Von Großeinrichtungen zum Leben in der Gemeinde

Molly Holsapple und Charlotte Duncan aus dem US-Bundesstaat Oregon haben am 18. April 2011 im rheinland-pfälzischen Sozialministerium darüber berichtet, wie dort die Einrichtungen für behinderte Menschen abgeschafft wurden.

Flagge USA
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Molly Holsapple und Charlotte Duncan aus dem US-Bundesstaat Oregon haben gestern im rheinland-pfälzischen Sozialministerium darüber berichtet, wie dort die Einrichtungen für behinderte Menschen abgeschafft wurden. Lebten vor 40 Jahren noch über 4.000 behinderte Menschen in einer Großeinrichtung, gilt heute, dass maximal fünf behinderte Menschen in einer Wohngruppe vor Ort zusammen leben.

So kurzfristig die Einladung verschickt wurde, so überraschend war das große Interesse an der Veranstaltung. Über 40 Akteure aus ganz verschiedenen Zusammenhängen waren nach Mainz gekommen, um von den Erfahrungen aus den USA zur Schließung von Behinderteneinrichtungen und zum Aufbau von Alternativen für die Unterstützung behinderter Menschen in der Gemeinde zu lernen.

Molly Holsapple vom Sozialministerium in Oregon und Charlotte Duncan, ehemalige Direktorin des Rates für Menschen mit Entwicklungsbehinderungen von Oregon, hatten dazu auch eine Menge zu sagen, denn beide haben den Veränderungsprozess aktiv miterlebt und mitgestaltet. Molly Holsapple erinnerte sich beispielsweise noch gut daran, als sie Anfang der 70er Jahre in der Großeinrichtung Fairview zu arbeiten begann.

Damals lebten dort 4.200 behinderte Menschen. Sie arbeitete mit daran, dass bis 1984 die ersten 1.000 dieser Menschen in kleinere Wohngruppen bzw. in eigene Wohnungen ausziehen konnten und dort die nötige Unterstützung bekamen.

In den nächsten 15 Jahren zogen dann die verbliebenen 3.000 Menschen ebenfalls in Wohnangebote in der Gemeinde aus, so dass die Einrichtung Anfang 2001 völlig geschlossen werden konnte. Diejenigen Menschen mit sogenannten geistigen, psychischen und Mehrfachbehinderungen, die damals in der Einrichtung lebten, leben jetzt in eigenen Wohnungen, kleinen Wohngemeinschaften von zwei bis drei Personen oder in Wohngruppen von maximal fünf Personen, meist in den Regionen, wo sie ihre Wurzeln haben und ihre Familien leben.

Charlotte Duncan machte deutlich, dass diese Veränderungen nicht vom Himmel gefallen sind, sondern hart erkämpft werden mussten. „Wir mussten mit sehr vielen Menschen sehr viel reden und die PolitikerInnen überzeugen, dass es besser ist, dass behinderte Menschen mitten in der Gemeinde leben anstatt in großen Einrichtungen. Wir mussten auch deutlich machen, dass das Geld der Behindertenhilfe dort wesentlich besser investiert ist als in Einrichtungen“, erklärte Charlotte Duncan.

Besonders mit Eltern galt es viele Gespräche zu führen und deren Opposition zu überwinden. „Wir haben viele Eltern geschult und die guten Beispiele der Veränderung immer wieder aufgezeigt. Am Ende war aber die gegenseitige Beratung und Unterstützung der Eltern mitentscheidend für die Veränderung.“

Entscheidend sei aber auch das Engagement und die Einbeziehung der behinderten Menschen selbst gewesen. „Wir haben diese geschult und zum Teil wurden sie selbst angestellt, um anderen behinderten Menschen Mut zu machen“, so Charlotte Duncan.

Geholfen im Veränderungsprozess hat auch die Möglichkeit, dass die Gelder, die für die behinderten Menschen aufgewandt wurden, statt im stationären Setting ambulant eingesetzt werden konnten. Dabei war die Orientierung am individuellen Bedarf ganz entscheidend, so dass auch viele behinderte Menschen 24 Stunden Unterstützung erhielten.

Anhand von konkreten Beispielen zeigten Molly Holsapple und Charlotte Duncan auf, was diese Veränderungen für behinderte Menschen bedeutet haben. Oft war viel mehr möglich als gedacht, auch wenn es einiger Überzeugungsarbeit von Nachbarn bedurfte. Bei diesen Veränderungen gingen entgegen der Befürchtungen vieler Beschäftigter aus den ehemaligen Großeinrichtungen keine Jobs verloren. Dafür hat der Staat von Oregon gesorgt.

Der Landesbehindertenbeauftragte von Rheinland-Pfalz, Ottmar Miles-Paul, der zu dieser Veranstaltung eingeladen und diese gedolmetscht hat, zeigte sich sehr zufrieden mit dem großen Interesse. „Dies zeigt mir, dass in Rheinland-Pfalz einiges in Bewegung ist und dass wir noch viel mehr besser machen können. Vor allem hat mich der Vortrag darin bestärkt, wie wichtig eine gute Eingliederungshilfereform hin zum personenzentrierten Ansatz ist“, erklärte dieser nach der Veranstaltung gegenüber den kobinet-nachrichten.

Die beiden US-Amerikanerinnen fliegen nun zurück in ihre Heimat, wo sie schwierige Verhandlungen erwarten, denn hier drohen Kürzungen im Sozialbudget. Das Grundprinzip des gleichberechtigten Lebens in der Gemeinde von Menschen mit Lernschwierigkeiten werde nach Ansicht von Molly Holsapple aber nicht angetastet.

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