Viele Briten haben eine persönliche Beziehung zu Blindenführhunden

Umso mehr Medienecho verursachte eine Sitzplatzverweigerung für in Großbritannien sehr bekannten ehemaligen Ministers David Blunkett und seinen Blindenführhund Cosby.

Artur Ortega mit Blindenführhund Mercer vor Stadium
Ortega, Artur

Im BIZEPS-INFO Interview erzählt Artur Ortega, in London lebender IT-Experte mit Blindenführhund, vom Blunkett-Vorfall und der grundsätzlichen Einstellung in Großbritannien zu Blindenführhunden sowie der Stimmung anlässlich der gerade in London stattfindenen Paralympics.

BIZEPS-INFO: Wie bewertest du den Eklat, über den in der britischen Presse ausführlich berichtet wurde?

Artur Ortega: Der ehemalige britische Minister David Blunkett und sein Blindenführhund Cosby sind in Großbritannien bekannt wie ein bunter Hund. Das heißt aber auch, dass er auf Grund des Bekanntheitsgrades sehr selten wegen seines Blindenführhundes diskriminiert wird. Ein Hinweis auf die Gesetzeslage und auf seine Person reicht meist, um doch den ihm zustehenden Zutritt zu bekommen.

BIZEPS-INFO: Doch dieses Mal reichte es anscheinend nicht.

Artur Ortega: Dass ihm sein Sitz aber genau bei der Paralympischen Eröffnungsfeier verweigert wurde, konnte und wollte er nicht auf dem „kleinen Dienstweg“ lösen. Dafür ist er viel zu sehr ein politischer Mensch, um solch eine Ungerechtigkeit zuzulassen.

Es ist klar, dass wenn ihm der Platz verweigert wird, es auch jedem anderen behinderten Menschen passiert, der auf ein Asssistenztier angewiesen ist.

Deshalb hat er sich nicht nur direkt an den Geschäftsführer der Londoner Olympischen Spiele Lord Coe gewandt, sondern auch an die britischen Zeitungen. Er wusste, dass die britische Bevölkerung solch eine Diskriminierung nicht toleriert und damit der Druck für eine Abschaffung der Diskriminierung für alle anderen behinderten paralympischen Besucher mit Assistenztieren beschleunigt wird.

Blindenführhunde gehören zum Bekanntenkreis

BIZEPS-INFO: Welche Einstellung hat die Bevölkerung grundsätzlich in solchen Fällen?

Artur Ortega: Viele Briten haben eine persönliche Beziehung zu Blindenführhunden. In Großbritannien werden die Führhunde nicht von kleinen Führhundschulen ausgebildet und von der Krankenkasse bezahlt, sondern es gibt einen nationalen Blindenführhundverein, der sowohl die Blindenführhunde für alle Bewerber in Großbritannien ausbildet als auch die Finanzierung über Spendengelder organisiert.

Viele Briten und viele britische Firmen sponsern Blindenführhunde oder nehmen den werdenden Blindenführhund als Welpen für ein Jahr in ihre Familie auf.

Damit bekommen viele Bürger von Großbritannien das Gefühl, dass ein Blindenführhund zu deren nahen Bekanntenkreis gehört und wenn dieser diskriminiert wird, auch sie selbst ganz persönlich betroffen sind.

Diese emotionale Bindung zu Blindenführhunden und das Bekanntwerden von Diskriminierung von Blindenführhundhaltern ächtet die Diskriminierer gesellschaftlich um so mehr. Dabei gehört gesellschaftliche Ächtung zu den Höchststrafen in der britischen Gesellschaft.

Probleme waren schon bei den Olympischen Spielen bekannt

BIZEPS-INFO: Hast du als Besitzer eines Blindenführhundes auch persönliche Erfahrungen bei den Olympischen Spielen bzw. den Paralympics gemacht?

Artur Ortega: Ich hatte das Vergnügen, bereits die technische Generalprobe der Olympischen Eröffnungsfeier besuchen zu dürfen. Dies tat ich mit meinem britischen Blindenführhund Mercer (Twitter: @HappyGuidedog). Mir wurde auch nur ein Platz in den normalen Rängen zugewiesen.

