vom Lehrberuf sind sie selbst als „Behinderte“ nämlich per Gesetz ausgeschlossen.
Wollen gehörlose Menschen in den Urlaub fliegen, dann überlegen sie, am Flughafen ihre Gespräche einzustellen – denn Vorfälle, in denen gehörlosen Gebärdensprach-BenutzerInnen der Mitflug trotz gültigen Tickets verweigert wurde, sind bekannt. Um der Diskriminierung zu entgehen und den Urlaub nicht zu gefährden, versteckt man seine Sprache. Mitgefühl und schöne Worte wurden dem Thema vonseiten der Politik gewidmet – aber parlamentarische Anträge über die Anerkennung der ÖGS als Erstsprache der Gehörlosen wurden immer wieder niedergestimmt.
Dies erscheint seltsam angesichts der eindeutigen internationalen Trends: 1988 und wieder 1998 signalisierte das Europäische Parlament per Resolution, man möge den nationalen Gebärdensprachen Europas rechtliche Anerkennung widerfahren lassen. Sogar der Europäische Rat hat am 2. April 2003 eine Empfehlung verabschiedet, „um die Rechte der GebärdensprachbenützerInnen am europäischen Kontinent zu sichern“.
Bisher haben rund die Hälfte der EU-Mitgliedsstaaten ihre nationale Gebärdensprache anerkannt und rechtlich verankert. Es bleibt zu hoffen, dass auch Österreich sich seines sprachlichen Erbes bald bewusst wird.