Volksanwaltschaft baut intensiv am Menschenrechtshaus der Republik

2012: 15.649 Beschwerden, 9.315 Prüfverfahren, 1.519 Missstände

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Die Volksanwaltschaft ist am besten Weg, zu einem „Menschenrechtshaus der Republik“ zu werden, geht aus ihrem dem Nationalrat nun zugegangenen Tätigkeitsbericht für 2012 hervor (III-384 d.B.).

VolksanwältInnen Gertrude Brinek, Terezija Stoisits und Peter Kostelka erläutern darin, wie im Sinne des umfassenden Menschenrechtsschutzes die nachprüfende Kontrolltätigkeit der Volksanwaltschaft mit präventiven Prüfungen potentieller Freiheitsbeschränkungen in öffentlichen und privaten Einrichtungen verschränkt wird.

Bei meist unangekündigten Präventiv-Kontrollbesuchen wurden von den dafür eingesetzten Kommissionen der Volksanwaltschaft seit September letzten Jahres bereits in mehreren Bereichen der Verwaltung – von Justizanstalten über Abschiebezentren bis hin zu Psychiatrien – menschenrechtliche Defizite festgestellt.

Zu Nachprüfungen veranlassten die Volksanwaltschaft 2012 insgesamt 15.649 Beschwerden. Der Großteil, mehr als ein Viertel, betraf den Sozialbereich, gefolgt von den Bereichen Innere Sicherheit (rund 25%) und Justiz (rund 15%). In den 9.315 abgeschlossenen Prüfverfahren wurden 1.519 Missstände aufgedeckt, wodurch sich die Zahl der Beanstandungen im Vergleich zu 2011 um 478 Geschäftsfälle erhöhte.

Schwerpunktthema bei den Kontrollen waren Verstöße gegen Anti-Diskriminierungsbestimmungen, deren Harmonisierung im Bericht gefordert wird. Mit deutlichen Worten kritisiert die Volksanwaltschaft auch die lange Dauer von Verfahren am Asylgerichtshof, denn diese führe für Asylsuchende zu einer unzumutbaren Ungewissheit über ihren Aufenthaltsstatus.

Präventive Kontrollen gegen Menschenrechtsverstöße

Grundlage der mit 1. Juli 2012 in Kraft getretenen Kompetenzerweiterung der Volksanwaltschaft sind das UN-Fakultativprotokoll vom 18.12.2002 zum Übereinkommen gegen die Folter und andere, grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen (UN-Anti-Folter-Konvention OPCAT) und die UN-Behindertenrechtskonvention 2006.

Mit sechs für präventive Kontrollbesuche eingesetzten Kommissionen und dem Menschenrechtsbeirat als beratendes Organ bildet die Volksanwaltschaft gemäß OPCAT nun den Nationalen Präventionsmechanismus Österreichs.

Im Zuge der OPCAT-Umsetzung erhöht sich die Zahl der Einrichtungen, die von der Volksanwaltschaft zu kontrollieren sind, um mehr als das Vierfache auf über 4000. Geprüft werden jene Einrichtungen, in denen Personen mit und ohne Behinderung die Freiheit entzogen wird oder werden kann bzw. in denen sie Gefahr laufen, misshandelt oder unmenschlich behandelt zu werden.

Außerdem umfasst der Kontrollauftrag der Volksanwaltschaft die Beobachtung des Verhaltens von Sicherheitsbehörden beispielsweise bei Abschiebungen oder Demonstrationen. Der Menschenrechtsbeirat unterstützt die Volksanwaltschaft bei der Festlegung von Prüfungsschwerpunkten und -standards, wobei er im Dialog mit Menschenrechtsorganisationen und einschlägigen Ministerien Leitlinien für die Beurteilung von Missständen gibt.

Aus dem OPCAT-Vertrag ergibt sich für Österreich die völkerrechtliche Verpflichtung, seinen Nationalen Präventionsmechanismus (NPM) mit ausreichenden Ressourcen auszustatten. Angesichts der beträchtlichen Aufgabenerweiterung und des zusätzlichen administrativen Aufwands der Volksanwaltschaft durch ihre neue Rolle wurden 15 neue Planstellen und für das Halbjahr 2012 ein Budget von 1.947.000 € zur Verfügung gestellt. Das Bundesfinanzgesetz 2013 veranschlagt für heuer Ausgaben der Volksanwaltschaft in der Höhe von insgesamt 2.960.000 €.

