Volksanwaltschaft zum Thema Sexualität in Einrichtungen

Volksanwaltschaft stellt Untersuchungsergebnisse und Empfehlungen zum Thema Sexualität in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen im Rahmen eines Pressegesprächs vor.

Volksanwalt Bernhard Achitz und Isabella Scheiflinger; Pressekonferenz am am 22. Februar 2024
Volksanwaltschaft

Die Kommissionen der Volksanwaltschaft kontrollieren die Umsetzung der Menschenrechte in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen.

Im Rahmen dieser Tätigkeit besuchten sie von April 2022 bis Juli 2023 161 Einrichtungen in ganz Österreich, um diese hinsichtlich sexueller Selbstbestimmung und dem Vorhandensein sexualpädagogischer Konzepte zu untersuchen.

Im Rahmen eines Pressegesprächs am 22. Februar 2024 wurden von Volksanwalt Bernhard Achitz die Ergebnisse dieser Untersuchungen vorgestellt und die daraus erfolgenden Empfehlungen präsentiert.

Zudem berichtete Isabella Scheiflinger, Anwältin für Menschen mit Behinderung des Landes Kärnten, von der Fachtagung „Selbstbestimmte Sexualität und Behinderung“, die 2023 in Velden veranstaltet wurde.

Aufklärung zentral für sexuelle Selbstbestimmung

Zu Anfang der Pressekonferenz betont Volksanwalt Achitz, dass das Recht auf Selbstbestimmung und auch auf Selbstbestimmung der Sexualität ein zentraler Grundsatz der UN- Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sei.

Aufklärung ist ein wesentliches Element der sexuellen Selbstbestimmung, erklärt Achitz. Wichtig war deshalb die Frage, ob in den besuchten Einrichtungen sexualpädagogische Konzepte vorhanden seien. Gemeint seien damit zum Beispiel Leitfäden für Mitarbeiter:innen, die erläutern, wie man mit problematischen Situationen umgeht, das Thema Sexualität anspricht oder Aufklärung betreibt.

Die Erhebungen haben ergeben, dass etwa zwei Drittel der untersuchten Einrichtungen ein sexualpädagogisches Konzept haben. Allerdings sei nur ein Drittel von diesen Konzepten in Leichter Lesen verfügbar. Dies sei aber wichtig, damit man die Informationen auch allen Bewohner:innen zugänglich machen könne.

Ein Drittel der untersuchten Einrichtungen verfügen über kein sexualpädagogisches Konzept. Die Volksanwaltschaft empfiehlt, dass alle Einrichtungen ein sexualpädagogisches Konzept haben, das sowohl Mitarbeiter:innen als auch Bewohner:innen bekannt ist und mit dem auch aktiv gearbeitet wird.

Für die sexuelle Aufklärung sei es zudem wichtig, dass es speziell geschulte Mitarbeiter:innen gibt, an die sich die Bewohner:innen mit Fragen und Problemen wenden können. Nur in etwa der Hälfte der untersuchten Einrichtungen gebe es solche Mitarbeiter:innen. Wichtig sei laut Volksanwaltschaft auch, dass die Mitarbeiter:innen regelmäßige Weiterbildungen erhalten.

Menschen mit schweren Behinderungen besonders benachteiligt

Eine besondere Problematik sieht der Volksanwalt in Einrichtungen, in denen Menschen mit schweren Behinderungen leben. Dort würde sehr oft das Thema Sexualität ignoriert und tabuisiert werden.

Das sei sehr problematisch und widerspreche der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Außerdem führe das Ignorieren des Sexualtriebs vermehrt zu gewaltsamen Übergriffen.

Privatsphäre

Ein weiterer wichtiger Punkt, wenn es um die sexuelle Selbstbestimmung geht, sind die Lebensumstände der Bewohner:innen:

  • Gibt es Einzelzimmer, die man versperren kann?
  • Gibt es genug Privatsphäre?
  • Können Menschen, die nicht in der Einrichtung leben, Bewohner:innen besuchen und auch über Nacht bleiben?

