Unheimlich heimlich: Tödliche Heime und „Präklinische Triage“

"Inklusion ist ein Menschenrecht. Für manche Menschen ist die Heimunterbringung während der Pandemie zur tödlichen Falle geworden."

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Dies schreibt der Journalist Franz-Josef Hanke in seinem Beitrag für die kobinet-nachrichten, in dem er sich mit tödlichen Heimen und der präklinischen Triage beschäftigt.

Beitrag von Franz-Josef Hanke

Inklusion ist ein Menschenrecht. Für manche Menschen ist die Heimunterbringung während der Pandemie zur tödlichen Falle geworden.

Das angeblich „schützende Heim“ in der Lebenshilfe Sinzig wurde für zwölf behinderte Bewohner zum unentrinnbaren Grab. „Beschützt“ wurden sie in der Einrichtung bei der hereinstürzenden Flut nicht ausreichend. Mangel an Hilfspersonal und möglicherweise auch eine Fehleinschätzung ihrer Fähigkeiten kosteten die Bewohner der Einrichtung unweit der Einmündung der Ahr in den Rhein das Leben.

Auch während der Corona-Pandemie erwiesen sich viele Pflegeheime als gefährliche Orte. Nicht nur Besuch empfangen konnten selbst sterbenskranke Bewohnerinnen und Bewohner monatelang nicht, sondern auch hinaus durften die meisten nicht. Der Weg vom Pflegeheim ins Krankenhaus blieb ihnen häufig versperrt.

Offiziell gibt es in Deutschland keine Triage. Anderslautende Meldungen lassen sich schwer erhärten. Noch schwieriger ist die Debatte über die sogenannte „präklinische Triage“.

„Triage“ ist ein Begriff aus der Kriegs- und Katastrophenmedizin. Darunter verstehen Notfallmediziner und Militärs die Einteilung von Kranken und Verwundeten in grob drei Gruppen.

Die erste Gruppe umfasst diejenigen, die man sofort behandeln muss, weil sie dann noch große Überlebenschancen haben. Die zweite Gruppe machen diejenigen aus, die man danach behandelt, weil ihre Versorgung entweder nicht dringend erforderlich ist oder weil ihre Heilungsaussichten eher fraglich erscheinen.

Die dritte Gruppe schließlich sind all die, denen die Behandelnden nur geringe Heilungschancen zusprechen und die man darum ohne medizinische Hilfe einfach krepieren lässt.

So brutal, wie diese Erklärung klingt, so unmenschlich ist das Vorgehen auch. Bereits während der ersten Corona-Welle haben Berichte über Triage im norditalienischen Bergamo die Menschen in Europa zu Recht entsetzt und erschüttert. Ein späterer Bericht eines Arztes über Triage in einer sächsischen Klinik wurde hingegen umgehend nach seiner Verbreitung massiv dementiert.

Über „präklinische Triage“ wurde zunächst aus Frankreich und Spanien und zuletzt auch aus Indien berichtet. In Frankreich und Spanien seien viele Kliniken nicht bereit gewesen, Patientinnen und Patienten aus Pflegeheimen aufzunehmen und hätten diese Einrichtungen aufgefordert, sie im Heim zu „behandeln“. Ähnliche Berichte gab es vereinzelt auch aus Spanien.

Ob dergleichen auch in Deutschland geschehen ist, bleibt unklar. Auf eine „unfreiwillige“ präklinische Triage weist jedoch ein Vorfall im Altenpflegeheim „Waldblick“ in Marburg hin, über den die Oberhessische Presse (OP) am 17. Dezember 2020 unter der Überschrift „Keine Pfleger mehr Hilfeschrei aus Marburger Altenheim“ berichtete:

https://www.op-marburg.de/Marburg/Keine-Pfleger-mehr-Hilfeschrei-aus-Marburger-Altenheim

Zu denken gibt auch das starrsinnige Beharren des Gesundheitsministers Jens Spahn beim sogenannten „Intensivpflege- und Respirationsgesetz“ (IPReG).

Darin hat er eine indirekte Heimpflicht angeordnet mit der Begründung, die Betroffenen bekämen in Einrichtungen doch sicherlich bessere medizinische Hilfe. Diese paternalistische Bevormundung aus angeblichem Wohlwollen heraus lieferte vor 50 Jahren auch dem Euthanasie-Arzt Dr. Aquirin Ulrich die Rechtfertigung für seine Beteiligung am systematischen Massenmord behinderter Menschen als „Personen, die keiner menschlichen Regung fähig“ seien und „für die der Tod eine Erlösung“ gewesen sei.

Das soll keine Gleichsetzung von Vorgängen im Jahr 2021 mit der NS-Euthanasie sein, sondern auf ähnliche Denkstrukturen „sozialdarwinistischer“ und „ableistischer“ Vorstellungen aufmerksam machen, die leider bis heute immer noch die „Wohlmeinende“ Bevormundung Behinderter rechtfertigen wollen. Gerade wegen solcher fortbestehender Denkmuster meinen manche Behinderte ja, betonen zu müssen, dass sie „behinderte Menschen“ oder „Menschen mit Behinderung“ sind, was eigentlich keiner Erwähnung und Klarstellung bedürfen sollte.

Gerade aber angesichts von Denkmustern wie dem sogenannten „Ableismus“ und der angeblich wohlwollenden Bevormundung war die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) so wichtig, die ein „Recht auf Inklusion“ festschreibt. Allein schon die berechtigte Furcht vor einer präklinischen Triage und einer Aussonderung aus der qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung wird viele Behinderte dazu bringen, Heime als unheimlich und gefährlich wahrzunehmen. Wer wird wohl freiwillig in ein Heim gehen, wenn er dort nicht mehr lebend herauskommt?

Ohnehin ist das Wort „Heim“ ein verharmlosender Euphemismus. Machtstrukturen in Heimen haben in den 50er und 60er Jahren sowie sogar noch bis in die 70er hinein zahlreiche Skandale von sexueller und körperlicher Gewalt ermöglicht. Sogenannte „Verschickungskinder“ waren davon ebenso betroffen wie behinderte Kinder und Jugendliche.

Darum ist nach dem Abflauen der Pandemie eine umfassende Aufarbeitung aller problematischen Entscheidungen einschließlich der Ausgrenzung von Behinderten aus der Priorisierung ebenso erforderlich, wie eine lückenlose und ehrliche Untersuchung möglicher Fälle von Triage oder präklinischer Triage.

Analog dem Entscheid des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum sogenannten „Luftsicherheitsgesetz“ ist auch Triage verfassungswidrig, da der Staat kein Menschenleben zugunsten eines anderen „opfern“ darf. Vielmehr müssen alle Verantwortlichen dafür sorgen, dass es ausreichende und auch behindertengerechte Formen einer Gesundheitsversorgung für alle gibt. Diese Forderungen müssen alle Parteien vor der Bundestagswahl unterschreiben, wenn sie für behinderte Bürgerinnen und Bürger wählbar sein wollen.

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