Volksanwaltschaft-Kommissionen weisen auf gravierende Mängel hin

Der NPM sieht eine flächendeckende und routinemäßige Prüftätigkeit durch die Volksanwaltschaft vor. Im Berichtsjahr wurden 17 Justizanstalten, 39 Polizeieinrichtungen sowie 46 Sozialeinrichtungen einer präventiven Prüfung unterzogen.

In 31 Fällen fand eine analysierende Beobachtung des Verhaltens von Organen, die zur Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt ermächtigt sind, statt. Die Volksanwaltschaft leitete als Reaktion auf die festgestellten Mängel entsprechende Prüfverfahren ein. Ob Einrichtungen zur Grundversorgung für Asylwerbende ebenfalls der Volksanwaltschaftskontrolle unterliegen, wird nach einem gescheiterten Besuchsversuch einer Kommission in einer derartigen Betreuungseinrichtung noch zu klären sein.

„Besonders prekär“ ist laut Kommissionsberichten die medizinische Versorgung in den untersuchten Justizanstalten. Festgestellt wurden unzureichende ärztliche Präsenz und inadäquate medizinische Betreuung, auch von Häftlingen in Hungerstreik. Im Bereich des Maßnahmenvollzugs bedingt ein gravierender Ressourcenmangel, dass InsassInnen anstatt von Psycho- oder Soziotherapien vor allem psychopharmakologische Behandlungen erhalten, wodurch sich ihre Haft in die Länge zieht.

Bei mehreren Besuchen von Polizeianhaltezentren, in denen sich vorwiegend Schubhäftlinge und Verwaltungsstraftäter befinden, gestaltete es sich für die Kommissionen schwierig, Zugang zu medizinischen Unterlagen der Häftlinge zu erhalten. Identifizierung und Schutz von Opfern des Menschenhandels waren in diesem Bereich außerdem unzureichend gewährleistet, weswegen eine entsprechende Handlungsanleitung für Polizeibedienstete empfohlen wird.

Dringenden Handlungsbedarf macht die Volksanwaltschaft auch in Einrichtungen für unbegleitete Minderjährige geltend. Derartige Betreuungseinrichtungen entsprechen laut Bericht nicht den üblichen Standards der Jugendwohlfahrt, denn es fehle dort sowohl an Personal als auch an muttersprachlichen Therapieangeboten und einem sozialpädagogischen Konzept. Das führe zu „unzumutbaren Bedingungen für alle Beteiligten“, die unter anderem Selbstverletzungen und andere Formen der Aggression bei den Angehaltenen zur Folge haben.

Als weitere Problembereiche werden die Unterbringung jüngerer psychisch kranker bzw. mehrfach behinderter Menschen in Geriatriezentren oder Alten- und Pflegeheimen sowie generelle Ressourcenknappheit in Heimen angeführt. Die kontrollierenden Kommissionen nahmen mangelnde psychologische Betreuung, unausgewogene Speisepläne, ungenügende Versorgungssicherheit von Demenzkranken und Einschränkungen der Barrierefreiheit sowie den oft nicht medizinisch erklärbaren Gebrauch von Psychopharmaka wahr. Weiters wird in den Kommissionsprotokollen aufgezeigt, dass es in psychiatrischen Einrichtungen an der durchgehenden Erfassung von Art, Grund und Dauer freiheitsbeschränkender Maßnahmen fehlt. So verwenden Psychiatrien und Pflegeheime in einigen Bundesländern immer noch Netzbetten bzw. ziehen Security Dienste heran.

Mehrfach bemängelten die Kommissionen das unzulängliche Vorgehen von Bediensteten des Vereins Menschenrechte Österreich (VMÖ), der für die Betreuung von abzuschiebenden Personen zuständig ist. Kritisch hervorgehoben wird in diesem Zusammenhang der Umstand, dass das Innenministerium dem VMÖ den zusätzlichen Auftrag erteilt hat, Flugabschiebungen als „unabhängiger Menschenrechtsbeobachter“ zu begleiten. Dies führe zu Aufgabenkollisionen und Rollenkonflikten, deren Leidtragende die Abzuschiebenden sind.

Sozialwesen und Asylrecht führen Beschwerdeliste an

2012 gingen 15.649 Beschwerden bei der Volksanwaltschaft ein. Hauptsächliche Beschwerdegründe lagen im Sozialbereich, wobei Mängel bei der Pflegegeldeinstufung, Probleme mit der Pensionszuerkennung und mit dem Kranken-, Kinderbetreuungs- oder Arbeitslosengeld auf Ebene der Bundesverwaltung zu 27,43% der Prüfverfahren führten.

