USA: John Fettermans Sieg gegen den dis-/ableistischen Diskurs in der Politik

In den Mid-Term Elections am 8. November 2022 konnte sich der Demokrat John Fetterman (53) im Kampf um einen Senatssitz für den US-Bundesstaat Pennsylvania klar gegen den zuvor vor allem als TV-Arzt bekannten Trump-Freund Mehmet OZ (62) durchsetzen. Er konnte 50,7 % der Stimmen holen, in einem Wahlkampf, der zuvor als Kopf and Kopf Rennen eingestuft wurde. Er wird sein Mandat als US-Senator am 3. Jänner 2023 antreten.

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Dies ist aus einer Disability Studies Perspektive deshalb interessant, da John Fetterman vor einem halben Jahr einen Schlaganfall hatte und sich im Wahlkampf noch in der Phase der Rekonvaleszenz befindet.

Dieser Beitrag wird sich folglich auch gar nicht mit Fettermans politischen Positionen und deren Auswirkung auf seinen Sieg beschäftigen, sondern nur mit dem Diskurs um ihn als politischen Kandidaten mit bestimmten Beeinträchtigungen. Aufgrund einer noch verbleibenden auditiven Störung verwendete er bei TV-Auftritten schriftliche Untertitel (closed captioning), um die Fragen richtig erfassen zu können.

Spätestens seit dem TV-Duell zwischen den beiden Rivalen wurde der Gesundheitszustand des Demokraten ein wichtiges Thema der Medienberichterstattung und -spekulation. Tatsächlich unterliefen dem Politiker Fehler, er versprach sich, redete undeutlich oder sprach Wörter falsch aus.

Dies wurde im Nachhinein nicht nur von den politischen Gegner:innen als wahlrelevant eingestuft, sondern löste auch heftige Reaktionen auf Twitter aus. Der Journalist Andrew Feinberg twitterte:

Sorry Democrats, but Fetterman lost the race tonight. He’s in no way able to communicate clearly or effectively, and agreeing to this debate was political malpractice in the first degree. Whoever told him to do is should be finished in electoral politics.

Auch die Journalistin Olivia Nuzzi ließ einen scheinbar gut gemeinten Tweet los:

There is no amount of empathy for and understanding about Fetterman’s health and recovery that changes the fact that this is absolutely painful to watch.

Bei seinem ersten TV-Interview beim Sender NBC verwendete der Politiker auch einen sehr sichtbaren Bildschirm von dem er die Fragen als Untertitel ablas und wurde deshalb mit besonders penetrant kritischen Fragen über seinen Gesundheitszustand und damit einhergehend seiner Eignung für das politische Amt konfrontiert.

Er wurde auch aufgefordert, sämtliche Informationen zu seinem Gesundheitszustand offenzulegen oder seine Ärzt:innen eine Pressekonferenz geben zu lassen. Dieses besondere Augenmerk auf den gesamten Gesundheitszustandes eines Kandidaten mit Behinderung wird in den (sozialen) Medien jedoch auch heftig kritisiert, zumal der Politiker ärztliche Stellungnahmen vorweisen kann, die bestätigen, dass er sich gut erholt hat und aus gesundheitlicher Sicht geeignet für das Amt ist.

Auch andere Expert:innen in den Medien stimmen zu und weisen darauf hin, dass es unzulässig sei, von Problemen bei der Aussprache oder der auditativen Wahrnehmung auf die kognitive Leistungsfähigkeit zu schließen, obwohl gerade ersteres im Alltag nicht unüblich ist.

Zudem ist es unzulässig von der Tatsache, dass eine Person einen Job nur unter Zuhilfenahme bestimmte Anpassungen oder Hilfsmittel erledigen kann, zu schließen, dass sie insgesamt schlechter geeignet sei für diesen Job als Menschen, die solcher Hilfsmittel nicht bedürfen.

In diesem Zusammenhang meldeten sich auch Disablity Aktivist:innen zu Wort welche in Tweets wie den oben angeführten sehen, dass Beeinträchtigungen immer noch stark stigmatisiert und mit Schwäche und genereller Unfähigkeit assoziiert werden, die wie Nuzzi’s Tweet zeigt selbst bei gut Gesinnten Unbehagen hervorruft. Die Journalistin Erin Biba drückt dies so aus:

The thing about her [Nuzzi] saying this quiet part out loud is that it’s likely the majority of abled people feel this way and cannot or will not admit it, not even to themselves. Ableism truly is that ingrained in abled society.

