Von Amts wegen an den Rollstuhl „gefesselt“

Wolfgang Schäuble, häufig genannter Kronprinz des deutschen Bundeskanzlers Kohl, wird die Nachricht aus dem fernen Wien mit Betrübnis vernommen haben. Artikel in der SN vom 22. Feber 1995

Beim Opernball müssen Rollstuhlfahrer wie Schäuble – leider, leider draußen bleiben. Das heißt, ein Platzerl bei den Zuschauern auf der Galerie wäre noch verfügbar, wo Schäuble oder andere Rollstuhlfahrer kein „Sicherheitsrisiko“ darstellen.

Eine solche internationale Blamage wäre natürlich nicht denkbar und Herrn Schäuble wäre wohl ein Platz in der Loge des Bundespräsidenten oder des Bundeskanzlers sicher. Aber der noch weniger bekannten Abgeordneten zum Nationalrat Theresia Haidlmayr, Rollstuhlfahrerin, kann man einen solchen Bescheid ruhig auftischen.

Die Grotesken, die sich rund um den an sich normalen Vorgang eines geplanten Opernballbesuchs abspielen, sind sondern?? Zahl. Opernball-Lady Lotte Tobisch etwa verweist betrübt auf ihr Herz für Behinderte und darauf, daß sie sich doch stets auch „für die Anliegen von Minderheiten“ eingesetzt habe, statt die menschenverachtende Peinlichkeit zu verhindern.

Minister Schüssel, zweite Instanz der bescheiderlassenden Sektion „Staatlicher Hochbau“, weiß schon im Interview, daß die von seiner Behörde georteten Sicherheitsprobleme lösbar sind, die Abgeordnete also den Ball besuchen kann.

Man könnte nach den Zwischenfall, zur Tagesordnung zurückkehren, würde er nicht auf fatale Art und Weise zu den Ereignissen dieser Tage passen. Denn weniger als zwei Wochen ist es her, als die Spitzen der Gesellschaft beim Begräbnis der vier ermordeten Roma gelobten, gegen die Aussonderung von „Minderheiten“ anzutreten.

Nun ist der Ausschluß vom Besuch des Opernballs keine Bedrohung von Leib und Leben. Aber was für die oberen Zehntausend der Ausschluß vom Opernball, ist für die unteren Hunderttausenden der Widerstand gegen behinderte Kinder an Kindergärten und Schulen oder gegen Wohngemeinschaften behinderter Menschen in der Nachbarschaft. Zwangssterillisierungen geistig behinderter Frauen sind, obwohl gegen das Gesetz, immer wieder auf der Tagesordnung.

Die Parallele zur Aussonderung der Roma hat auch eine historische Dimension: Beide Gruppen von Menschen zählten zu den ersten Opfern von Aussonderungen (die Roma in „Straflagern, wie es Jörg Haider nannte, die Behinderten in Anstalten), Zwangssterillisierungen, letztlich „Euthanasie“ (Mord, um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen).

Wer diese Erinnerung für weit hergeholt hält, der suche das Gespräch mit behinderten Personen oder deren Angehörigen: Kaum jemand, der nicht schon aus dem Mund ansonsten unauffälliger Mitmenschen den furchtbaren Satz gehört hat, „auf die hat der Hitler vergessen“. Für Anpöbelungen, nicht nur durch Neonazis, sind Behinderte in den letzten Jahren wieder ein willkommenes Objekt geworden.

Auf paradoxe Weise hat die Behörde recht, wenn sie von einem „Sicherheitsrisiko“ spricht. Sicherheit gegen die Gefahr der Ausgrenzung gibt es nur in der Mitte dieser Gesellschaft. Egal ob auf dem Opernball oder in Oberwart.

Ergänzung zum Opernballbeischeid vom 9.2.95, Zl. 600.015/28-V/4/95

Seitens des Opernballbüros wurde das BMfwA in Kenntnis gesetzt, daß beim Opernball 1995 der Wunsch geäußert worden sei, daß eine Rollstuhlbenützerin einen Platz im Bereich der Seitenbühne nächst der Tanzfläche erhalte. Weiters sei der Wunsch nach freier Bewegungsmöglichkeit im gesamten Hause geäußert worden.

1.) Entsprechend Punkt 8.1.2 des Bescheides kann einer Teilnahme einer behinderten Person (Rollstuhlbenützerin) am Opernball im Bereich Parkett/Paterre, Seiten- bzw. Hinterbühne etc. aus Gründen der Sicherheit für alle Opernballbesucher nicht zugestimmt werden.

Unerträglich

Der Obmann von SOS Mitmensch Martin Schenk meint „Die beischeidmäßig verfügte Arroganz öffentlicher Behörden ist beinahe unerträglich.“ Was bei Flüchtlingen begonnen wurde hört bei Behinderten nicht auf: „Schwarz auf Weiß mit amtlichem Stempel erfolgt die Ausweisung – aus der Mitte unserer Gesellschaft.“

Dieser Vorfall und andere (siehe obigen Artikel von Spudich) zeigen wieder, wie notwendig ein Gleichstellungsgesetz für Österreich ist!

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