Unverändert hoch war im Vergleich mit 2011 das Beschwerdeaufkommen in Bezug auf gesetzliche Pensionsversicherungen. Besonders das strenge Antragsprinzip, das die Pensionsauszahlung bei Fristversäumnis automatisch verzögert, mangelhafte Begründungen von Pensionsbescheiden und herablassendes bzw. ignorantes Verhalten im Rahmen der medizinischen Begutachtung lösten viele der Beschwerden aus. Neben der Bereinigung genannter Missstände ist laut Volksanwaltschaft eine Vereinheitlichung der Zuverdienstgrenzen für Pensionen notwendig.

In ihrem Kontrollbereich Justiz unterzog die Volksanwaltschaft im Vorjahr konkrete Handlungen oder Unterlassungen von Behörden der Justizverwaltung, der Staatsanwaltschaft, des Strafvollzugs und gerichtliche Verfahrensverzögerungen einer Beschwerdeprüfung (14,98%).

Das Zurückgehen von Beschwerden über das Vorgehen von StaatsanwältInnen wird von der Volksanwaltschaft begrüßt, als hervorstechende Problemfelder nennt sie aber Sachwalterschaften und Obsorgeverfahren. Zwar hat die Volksanwaltschaft keine Möglichkeit, die durch unabhängige Gerichte getroffenen Entscheidungen über Sachwalterbestellungen zu überprüfen, doch wird generelle Kritik am häufig fehlenden Kontakt zwischen den Beteiligten in Sachwalterschaftsangelegenheiten geübt, wodurch sich allzu oft Betreuungs- und Verwaltungsprobleme ergäben. Vor dem Hintergrund der im Zuge der Novelle zum Kindschaftsrecht schlagend gewordenen Änderungen bei der Obsorge fordert die Volksanwaltschaft im Interesse der betroffenen Kinder von der Justiz eine Verkürzung diesbezüglicher Verfahren ein.

Die Geschäftsfälle zur Inneren Sicherheit (24,66%) betrafen 2012 vor allem fremden- und asylrechtliche Fragen und standen in Zusammenhang mit dem Asylgerichtshof (AsylGH). Positiv bemerkt die Volksanwaltschaft einerseits, dass der AsylGH den Abbau von Altverfahren nunmehr weitgehend bewerkstelligt hat, sie kritisiert andererseits jedoch bestehende Verzögerungen vieler Neuverfahren.

Zudem wird die Kooperationsbereitschaft des AsyGH gegenüber den Prüfenden als „mangelhaft“ beschrieben, da er seine Rückmeldungen zu Anfragen betreffend überlanger Verfahren auf allgemeine Stellungnahmen beschränkt oder überhaupt keine Erklärung dafür gibt. Im Bereich Fremden- und Asylrecht stellte die Volksanwaltschaft zudem Verfahrensverzögerungen beim Bundesasylamt fest, auch die Fremdenpolizei Wien verursache schon seit Jahren Verzögerungen in Aufenthaltstitelverfahren.

In den Wirkungsbereichen der übrigen Regierungsressorts gab es ebenfalls oft Beschwerden über Verfahrensdauer und -mängel bzw. wegen Benachteiligungen bestimmter Personengruppen, die Prüfungen der Volksanwaltschaft nach sich zogen.

Auf Landes- und Gemeindeebene betrafen die meisten der insgesamt 2.1519 Beschwerden Angelegenheiten von Sozialhilfe und Jugendwohlfahrt (24,49%), 23,90 % bezogen sich auf Raumordnung, Wohn- und Siedlungswesen, den dritten Platz in der Beschwerdeskala nahmen Gemeindeangelegenheiten mit 14,73% ein.

Diskriminierungsschutz: Gesetzgebung ist gefordert

Im Vorjahr wurden zwar insgesamt weniger Beschwerden verzeichnet als noch 2011 – damals waren es 16.239 Anliegen -, die Zahl der aufgedeckten Missstände erhöhte sich jedoch von 1.041 (2011) auf 1.519 (2012). Besonderes Augenmerk wurde bei den Kontrollen Verstößen gegen den Diskriminierungsschutz geschenkt. Die Volksanwaltschaft weist zum einen auf bestehende Diskriminierungen in der öffentlichen Verwaltung aus Gründen der Behinderung, des Geschlechts, der sexuellen Ausrichtung sowie der Nationalität bzw. der ethnischen Zugehörigkeit hin, zum anderen sieht sie bei der Gesetzgebung dazu Handlungsbedarf.