Der Volksanwalt führt hierzu aus: Das Vorhandensein von Einzelzimmern sei in den meisten Einrichtungen schon gut entwickelt. Relativ problematisch sei aber der Umgang mit Besuch von außerhalb und das Bleiben über Nacht.

Betont wird abschließend, dass es, je besser mit dem Thema Sexualität in Einrichtungen umgegangen wird, desto weniger zu Übergriffen unter den Bewohner:innen und gegenüber dem Personal komme.

Ein Blick nach Kärnten

Nach den Ausführungen von Bernhard Achitz schildert Isabella Scheiflinger, Anwältin für Menschen mit Behinderungen in Kärnten, die Situation in ihrem Bundesland. Sehr oft würde sie im Zuge ihrer Arbeit mit dem Thema Sexualität konfrontiert werden.

Aus diesem Grund wurde 2023 in Velden eine Konferenz zum Thema Behinderungen und Sexualität veranstaltet. Im Zuge dieser Konferenz kamen verschiedene Problemfelder und Fragestellungen auf:

  • Was kann ich tun, wenn sich andere in meine sexuelle Selbstbestimmung einmischen?
  • Dürfen Familienangehörige oder Erwachsenenvertreter:innen das überhaupt?
  • Dürfen Paare in Einrichtungen zusammenwohnen?
  • Dürfen sexuelle Dienstleistungen auch in Einrichtungen in Anspruch genommen werden?
  • Wie wird mit Kinderwünschen umgegangen?
  • Wie können sich Mitarbeiter:innen rechtlich absichern?
  • Wo liegen die Grenzen bei Unterstützungsleistungen?

Die Ergebnisse dieser Tagung wurden in Empfehlungen verarbeitet, die demnächst in einem Statement der Kärntner Landesregierung übergeben werden sollen.

Zugang zu Sexualität

Die Empfehlungen lauten, das Prostitutionsgesetz in Kärnten zu ändern, sodass Menschen mit Behinderungen, egal ob sie in Einrichtungen leben oder nicht, Zugang zu entsprechenden Leistungen bekommen.

Auch soll es entsprechend ausgebildete Sexualbegleiter:innen geben, die Menschen mit Behinderungen dabei helfen, ihre Sexualität selbstbestimmt auszuleben.

Selbstbestimmte Elternschaft

Sowohl Achitz als auch Scheiflinger sehen Elternschaft und selbstbestimmte Verhütung als wichtige Themen an.

Die Erhebung der Volksanwaltschaft ergab, dass es in 70 % der Einrichtungen zumindest eine Diskussion über selbstbestimmte Verhütung und der damit zusammenhängenden Aufklärung gibt. Dennoch gebe es einige Einrichtungen, in denen das noch nicht funktioniert.

Im Punkto Elternschaft zeigen sich noch einige Probleme und Unsicherheiten. So befürchten immer noch viele Menschen mit Behinderungen eine Abnahme des Kindes durch das Jugendamt. Diese Angst ist nicht unbegründet. Der Volksanwalt schildert einen Fall, bei dem einer Mutter nur aufgrund von Epilepsie vorübergehend das Sorgerecht entzogen wurde.

Sowohl Achitz als auch Scheiflinger fordern daher die Umsetzung von Elternassistenz, sodass auch Menschen mit Behinderungen ihr Recht auf Elternschaft ausüben können.

Zum Abschluss der Pressekonferenz betont Achitz noch einmal die Wichtigkeit von geschulten Ansprechpartner:innen für Bewohner:innen, denn nur wer entsprechend informiert ist, kann seine eigenen Grenzen setzen und seine Bedürfnisse äußern.

Diese entsprechend geschulten Mitarbeiter:innen sollten sich auch um die Gewaltprävention und um regelmäßige Schulungen für andere Mitarbeiter:innen kümmern. Zudem müsse man Bewohner:innenvertreterung miteinbeziehen, denn diese seien ein wichtiges Sprachrohr, das es einzelnen oder auch einer Gruppe erleichtert, den Willen gegenüber der Einrichtung zu äußern.

Beratungsstrukturen dürfen sich nicht nur auf Einrichtungen beschränken. Auch außerhalb von Einrichtungen muss es unabhängige Beratungsstellen geben, an die sich Bewohner:innen wenden können.

