Verpasste Chance

Kommentar von Helmut Spudich

Lehringe verständigen sich gebärdend
Integration:Österreich

Folgender Kommentar von Helmut Spudich im „Der Standard“ erschienen:

Wer mit einer Behinderung lebt, braucht für manche Dinge etwas länger.

Darum ist es ein Fortschritt, dass jetzt eine Novelle des Berufsausbildungsgesetzes behinderten Jugendlichen mehr Zeit für ihre Lehre einräumt – oder auch die Möglichkeit gibt, nur bestimmte Bereiche einer Lehre zu absolvieren und dafür einen Abschluss zu erhalten.

Aber während der betriebliche Teil der Ausbildung eine Verbesserung erfährt, hat das Schulsystem – in diesem Fall die Berufsschule – wieder einmal Vorbehalte eingebaut, um sich vor der Integration von Jugendlichen mit Behinderung drücken zu können. Nur wenn es „zweckmäßig“ ist, wird den Betroffenen bei einer Teillehre auch die Möglichkeit zum Schulbesuch eingeräumt. Damit ist der Ausrede Tür und Tor geöffnet.

Diese Ausreden verhindern schon seit mehreren Jahren, dass die bis zur achten Schulstufe gesetzlich verankerte Integration behinderter Kinder und Jugendlicher auch im Bereich der berufsbildenden Schulen verankert wird. Um die Ausbildungsmöglichkeiten der Betroffenen steht es darum denkbar schlecht: Im Glücksfall gibt es den „Gnadenweg“ des Schulversuchs oder von „Projekten“ neben dem Schulsystem.

Das gern gebrauchte Argument, dass Integration an der Berufsschule nur mit dem Verständnis aller Beteiligten möglich sei (und dann ohnehin passiere), geht an der Sache vorbei: So wie bei Alter, Geschlecht oder Herkunft nicht diskriminiert werden darf, muss es auch bei Behinderung das verbriefte Recht auf Gleichstellung geben. Steht übrigens seit sechs Jahren in der Verfassung – nur bis zur Schulgesetzgebung hat es sich noch nicht herumgesprochen. Dass das europäische Jahr der Menschen mit Behinderung nicht zum Anlass für entsprechende Nachbesserungen genommen wird, ist eine verpasste Chance.

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