So behebe der seit Herbst 2012 vorliegende Gesetzesentwurf zur Bereinigung von Unzulänglichkeiten im Diskriminierungsschutz nicht die Fragmentierung der diesbezüglichen Bestimmungen in verschiedenen Bundes- und Landesgesetzen, wird bemängelt. Daraus ergibt sich, folgern die VerfasserInnen des Berichts, eine unübersichtliche Rechtslage und die Gefahr unterschiedlicher Schutzniveaus. Als Beispiel dafür wird das Thema Behinderung angeführt, da hier auf Grund verschiedener diesbezüglicher Gesetzesmaterien mit unterschiedlichen Schutzstandards keine einheitliche Regelung des Diskriminierungsverbots gegeben sei.

Da Inklusion eine Querschnittsmaterie ist, fordert die Volksanwaltschaft außerdem die Einrichtung von entsprechenden Dialogforen zwischen RegierungsvertreterInnen und NGOs. Die Valorisierung des Pflegegelds als Basis eines möglichst selbstbestimmten Lebens von Menschen mit Behinderung, eine konkrete Ausgestaltung des inklusiven Unterrichts, das Recht geschützter Gruppen, bauliche Barrierefreiheit und Diskriminierungsschutz mittels einer Verbandsklage einzufordern und die Erhöhung des Strafrahmens zum Schadenersatz bei Verstößen gegen das Gleichbehandlungs- und das Behinderteneinstellungsgesetz auf 360 € sind weitere Empfehlungen der Volksanwaltschaft zu diesem Thema.

Aus der Auflistung sämtlicher Legislativanregungen der Volksanwaltschaft an die Regierung, gereiht nach dem jeweils zuständigen Ressort am Ende des Berichts, geht hervor, dass insgesamt 121 Anregungen entweder noch offen sind oder bereits abgelehnt wurden. Teilweise basieren die Empfehlungen zu Gesetzesnovellierungen auf Fällen, die bis in die 1980er Jahre zurückgehen. Zur Umsetzung kamen im Berichtjahr vier Anregungen, außerdem werden im Bericht fünf neue Empfehlungen für Novellen an diverse Ministerien gerichtet.

Direkter Draht zur Bevölkerung

Wie schon in den Vorjahren weist der Volksanwaltschaftsbericht das rege Interesse der Bürgerinnen und Bürger aus, mit ihren Anliegen direkt an die Volksanwaltschaft heranzutreten. 2012 verzeichnete die Homepage der Volksanwaltschat 90.000 Zugriffe, 15.036 Personen schrieben an die Volksanwaltschaft, wobei die gesamte Korrespondenz 26.232 Schriftstücke umfasste. 10.825 Briefe und E-Mails ergingen von der Volksanwaltschaft an Behörden.

7.567 Menschen kontaktierten den Auskunftsdienst der Volksanwaltschaft persönlich oder telefonisch und 213 Sprechtage mit rund 1.100 Vorsprachen wurden abgehalten. Der leichte Rückgang an Sprechtagen im Vergleich zu 2011 erkläre sich aus dem administrativen Aufwand der Neuorganisation in der Volksanwaltschaft, heißt es im Bericht.

Internationales Engagement

Im Rahmen der OPCAT verpflichtet sich die Volksanwaltschaft auch zur vermehrten Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen wie dem UN-Unterausschuss zur Verhütung von Folter. Die Teilnahme an Tagungen und Workshops bildet dabei eine wichtige Austauschmöglichkeit mit anderen menschenrechtlich aktiven Organisationen.

Seit 2009 beherbergt die Volksanwaltschaft zudem das Generalsekretariat des International Ombudsman Institute (I.O.I.), das weltweit rund 155 unabhängige Ombudsmann-Einrichtungen aus über 90 Ländern vernetzt. Im letzten Jahr wurde das Trainingsangebot für MitarbeiterInnen von Ombudsmannstellen intensiviert, auch überregionale Projekte zur Schaffung neuer Mitgliedsinstitutionen werden aus den Mitteln der I.O.I-Mitgliedsbeiträge finanziert.

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