Wer Teil der Gesellschaft sein möchte, muss sich gut verständigen können. Sprache ist dafür enorm wichtig.
Zum internationalen Tag der Muttersprache am 21. Februar fordern die Behindertenanwältin und der Österreichische Gehörlosenbund: Die Anerkennung der Österreichischen Gebärdensprache muss den Weg in die Praxis finden.
Wie geht es Ihnen mit Ihrem Umfeld und Ihren Mitmenschen? Fühlen Sie sich gut eingebunden, verstanden und respektiert? Können Sie sich ausreichend einbringen, mitreden? Für gehörlose Menschen ist all das oft nicht selbstverständlich.
Der Grund dafür: Informationen in ihrer Muttersprache, die sie gut verstehen, in der sie sich natürlich ausdrücken können und mit der sie sich wohl fühlen, fehlen im Alltag genauso wie in wichtigen Schlüsselsituationen.
Der Grundstein liegt schon lange
Die Österreichische Gebärdensprache ist eine vollwertige, eigenständige Sprache einer österreichischen Minderheit und somit Ausdruck ihrer kulturellen Identität. Seit 2005 ist das in der österreichischen Bundesverfassung verankert. „Dieses Signal war extrem wichtig“, erkennt Christine Steger, Behindertenanwältin des Bundes, an.
Seitdem hat man aber viel zu wenig darauf aufgebaut. Die Menschen brauchen spürbare Verbesserungen. Dazu reicht es nicht, dass ihre Sprache auf dem Papier anerkannt ist. Man muss Informationen und Kommunikationsmöglichkeiten in Österreichischer Gebärdensprache im täglichen Leben verlässlich anbieten, damit sie gehörlosen Menschen zu Chancengleichheit in der Gesellschaft verhelfen können.
Auch die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen gibt das vor. Sie verpflichtet den Staat dazu, geeignete Maßnahmen zu treffen.
Teilhabe von Anfang an
Es braucht verschiedene Arten von Maßnahmen. Ganz wesentlich ist der Bildungsbereich. „Bildung und Wissen spielen eine große Rolle, wenn es um gleiche Chancen und Teilhabe in allen Lebensbereichen geht“, betont Helene Jarmer, Präsidentin des Österreichischen Gehörlosenbundes.
„Dabei müssen wir schon ganz früh ansetzen: in Kindergarten und Schule. Was Kinder in dieser Phase erfahren und lernen, bestimmt das ganze restliche Leben. Doch wie sollen sie die Lerninhalte verstehen, wie sollen sie Teil der Klassengemeinschaft werden, wenn Lehrer*innen und Mitschüler*innen eine Sprache sprechen, die sie nicht in gleicher Weise wahrnehmen können?“
Nun ist in diesem Bereich endlich ein Durchbruch in greifbarer Nähe: Ein Lehrplan zu Österreichischer Gebärdensprache wurde entwickelt uns soll bereits im Schuljahr 2024/25 zum Einsatz kommen.
Recht auf Barrierefreiheit
Diese Initiative ist ein wichtiger erster Schritt, doch damit ist es noch lange nicht getan. Barrierefreier Zugang zu Information und Kommunikation ist in allen Lebensbereichen eine Voraussetzung für Inklusion.
Und es gibt ein Recht darauf, wie Christine Steger weiß: „Das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz verbietet, dass Menschen wegen ihrer Behinderung benachteiligt werden. Daher müssen öffentlich angebotene Güter und Dienstleistungen barrierefrei zugänglich sein. Dafür müssen die Anbieter*innen sorgen – und zwar nicht nur, wenn es dafür eine finanzielle Förderung der öffentlichen Hand gibt, sondern immer und überall, wo es gebraucht wird.“
Mangelware Dolmetsch
Doch auch dort, wo der Wille da ist, fehlt oft der Weg zur Umsetzung: Es gibt viel zu wenig Dolmetscher*innen für Österreichische Gebärdensprache. Digitale Gebärdensprachdolmetscher, sogenannte Avatare, sieht die Interessenvertretung gehörloser Menschen problematisch.
„Auf den ersten Blick erscheint die Technologie verlockend. Künstliche Intelligenz kann aber eine Person, die beim Dolmetschen Verstand und Gefühle einbringt, nicht ersetzen“, so Helene Jarmer. „Man darf sich nicht davon täuschen lassen, dass Avatare wirtschaftlich gesehen vielleicht attraktiver sind. Was wir brauchen, sind mehr Dolmetscher*innen.“ Dazu müssen zusätzliche Ausbildungsangebote und ansprechende Bedingungen für die Berufsgruppe der Dolmetscher*innen geschaffen werden.
Schritt für Schritt zum Ziel
Die Liste der Bereiche, in denen es Maßnahmen zur Verbesserung der Situation gehörloser Menschen in Österreich braucht, ist lange. Selbst dort, wo es deutliche Fortschritte gibt, ist noch viel zu tun. Das betrifft zum Beispiel die barrierefreie Aufbereitung medialer Angebote oder die öffentliche Verwaltung.
Ein besonders wirksamer Hebel wäre, die Österreichische Gebärdensprache als Unterrichtssprache gesetzlich zu verankern. Doch egal, in welcher Reihenfolge welche Maßnahmen umgesetzt werden: Jede einzelne muss mit der Gehörlosen Community verhandelt werden, die Finanzierung muss gesichert sein und sie muss echte Verbesserungen im Alltag bewirken.