Dabei war die Fitness von Politiker:innen immer wieder Thema in den Medien, vor allem wenn diese älter sind und Fehler in der Aussprache machen oder ungewöhnliche Sprachmuster aufweisen. In den USA wurden sowohl Trump als auch Biden vom politischen Gegner als altersdebil und aus gesundheitlichen Gründen ungeeignet fürs Amt bezichtigt, im österreichischen Wahlkampf gab es ähnliche Anschuldigungen gegen Alexander Van der Bellen.

Zwei der erfolgreichsten US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt und John F. Kennedy mussten ihre Beeinträchtigungen verstecken. Diese selbst konnten ihre Erfolge nicht stoppen, doch konnten oder wollten sie es sich nicht leisten, als behindert und damit schwach wahrgenommen zu werden.

Eric Buehlmann, Policy Directer des National Disability Networks und früher im Senat tätig, kritisiert auch, dass von der Performance bei einem verbalen Schlagabtausch im TV, bei dem es vor allem darum geht, blitzschnell Soundbites für die Medien zu produzieren, auf die Leistungsfähigkeit im Kongress geschlossen wird.

You are not making snap decisions in milliseconds, you are not sitting there waiting to push the red nuclear button. You spend a lot of time talking with other members, you spend a lot of time debating and thinking and putting down those thoughts on paper  … those are things that I saw that Fetterman is eminently capable of doing.

Demnach liegt der Dis-/Ableismus darin, von Schwierigkeiten beim spontanen Ausdruck im Rahmen des TV-Duells einerseits und dem Bedarf an schriftlichen Untertiteln anderseits unberechtigterweise auf eine verringerte Eignung für die politische Tätigkeit zu schließen.

Andere Stimmen wie Maria Town, Präsidentin und Geschäftsführerin der American Association of People with Disabilities, gehen noch weiter. Sie kritisiert die kulturelle Funktion des gegenwärtigen Diskurses rund um die gesundheitliche Eignung für politische Ämter („fit for office“) als diskriminierend.

Was wäre, wenn in Fettermans Fall (leichte) kognitive Defizite zurückgeblieben wären, würde dies ihn dann automatisch ungeeignet machen? Diese Frage ohne weiteres Nachdenken pauschal mit Ja zu beantworten, sei demokratiepolitisch und hinsichtlich der Repräsentation von marginalisierten Gruppen zumindest problematisch. Ähnliches meint auch die politische Beraterin und Gemeinschaftsorganisatorin für Behinderungsthemen Sara Blahovec.

To say that anyone with a cognitive disability is inherently disqualified from serving in an elected office is just a really big claim that alienates millions of people.

Im Wahlkampf wurde zudem von Behinderungsaktivist:innen befürchtet, dass das Misstrauen, das Fettermans Eignung entgegenbracht wird, andere Menschen davon abbringen könnte, die eigenen Beeinträchtigungen so offen zu legen wie dieser und sie eher geneigt sein werden, die Route von FDR und JFK zu nehmen.

Dass der Kandidat aber trotz der Angriffe und Stigmatisierung gewonnen hat, könnte jedoch eine Signalwirkung in die richtige Richtung sein. Auch die Tatsache, dass nun eine Person mehr den normalen Kongress-Alltag mit technischen Hilfsmitteln bestreitet. Dazu meint die feministische Disability Studies Forscherin Rosemarie Garland-Thomson.

Witnessing people who have pretty significant disabilities doing a job that we imagine they can’t do is itself an important function.

Zudem widerspricht der groß gewachsene Politiker mit seiner kräftigen Statur und seinem Arbeiterklassen-Habitus der Gleichsetzung von Behinderung bzw. der Benützung von Hilfsmittel mit Schwäche, so dass seine zukünftige Präsenz als sichtlich „Behinderter“ auch diesbezüglich gute Wirkungen bringen könnte.

Dieser Artikel erschien zuerst im DiStA – Disability Studies Austria.

Update: Die Angriffe auf John Fetterman gehen auch nach der Wahl unvermindert weiter (siehe FOX NEWS). Er wird sein Mandat als US-Senator am 3. Jänner 2023 antreten.

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