Verfassungsbestimmung – Wir haben es geschafft!

In der Aprilnummer von BIZEPS-INFO berichteten wir unter dem Titel "Behindertenrechte bald in der Verfassung" über den aktuellen Stand.

Parlament
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Unser damaliger Optimismus war auch gerechtfertigt, denn am 26. Juni 1997 wurde im Verfassungsausschuß des Parlaments beschlossen, dem Artikel 7 des Bundes-Verfassungsgesetzes folgende Sätze anzufügen: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.“

Es ist geplant, diese Verfassungsänderung noch vor der Sommerpause des Parlaments, in der zweiten Juliwoche im Plenum des Nationalrates zu beschließen. Inkrafttreten wird unser Diskriminierungsverbot voraussichtlich am 1. August 1997.

Damit ist es der Österreichischen Behindertenbewegung erneut – nach der von uns initiierten und erkämpften Einführung der Pflegevorsorge – gelungen, im notwendigen Kampf um unsere Rechte erfolgreich zu sein. Vor allem aber ist dies ein Sieg der Österreichischen Selbstbestimmt Leben Bewegung, auf den wir stolz sein können.

Von der von uns „erfundenen“ Unterschriftenaktion über die Formulierung der Ziele des Gesetzestextes bis hin zu den konkreten Verhandlungen mit den Klubobleuten der Regierungsparteien lagen alle wesentlichen und schließlich zum Erfolg führenden Schritte in den Händen unserer Bewegung.
Während andere Vereine noch immer glaubten, sie könnten durch eine Verfassungsänderung ihre Finanzierung absichern (was sich als völlig unrealistisch herausstellte und unter JuristInnen ungläubiges Kopfschütteln auslöste), hatten wir in der BIZEPS-„Arbeitsgruppe Gleichstellung“ schon längst verschiedene Vorschläge für eine Novellierung der Bundesverfassung diskutiert, einen optimalen und auch realistischen Textvorschlag ausgearbeitet und den Parlamentsklubs zugeleitet.

Wir waren es auch, denen es gelang, die Klubobmänner der beiden Regierungsparteien in persönlichen Gesprächen von der Notwendigkeit einer raschen Realisierung dieses Projektes zu überzeugen. Aber noch im letzten Augenblick schien es fraglich, ob es vor dem Sommer zu einer Beschlußfassung kommt und welcher Textvorschlag jetzt genommen wird. Hatten wir die SPÖ mittlerweile davon überzeugen können, daß der Vorschlag der ÖVP den Bedürfnissen unserer Personengruppe am nächsten kommt, kamen der ÖVP ob ihres richtungsweisenden Textes arge Bedenken:

Die Rede war von späterer Beschlußfassung und einer abgemagerten Version; so wollte man den wichtigen Passus „in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten“ eliminieren. Aber auch die SPÖ zeigte in der „heißen“ Schlußphase plötzlich Gelüste, ihren Text abzuändern.

Wir können es vor allem dem unerschrockenen und beharrlichen Einsatz der Grünen Behindertensprecherin in Theresia Haidlmayr verdanken, daß es zur Abstimmung über den (besseren) ÖVP-Vorschlag gekommen ist. Erst wenige Stunden vor Beginn der entscheidenden Ausschußsitzung konnte sie die Zustimmung der beiden Regierungsparteien erreichen. Grund zur Freude können wir auch haben, weil der nunmehr beschlossene Text sich weitestgehend mit dem Vorschlag der „Arbeitsgruppe Gleichstellung“ deckt bzw. alle wesentlichen Elemente enthält. Wir dürfen dies auch als eine Anerkennung unserer konsequenten Arbeit werten.

Die Selbstbestimmt Leben Bewegung hat bewiesen, daß sie imstande ist, politische Konzepte zu entwickeln, Kampagnen zu führen und diese auch zum Erfolg zu führen. Unsere Bewegung hat damit bewiesen, wie man es macht. Sie hat damit aber auch den Beweis erbracht, daß sie zu einem unübersehbaren Faktor im Kampf um die Rechte behinderter Menschen in Österreich geworden ist.

Text der Verfassungsbestimmung

Abänderungsantrag zum Antrag 494/A:

In Art. 7 Abs. 1 des Bunds-Verfassungsgesetzes werden folgende Sätze angefügt:
„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.“

Der Weg zur Verfassungsbestimmung

Hier die Fortsetzung, zuerst aber ein kleiner Rückblick:

17. Oktober 1996: Das Hearing erreicht – trotz anfänglicher Widerstände – eine Zuweisung (28. Oktober 1996) der Petition an den Verfassungsausschuß.

