Van der Bellen: „Soweit sind wir in diesem Land?“

Rede des Klubobmann der Grünen, Prof. Van der Bellen, am 29. Oktober 1999 im Parlament:

Alexander Van der Bellen
GRÜNE

Wien, vor der Wahl, in einer Straßenbahn. Eine etwas gehbehinderte Frau steigt ein.

Als Ausländerin oder jedenfalls als naturalisierte Österreicherin, jedenfalls als irgendwie fremdländisch erkennbar an ihrem Kopftuch, steigt also ein in die Straßenbahn.

Ein Mann steht auf und macht ihr Platz. Daraufhin erbitterte, lebhafte Diskussion in diesem Straßenbahnwaggon. „Herst was machst der Tschuschin Platz?“

Soweit sind wir in diesem Land? Es ist unfaßbar. Wie nahe hier Fremdenfeindlichkeit, Xenophobie, Menschenverachtung und Herrenmenschentum unseligen Angedenkens beinander liegen, daß muß man sich an dieser kleinen Geschichte einmal klar machen.

Eine unbedeutende Geschichte und doch weckt sie Erinnerungen – zumindest in mir und ich hoffe in vielen anderen auch – an das Polen der frühen vierziger Jahre, wo Polen den Gehsteig zu verlassen hatten, wenn ein deutscher Herrenmensch dahergeschritten kam.

Das ist ein Einzelfall. Gewiß. Hoffen wir, daß es ein Einzelfall ist. Aber die Einzelfälle häufen sich. Die Salonfähigkeit bestimmter Äußerungen nimmt zu. Ich bin überzeugt, daß die meisten von Ihnen das erfahren haben.

[in Richtung FPÖ]
Sie nicht allein verantwortlich, das ist keine Frage. Aber sie sind doch mitverantwortlich. Jede Partei, die einen Wahlkampf dieser Art in Wien führt, muß es sich gefallen lassen, als mitverantwortlich für diese Entwicklung bezeichnet zu werden.

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