Veranstaltungsreihe zu Hitlers Euthanasie-Ermächtigung

1999 jährt sich zum 60. Mal Hitlers Euthanasie- Ermächtigung zur "Vernichtung von lebensunwertem Leben".

Opfer der NS-Zeit
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes

Dies ist Anlaß für die Veranstaltungsreihe „Zur Geschichte und Aktualität des Medizinischen Tötens“, die gemeinsam von der Bezirksvorstehung Brigittenau, der Volkshochschule Wien, dem Gymnasium Unterbergergasse, dem Stadtschulrat für Wien, dem Wiener Schulmuseum sowie dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes organisiert wird.

Am Mediengespräch nahmen Gesundheitsstadtrat Dr. Sepp Rieder, der Bezirksvorsteher des 20. Bezirkes, Karl Lacina, Mag. Waltraud Häupl, Organisatorin und Schwester eines Opfers, Alois Kaufmann, Opfer, Zeitzeuge und Autor, Mag. Hannah Lessing, Generalsekretärin des Nationalsfonds der Republik Österreich, Dir. Mag. Alfred Pinker, Direktor des Gymnasiums Unterbergergasse und Marcus Thill, Schauspieler und Regisseur, teil.

Zeitzeugen und überlebende Opfer finden zusammen
„Die jetzige Veranstaltungsreihe ist auch ein Beweis dafür, daß mit den Diskussionen rund um die geplante Bestattung von mehr als 400 Leichenteilen von Euthanasieopfern ein eigenständiger und eigendynamischer Prozeß der Aufarbeitung der seinerzeitigen Geschehnisse eingesetzt hat“, betonte Wiens Gesundheitsstadtrat Dr. Sepp Rieder.

An diesem Prozeß seien mittlerweile nicht nur offizielle Stellen, sondern vor allem auch Betroffene sowie Angehörige von Betroffenen beteiligt. Rieder: „Vielen Opfern von damals wurde ihr Schicksal durch diese mannigfaltigen Aktivitäten wieder bewußt und hatten nach Jahrzehnten erstmals Gelegenheit, andere Betroffene regelmäßig zu treffen.“

Was hier geschehe, sei nicht nur Aufklärung und Aufarbeitung, sondern für viele Opfer und Angehörige auch tatsächliche Trauerarbeit. „Umso mehr möchte ich mich für das Engagement aller Beteiligten bedanken“, betonte der Gesundheitsstadtrat.

„In der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte hat das Thema der Euthanasie im 3. Reich bisher noch wenig Beachtung gefunden“, erläuterte der Bezirksvorsteher des 20. Bezirkes, Karl Lacina. „Nun jährt sich einerseits zum 60. Mal die Unterzeichnung jenes Dokumentes, das den ganzen Krieg hindurch als Rechtsgrundlage` für die Ausrottung lebensunwerten Lebens diente, andererseits wird aktuell die Diskussion um Sterbehilfe und Gnadentod geführt.“

Sinn der Veranstaltungsreihe sei daher nicht nur die geschichtliche Betrachtung, sondern auch das Ingangsetzen von Diskussionsprozessen. Gleichzeitig zeige die Veranstaltungsreihe, wie vielfältig die Auseinandersetzung mit einem so sensiblen und wichtigen Thema geführt werden kann. Im Bereich der Kunst schreibend, Theater spielend, vor Publikum lesend, malend und filmend, im Bereich der Wissenschaft analysierend, dokumentierend und diskutierend, erklärte Lacina.
Entscheidung zur Bestattung war Initialzündung
In Wien war die damalige Kinderklinik „Am Spiegelgrund“ auf dem Gelände des heutigen Psychiatrischen Krankenhauses Baumgartner Höhe ein Zentrum der planmäßigen Vernichtung „lebensunwerter“ Kinder und Jugendlicher.

Der Beginn der Aufarbeitung der dortigen Ereignisse im Jahr 1997 war Initialzündung für eine Vielzahl weiterer Aktivitäten, die von Forschungsaufträgen und Stipendien, über ein Symposium zur Psychiatrie in der NS-Zeit bis zur aktuellen Veranstaltungsreihe reichen.

Im Zentrum aller Aktivitäten offizieller Stellen sowie von Betroffenen und deren Angehörigen steht das Gedenken an eine lange Zeit kaum präsente Opfergruppe, nämlich Kinder und Jugendliche, die gedemütigt, gefoltert und getötet wurden.

Am Anfang stand der Entschluß der Stadt Wien, mehr als 400 Gehirne bzw. Gehirnteile von in der Kinderklinik „Am Spiegelgrund“ getöteten Kindern zu bestatten. In der Folge fand die erste große Veranstaltung zu diesem Thema, das von der Stadt Wien organisierte internationale Symposium „Zur Rolle der Wiener Psychiatrie in der NS-Zeit“, im Jänner des Vorjahres statt.

Auch stellte die Stadt Wien die Opfer der NS-Euthanasie im Mittelpunkt des ersten österreichweiten „Gedenktages gegen Gewalt und Rassismus“ am 4. Mai 1998. Schauplatz für die dreitägigen „Wiener Gespräche“ über Medizin im Nationalsozialismus war im November des Vorjahres ebenfalls das Psychiatrische Krankenhaus Baumgartner Höhe.

Unabhängig davon unterstützte der Wiener Krankenanstaltenverbund mehrere wissenschaftliche Publikationen zu einschlägigen Themen. Darunter befinden sich die medizinhistorische Dissertation von Matthias Dahl, Universität Göttingen, „Endstation Spiegelgrund“ und die Dissertation von Susanne Mende, Universität Freiburg, über die „T4-Aktion in der Psychiatrischen Anstalt Wien Steinhof 1940 bis 1941“.

Weiters vergab der Krankenstaltenverbund ein Diplomandenstipendium zum Thema „Sterilisierung von Kranken und Behinderten“ und wird eine Doktorarbeit unter anderem zum Thema „Wilde Euthanasie“ fördern.

Voruntersuchungen gegen Dr. Gross abgeschlossen
Im Rahmen der Voruntersuchungen gegen Dr. Heinrich Gross wurden Anfang 1998 insgesamt 67 Leichenteile von Euthanasieopfern und 843 Krankengeschichten beschlagnahmt.
Dies ist der Grund, warum derzeit eine Bestattung der sterblichen Überreste der Opfer nicht möglich ist. Die Vorerhebungen gegen Dr. Gross wurden am 18. Dezember 1998 abgeschlossen, ebenfalls liegt bereits ein „historisches Sachverständigengutachten“ vor.

Voraussichtlich noch im März 1999 ist mit der Vorlage des Vorhabensberichtes durch die Staatsanwaltschaft Wien zu rechnen.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich