Verfassungsgerichtshof berät über Sterbehilfe

„Wir wollen uns nicht dafür rechtfertigen müssen, noch zu leben oder anderen zur Last zu fallen“ - Menschen mit Behinderungen müssen vom Verfassungsgerichtshof gehört werden! Ein Kommentar von Franz-Joseph Huainigg.

Verfassungsgerichtshof Österreich
Verfassungsgerichtshof

Der Verfassungsgerichtshof berät diese Woche über die Frage, ob aktive Sterbehilfe erlaubt werden soll. Bei der Sterbehilfe gibt es vor dem VfGH vier Antragssteller, darunter zwei Schwerkranke, ein Arzt, sowie ein Ehemann, der seine Frau beim Suizid unterstützt hat und dafür verurteilt wurde.

Sie sehen durch die bestehende Rechtslage, wie sie sagen, „leidende Menschen gezwungen, entweder entwürdigende Verhältnisse zu erdulden oder – unter Strafandrohung für Helfer – Sterbehilfe im Ausland in Anspruch zu nehmen“.

Am 24. September 2020 werden ExpertInnen zu einer Anhörung geladen. Dabei muss die Stimme von Menschen mit Behinderungen gehört und mitberücksichtigt werden! Wir wollen uns nicht, so wie in den Niederlanden, dafür rechtfertigen müssen, dass wir anderen durch unseren Betreuungs- und Pflegebedarf zur Last fallen und überhaupt noch am Leben sind.

Der Wunsch zu sterben hängt meistens mit Perspektivlosigkeit, Schmerzen und Einsamkeit zusammen und muss daher als Hilferuf für eine Verbesserung der Lebenssituation gesehen werden. Die Frage ist, wie dieser scheinbaren Aussichtslosigkeit begegnet werden kann?

Enquetekommission „Würde am Ende des Lebens“

Bei der parlamentarischen Enquetekommission „Würde am Ende des Lebens“ 2015 sind alle Parteien auf Basis der angehörten über 200 FachexpertInnen übereingekommen, dass in Österreich die Palliativ- und Hospizbetreuung weiter ausgebaut werden soll. Am Verbot der Sterbehilfe soll hingegen festgehalten werden. Diesen österreichischen Weg halte ich für notwendig weiter zu gehen.

Ist Sterbehilfe einmal für Ausnahmefälle eingeführt, steigt die Zahl der assistierten Suizide immer mehr. Aus dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben wird für manche Menschen schnell die vermeintliche Pflicht, anderen nicht zur Last zu fallen. Und wer entscheidet für jene, die nicht mehr selbst entscheiden können?

Hilfe zur Selbsttötung sollte keine Antwort sein auf Not und Verzweiflung, auf Ängste und Sorgen. Wir brauchen verstärkt eine Kultur des Beistandes und eine Kultur des Lebens.

Meine Rede vom 7. November 2014 im Rahmen des Auftaktes der parlamentarischen Enquete Kommission: „Würde am Ende des Lebens“. Damals war ich ÖVP-Behindertensprecher; nun bin ich Vorstandsmitglied der Aktion Leben. Hier die Rede auch zum Lesen:

Frau Vorsitzende, werte Expert*innen,

Ich höre oft die Aussage, wenn ich ein Leben führen müsst, an einem Schlauch, dann wollte ich nicht mehr dieses Leben weiterführen. Dann wäre ich lieber tot. Meine Damen und Herren, ich führe ein Leben an einem Schlauch, an einem Beatmungsschlauch und ich bekomme durch diesen Schlauch 24 Stunden Luft. Und es ist ein gutes Leben, das ich führe. Ein Leben, das auch bis vor kurzem an einem zweiten Schlauch abhängig war – von einer Magensonde über die ich ernährt worden bin. Wenn es diese Schläuche nicht gäbe, wäre ich heut nicht mehr am Leben.

Es war meine freie Entscheidung ein Leben mit Schläuchen zu führen, aber es war keine einfache Entscheidung. Und ich muss gestehen, dass ich vor 10 Jahren mir nur sehr schwer ein Leben mit Schläuchen hätte vorstellen können.

Als ich 2006 bei einer großen Gesundheitskrise ins Krankenhaus kam, nahmen meine Ärzte meine Frau an die Seite und fragen sie: „Will der überhaupt noch leben?“

Sie hatten einen Menschen vor sich, der sehr mager war, weil durch die Schluckbeschwerden hatte ich Probleme zu essen, Arme und Beine gelähmt und ich bekam kaum mehr Luft.

Aber ich habe in einer Patientenverfügung festgelegt, was mein Wille ist und dass ich weiterleben möchte und dass alle medizinischen Möglichkeiten dafür genutzt werden sollten. Und ich habe diese Möglichkeiten wirklich gut kennengelernt. Sie sehen die Möglichkeit auch hier autonom und selbstbestimmt zu agieren.

Aber natürlich hat die sogenannten Apparate Medizin auch eine negative Seite. Vor allem in Krankenhäusern wird oft gegen den Willen der Patienten, werden sie am Leben gehalten und dieses Recht des Willens, des Patienten, diese Patientenrechte müssen wesentlich unterstützt werden. Hier braucht es Bewusstsein, einerseits bei den Ärzten, aber andererseits auch bei der Bevölkerung was eine Patientenverfügung – eine Vorsorgevollmacht ist und Informationen dass man nämlich jederzeit eine Therapie auch ablehnen kann. Vor kurzem war in der ARD doc hard aber faire ein niederländischer Journalist zu gast, der sich kritisch über die niederländische Euthanasiegesetzgebung geäußert hat. Er schilderte die Situation seines Freundes, der MS hat und dieser Freund bekommt immer wieder zu hören, jammere nicht, denn du hast ohnehin die Möglichkeit zu sterben.

Meine Damen und Herren, die Euthanasiegesetzgebung übt einen Druck auf behinderte Menschen und ältere Menschen aus, man muss sich dann rechtfertigen überhaupt am Leben zu sein, Pflege in Anspruch zu nehmen oder den Angehörigen noch weiter zur Last zu fallen. Und das ist der Hauptgrund des Sterbewunsches in den Nierderlanden: dass man den Angehörigen nicht zur Last fallen möchte. Tötung ist keine Antwort auf Not und Verzweiflung, auf Ängste und Sorgen. Der Sterbewunsch, der entsteht, ist ein Hilferuf, auf den wir anders reagieren müssen – mit Zuneigung, mit Trost, mit Nächstenliebe. Es braucht eine Kultur des Beistandes und es braucht eine Kultur der Trauer.

Es hat auch Kardinal König, wie es heute schon erwähnt worden ist, 2001 hier in diesem hohen Haus Stellung bezogen und er hat davon gesprochen, dass man nicht durch die Hand, sondern an der Hand des anderen sterben sollte und er hat danach einen Brief verfasst, an den Nationalrat, den ich kurz zitieren möchte:

Ich appelliere an Sie, als Abgeordnete in der Bundesverfassung auch ein Verbot der Tötung auf Verlangen zu verankern. Ich halte einen klaren und verbindlichen Rahmen als unverzichtbar, der sicherstellt, dass es auch künftig in unserem Land keinen Raum für aktive Sterbehilfe für die Tötung auf Verlangen, für Euthanasie geben soll. Sterbehilfe, also Euthanasie, soll in Österreich künftig auch verfassungsrechtlich untersagt werden, als Wegweiser und Bekenntnis zu einer Kultur des Lebens und als Signal für Europa, also über die Grenzen unseres Landes hinaus.

Diesen Weg wollen wir weiter gehen und ich bin gespannt auf die Anregungen und Vorschläge der Enquete Kommission wie die Situation hier zu verbessern ist. Ohne die Ergebnisse vorwegnehmen zu wollen, glaube ich, dass es einen Rechtsanspruch von uns ist und einen Anspruch für Hospiz- und Palliativmedizin braucht.

Meine Damen und Herren, Künstler bringen die Dinge oft auf den Punkt. Lotte Ingrisch hat vor kurzem im Standard gesagt: wenn es in Österreich die Möglichkeit der Sterbehilfe gibt, hätte ich mich schon längst bei der Müllabfuhr angemeldet.

Meine Damen und Herren, Menschen durch die Müllabfuhr zu entsorgen, ist nicht das was wir uns unter einem humanitären Sterben vorstellen. Die Menschenwürde ist unantastbar und sie ruht in jeden von uns inne und deshalb sollte auch die Menschenwürde in der Verfassung verankert werden. Es geht um die Menschenwürde – nicht nur am Lebensende, sondern auch für das Leben – für ein Leben bis zuletzt.

Über das Thema Sterben zu reden ist schwierig und ich muss gestehen, dass auch ich Angst habe zu sterben. Und diese Sondersitzung ist immer verbunden mit schmerzhaften Fragen, Abschied und Trauer, und Lebenssinnfragen. Aber wenn es schon für den einzelnen schwierig ist sich damit auseinanderzusetzen, wie schwer ist es dann für die Politik darüber ins Gespräch zu kommen.

Inge Baldinger hat in den Salzburger Nachrichten geschrieben, es ist der Politik hoch anzurechnen, dass sie das Schweigen über das Sterben durchbricht. Deshalb möchte ich mich auch bedanken und es begrüßen, dass diese Enquete Kommission, die ich gefordert habe auch stattfindet und mit Leben erfüllt wird.

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2 Kommentare

  • ich denke, Frau Karoliny verwechselt hier Eltern- und Angehörigenschaft mit den Einrichtungen!
    Die Wirklichkeit ist die, dass die M.m.B nicht von den Eltern- u. Angehörigen, sondern von den Einrichtungen in Abhängigkeit gehalten werden, die es eigentlich sind, die Inklusion, aus welchem Grund auch immer, verhindern!
    Gäbe es uns nicht, würde z.B. unsere Angehörige monatelang nicht aus dem Haus (Einrichtung) kommen!
    Der Alltag der M.m.B. spielt sich zwischen Werkstätte u. Wohnhaus ab und ein Kennenlernen einrichtungsfremder Personen wird Ihnen unmöglich gemacht!
    Es gibt keinen Austausch mit der Aussenwelt, wobei zur Zeit alles auf „Corona“ geschoben wird!!
    Diese Pauschalverurteilung von Frau Karoliny empört uns Eltern- u. Angehörigenschaft!
    Frau Karoliny`s Aussage erweckt fast den Anschein, als wüssten wir Eltern u. Angehörige nicht, was unseren Anverwandten m. B. guttut!
    Mit diesem Vorurteil gehört endlich aufgeräumt!!

  • Ist erst einmal der Bann gebrochen, geht es bestimmt noch rapider abwärts mit den Sozialressourcen. Mann/Frau hat ja dann eine „Alternative“ wenn es mit der Gesundheit (weiterhin) bergab geht. Mit einer Behinderung dazu, wird dir beim Sterbewunsch sicher nicht so schnell widersprochen… Ich stimme also Franz-Joseph vollinhaltlich zu und bin ebenfalls gegen aktive Sterbehilfe, aber Information über die Möglichkeit einer PatientInnen-Verfügung, Pflegevollmacht, udgl.!
    Es ist jetzt oft schon zu wenig zum Leben – sprich zu wenig Assistenz – um selbstbestimmt leben zu können. Viele werden deswegen in ein Heim gezwungen mangels echter Alternativen. Erwachsene Menschen mit Behinderung, die als erwerbsunfähig eingestuft sind, werden lebenslang von den Eltern „abhängig gehalten“. Hier gehört DRINGENDST etwas geändert. Auch das hat mit Menschenwürde zu tun!