BIZEPS-INFO: Ist der Platz dort ausreichend?

Artur Ortega: Die Klappsitze dort sind sehr eng bestuhlt. Man hat kaum Beinfreiheit und man hängt beim Nachbarn fast auf dem Schoß.

Platz für einen großen Labrador ist da nicht wirklich. Auch wenn man einen Sitz neben einem frei lassen würde, müsste sich der Hund schon sehr klein machen – und das bei einer mehrstündigen Veranstaltung, bei der man dem Hund auch Wasser anbieten sollte.

Ich hatte kurz überlegt, den Hund in den Gang zu legen, aber es gab statt dessen nur eine viel benutzte steile Treppe zu den oberen Rängen. Viel zu gefährlich für den Hund und für jeden, der den Hund nicht sieht und dort stolpern könnte.

BIZEPS-INFO: Was hast du in der Situation unternehmen können?

Artur Ortega: Ich bat deshalb die Platzanweiser, mich umzusetzen und das Problem bitte vor den Olympischen Spielen für Blindenführhunde generell zu lösen. Für mich persönlich wurde das Problem so gelöst, dass ich und mein Begleiter einen Rollstuhlplatz zugewiesen bekamen.

Dieser war geräumig und bot dem Blindenführhund viel Platz und ich konnte entspannt die technische Generalprobe der großartigsten Olympischen Eröffnungsfeier genießen.

Ich gehe davon aus, dass während der Paralympischen Spiele die Rollstuhlplätze bereits komplett vergeben sind, aber die Organisatoren sich keine Lösung für das Platzproblem von Assistenztieren überlegt haben. Diese fehlende Bereitschaft, sich etwas auszudenken und damit Diskriminierung in Kauf zu nehmen, fliegt den Organisatoren jetzt genau um die Ohren.

Wenn etwas in der britischen Gesellschaft nicht toleriert wird, dann ist es, eine Diskriminierung auf Grund von Denkfaulheit zu akzeptieren. Deshalb sind alle großen Zeitungen unabhängig von der politischen Ausrichtung auf die Geschichte eingegangen und jetzt ist der Spielball in Lord Coes Händen, um eine Lösung zu finden und sich angemessen zu entschuldigen.

Olympischen Spiele nur Vorband?

BIZEPS-INFO: Die Berichterstattung über die Paralympics zeigt ein begeistertes und faires Publikum. Wie ist die Stimmung in der Stadt?

Artur Ortega: Die Stadt und damit auch die Transportmittel sind viel voller als zu den Olympischen Spielen. Fast alle meine Bekannten und Kollegen haben Tickets für einen der paralympischen Wettkämpfe gekauft und sind total begeistert. Die Stimmung bei den Paralympischen Spielen ist so gut, dass es einem vorkommt, die Olympischen Spiele seien nur die Vorband beim Rockkonzert gewesen.

BIZEPS-INFO: Wie ist das Medienecho?

Artur Ortega: Die Übertragung auf dem Privatsender „Channel 4“ ist überragend. Sie haben im Vorfeld viele behinderte Moderatoren eingestellt und tragen bei der enthusiastischen Reportage viel zur Aufklärung der Bevölkerung bei.

Sie erklären, wie unterschiedlich Behinderungen ausfallen können und warum so viele Wettbewerbsklassen existieren. Sie erläutern ganz detailliert, wie sich welche Art von Querschnittlähmung auf bestimmte Bewegungen und damit auf bestimmte Sportarten auswirkt.

Aber es wäre natürlich nicht Großbritannien, wenn man nicht mit Humor an die Paralympischen Spiele heranginge. Auch dies gehört zur Inklusion von behinderten Menschen in der britischen Gesellschaft. Ein wunderbares Beispiel ist die Fernsehsendung „Last Leg“ auf „Channel 4“, die das sportliche Geschehen des Tages auf humorige Weise Revue passieren lässt, ohne dabei die Leistungen der Sportler zu reduzieren. Ein Lehrstück für guten Humor, das leider nicht weltweit übertragen wird.

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