Gerichte erklären Klauseln der Lebenshilfe Wien für unwirksam
Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) führte – im Auftrag des Sozialministeriums – gegen die Lebenshilfe Wien einen Musterprozess und zwei Verbandsklagen.
Streitpunkt: Ein pauschales Entgelt in Höhe von monatlich 280 Euro, das Heimbewohnerinnen und -bewohner für nicht näher genannte „Zusatzleistungen“ zahlen sollten. Die zugrundeliegenden Vertragsklauseln wurden von den Gerichten als gesetzwidrig anerkannt. Kündigungsdrohungen gegen Betroffene, die die Entgelte nur unter Vorbehalt gezahlt hatten, konnten ebenfalls abgewehrt werden. Urteil und Unterlassungsvergleich sind rechtswirksam.
Die Lebenshilfe betreibt in Wien 12 Heime für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Der Fonds Soziales Wien fördert – im Rahmen des „vollbetreuten Wohnens“ – die sogenannte Grundbetreuung. In Heimverträgen der Lebenshilfe Wien waren darüber hinaus „Zusatzleistungen“ vorgesehen, z.B. eine Begleitung bei Arztwegen, Betreuung bei Krisen oder eine Dokumentation des Taschengeldes.
Diese sollten die HeimbewohnerInnen mit einem pauschalen Entgelt aus ihren eigenen monatlichen Zuwendungen abgelten – unabhängig davon, ob solche Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen wurden. Eine Klausel legte fest, dass „Zusatzleistungen“ zusammen mit der Grundleistung bestellt werden. Trotz Förderung durch den Fonds Soziales Wien hätte demnach jeder Heimbewohner und jede Heimbewohnerin zusätzlich 280 Euro im Monat an die Lebenshilfe zu zahlen gehabt.
In einem Musterprozess ging der VKI zunächst gegen diese verpflichtende Bestellung von Zusatzleistungen vor. „In den Verträgen wurde zwischen der Grundversorgung und den sogenannten Zusatzleistungen nicht ausreichend unterschieden“, erklärt Dr. Peter Kolba, Leiter des Bereichs Recht im VKI. „Die Zusatzleistungen wurden nicht näher spezifiziert und waren auch nur als Block bestellbar. Der Oberste Gerichtshof sah die entsprechende Klausel schließlich als intransparent und daher unwirksam an. Die Lebenshilfe wurde dazu verurteilt, die unter Vorbehalt geleisteten Entgelte zurückzuzahlen.“
In weiterer Folge strengte der VKI eine Verbandsklage gegen die Lebenshilfe an. Gegenstand war neben der bereits genannten Klausel eine weitere Bestimmung, mit der die Zusatzentgelte geregelt wurden. Zur ersten Klausel gab es ein Anerkenntnisurteil, die zweite Klausel wurde nunmehr vom Oberlandesgericht Wien (OLG) rechtskräftig für unwirksam erklärt.
Trotzdem wollte die Lebenshilfe Wien auf das Zusatzentgelt nicht verzichten und setzte geänderte Verträge auf, in denen – diesmal unter der Bezeichnung „Differenzentgelt“ – erneut Zusatzentgelte vereinbart wurden. Im Begleitschreiben an die Betroffenen war dazu Folgendes zu lesen: „Falls wir bis zum 16. Juni 2014 nichts von Ihnen hören oder Sie den Betreuungsvertrag nicht rechtsverbindlich und nicht vorbehaltlos unterschreiben, müssen wir Sie leider darauf hinweisen, dass wir gezwungen sind, den bisherigen Vertrag zu kündigen.“
Als sich die von Sachwaltern vertretenen HeimbewohnerInnen gegen eine Vertragsänderung aussprachen, drohte die Lebenshilfe mit der Kündigung des Heimvertrages. Dagegen ging der VKI mit einer weiteren Verbandsklage und einer einstweiligen Verfügung (EV) vor.
Mit Erfolg: Das OLG Wien verbot eine solche Vorgangsweise bis zur Beendigung des Hauptverfahrens. Nun hat sich die Lebenshilfe auch in einem Unterlassungsvergleich mit dem VKI dazu verpflichtet, keinen weiteren Druck auf die HeimbewohnerInnen auszuüben.
„Der Fonds Soziales Wien fördert nur die Grundbetreuung“, so Rechtsexperte Dr. Kolba. „Diese Förderung ist der Lebenshilfe Wien offenbar zu gering, weshalb sie – ohne jedoch für die gesetzlich gebotene Transparenz zu sorgen – mit ihren Heimbewohnern ein pauschales Zusatzentgelt für Leistungen vereinbarte, die die Heimbewohner unter Umständen gar nie in Anspruch nehmen würden. Das ist klar ein Verstoß gegen die Regelungen zum Heimvertrag im Konsumentenschutzgesetz. Es ist bedauerlich, dass dieser Rechtsstreit über Jahre und über den Köpfen der Heimbewohner ausgetragen werden musste!“