20. Feber 1997: Der Verfassungsausschuß tagt und verschickt die Anträge zur Stellungnahme (25. Feber 1996).

26. Juni 1997: Der Verfassungsausschuß beschließt mit den Stimmen aller Parteien den Abänderungsantrag zum Antrag 494/A. In Art. 7 Abs. 1 des Bundsverfassungsgesetzes werden folgende Sätze angefügt: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.“

9. Juli 1997: Das Plenum des Parlaments beschließt die Verfassungsänderung.

Kommentare

„Ich freue mich, daß damit eine langjährige Forderung behinderter Menschen erfüllt werden kann und sich nunmehr auch Bund, Länder und Gemeinden um die Förderung und Unterstützung von behinderten Menschen zu kümmern und auf deren Gleichbehandlung in allen Bereichen hinzuwirken haben“, so die Behindertensprecherin der ÖVP, Abgeordnete Maria Rauch-Kallat, nach dem Ausschuß.

„Die intensiven Verhandlungen der Parteien bis unmittelbar vor dem Ausschuß zeigten Wirkung.“ erinnerte die grüne Abgeordnete Theresia Haidlmayr. Doch nun schließt sich Österreich „dem internationalen Trend, Behindertenrechte in der Verfassung zu verankern, an. Für die Grünen und für die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung ist dies ein großer Erfolg und ein wichtiger Schritt in Richtung Durchsetzbarkeit von Rechten behinderter Menschen“.

Für den sozialdemokratischen Klubobmann, Dr. Peter Kostelka, ist klar, daß damit sicherlich „nicht alle Probleme von Behinderten, die sie im täglichen Leben haben, aus der Welt geschafft“ werden, trotzdem ist die Verfassungsänderung „ein unüberhörbares Signal, das seine Wirkung nicht verfehlen wird.“

„Die Arbeit beginnt erst“ meint der Sozialsprecher des Liberalen Forums, Abgeordneter Dr. Volker Kier, denn „statt sich nun dafür auf die Schulter zu klopfen, daß alle fünf Parteien reichlich spät zu einer grundsätzlichen Einigung gefunden haben, wird es ab nun darum gehen, diese verfassungsrechtliche Verankerung auch auf der einfachgesetzlichen Ebene umzusetzen“.

Deutlicher sprach es der Klubobmann der ÖVP, Dr. Andreas Khol, in einem persönlichen Gespräch wenige Monaten zuvor aus: „Eine Verfassungsänderung ist für Behinderte nur ein erster Schritt – Ihr Ziel ist sicherlich ein Antidiskriminierungsgesetz“ – Stimmt.

Begründung zum Antrag zur Verfassungsänderung

Weil die Verfassungsänderung für alle von uns sehr bedeutsam ist, wollen wir unseren LeserInnen, die Begründung für diesen Antrag nicht vorenthalten.

„Mit dem vorliegenden Antrag soll an das allgemeine Gleichheitsgebot in Art. 7 Abs. 1 der Bundesverfassung ein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung von Behinderten angefügt werden. Diese Regelung ist analog dem mit einer Novelle im Jahr 1994 im Bonner Grundgesetz eingefügten Diskriminierungsverbotes gestaltet.

Die vorgeschlagene Novellierung erscheint deswegen notwendig, da es noch immer nicht selbstverständlich sein dürfte, behinderte Menschen im alltäglichen Leben wegen ihrer Behinderung nicht zu diskriminieren. Daher soll in einem neuen Art. 7 Abs. 1 nicht nur eine Nichtdiskriminierungsklausel aufgenommen werden, sondern auch ein Bekenntnis der Republik aufgenommen werden, auf die Gleichbehandlung von behinderten Menschen in allen Bereichen hinzuwirken.

Diese Bestimmung ist als Staatszielbestimmung ausgestattet, die allen Gebietskörperschaften die Verpflichtung auferlegen soll, sich vermehrt um die Förderung und Unterstützung von behinderten Menschen zu kümmern und auf deren Gleichbehandlung in allen Bereichen hinzuwirken. Derartige Staatszielbestimmungen wurden unterm anderem bereits mit dem Bekenntnis Österreichs zur umfassenden Landesverteidigung und mit dem Bundesverfassungsgesetz über den umfassenden Umweltschutz verwirklicht.

Gemäß der bisherigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum Gleichheitssatz verbietet dieser es dem Gesetzgeber, andere als sachlich begründbare Differenzierungen zu schaffen. Nur dann, wenn gesetzliche Differenzierungen aus entsprechenden Unterschieden tatsächliche ableitbar sind, entspricht das Gesetz dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz. Es wird daher regelmäßig geprüft, ob eine rechtliche Differenzierung mit tatsächlichen Unterschieden in einer Weise korrespondiert, die sachlich gerechtfertigt werden kann.

Diese innere Gehalt des Gleichheitssatzes soll durch das explizite Verbot der Diskriminierung von Behinderten nicht verändert, sondern zusätzlich bekräftigt werden, daß auch bei einer auftretenden Ungleichbehandlung von behinderten Menschen der Verfassungsgerichtshof diese immer auf ihre sachliche Rechtfertigung zu überprüfen hat. Die vorliegende Nichtdiskriminierungsklausel verbiete demgegenüber aber nicht eine Bevorzugung Behinderter, sondern erlaubt und fordert sie in einem dem gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum überlassenen Umfang. Eine Drittwirkung wird mit dieser Bestimmung nicht begründet.“

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