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4 Kommentare

  • Im sechsten Absatz dieses Artikels wird von „Problemfällen“ gesprochen. Ich bin mir nicht sicher, ob es sich hierbei um ein Zitat handelt oder um einen Begriff, den die Verfasserin des Artikels gewählt hat. Gerade im Hinblick auf Menschen mit Behinderungen finde ich die Verwendung dieses Begriffs problematisch. Ich hätte mir gewünscht, dass von Menschen mit Behinderungen und unterschiedlichen sexuellen Bedürfnissen gesprochen wird. Diese Bedürfnisse können von der Umwelt als problematisch empfunden werden; hierdurch wird der Mensch jedoch nicht zum Problemfall.

    • Da die Kollegin, die das schrieb, leider für längere Zeit nicht erreichbar ist, und sie auch die war, die bei der Pressekonferenz dabei war, sind wir uns nicht sicher. Wir formulieren es um.

  • Sehr geehrte Frau Müllebner! Seit zwei Jahren forschen wir intensiv zum Thema Geschlechtlichkeit, Libido und Menschen mit Behinderung sowie deren Rechte und Möglichkeiten. Obwohl es in Oberösterreich den Verein Senia gibt, der sich der Enthinderung der Sexualität widmet, beschränkt sich deren Angebot hauptsächlich auf Beratung. Vor etwa einem halben Jahr haben wir ein Unternehmen gegründet, das körpernahe Dienstleistungen, Aufklärung und Prävention ausschließlich für Menschen mit Behinderung anbietet. Täglich bemühen wir uns, das Land, Institutionen, Politiker, Träger und Personen des öffentlichen Lebens zu sensibilisieren und zu vermitteln, dass jeder Mensch ein Recht auf Sexualität hat, da es ein grundlegendes Bedürfnis ist. Obwohl grundsätzlich Verständnis und Toleranz gezeigt werden, stoßen wir immer wieder auf Barrieren, da das Thema als zu sensibel empfunden wird und unserer Meinung nach viel zu wenig getan wird. Zudem liegt die Entscheidung, unsere Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, in den meisten Fällen nicht bei den Betroffenen selbst, sondern wird häufig von Angehörigen, Erwachsenenvertretern, Sachwaltern oder Betreuungspersonal getroffen. Ihr Artikel spricht uns zutiefst an und spiegelt unsere eigenen Erfahrungen wider. Wir haben bereits Kontakt zu BIZEPS aufgenommen, um unser Projekt http://www.pimpyourdoll.at vorzustellen, jedoch blieb eine Rückmeldung aus. Die Kostenfrage war verständlicherweise ein wiederkehrendes Thema, daher haben wir den Verein “Inklusionsbrücke“ ins Leben gerufen, um unsere Dienstleistungen kostengünstiger anbieten zu können. Wir setzen uns täglich dafür ein, Menschen mit Beeinträchtigungen einen Zugang zur Welt der Sexualität ohne Bewertung, Beurteilung und Diskriminierung, zu Aufklärung und Prävention zu ermöglichen. Die Ignoranz, auf die wir stoßen, ist entsetzlich und zeigt, dass wir von der Umsetzung der UN-Behindertenkonventionen noch Lichtjahre entfernt sind. Wir freuen uns sehr darüber, dass unser Konzept bei unseren Besuchern so positiv ankommt und positive Auswirkungen zeigt. Es ist ermutigend zu sehen, wie unsere Arbeit dazu beiträgt, Menschen mit Beeinträchtigungen einen positiven Zugang zur Welt der Sexualität zu ermöglichen. Wir sind dankbar für die Unterstützung und das positive Feedback, das wir erhalten, und werden weiterhin mit Leidenschaft und Engagement daran arbeiten, dieses wichtige Thema voranzutreiben. Vielen Dank für Ihren Artikel!
    Liebe Grüße
    Jürgen Kirchgatterer

  • Gibt es hier gezielt darüber Forschung, WIE es in der Regel zum jugendamts-Kontakt kommt bzw. wer diesen initiiert?