Die Aussendung der SPÖ-Behindertensprecherin Prof. Erika Stubenvoll vom 16. März 2006 ist lesenswert. Es stellt sich die Frage, wie man mit der neuen Erkenntnis umgeht.
Die Behindertenpolitik in Wien ist nach der letzten Landtagswahl aufgewacht. Inhaltliche Differenzen werde immer wieder per Presseaussendung ausgetragen. In bunter Reihenfolge werden Wahrheiten und Unwahrheiten verbreitet.
Selten – aber hin und wieder doch – sind sie voll von unfreiwilliger Komik. Den sprichwörtlichen Vogel im heurigen Jahr hat bisher die Abgeordnete Stubenvoll abgeschossen. In einer Diskussion mit der ÖVP-Behindertensprecherin Karin Praniess-Kastner zum Thema Förderungen und Bittstellerdasein meint Stubenvoll wörtlich: „Tatsache ist, dass die Stadt behinderte Menschen nie als Bittsteller gesehen und sich immer für ihre Anliegen eingesetzt hat.“
Ob dieser Erkenntnis hilft nur ein Blick in den Kalender. Nein, es ist nicht 1. April und Stubenvoll dürfte dies ernst gemeint haben. Leider.
herbert kasberger,
22.03.2006, 16:47
In Österreich gehen die Uhren leider manchmal doch etwas anders. Wir hatten sogar Herbert Haupt als Frauenminister (nicht nur als Frauensprecher). Jetzt wo sich derselbe Herbert Haupt als (angeblich betroffener) um Behindertenangelegenheiten kümmert, finden es manche auch nicht so toll. Leider ist es auch für die Betroffenen, die Interessenspolitik machen nicht immer einfach die Wirklichkeit richtig einzuschätzen. Denn wenn ein Dr. Franz-Joseph Huainigg oder eine Theresia Haidlmayr mit Ihren persönlichen Assistenten heranrollen, geht manche Tür leichter auf und manche Person verhält sich diesen Personen gegenüber viel freundlicher. So freundlich wie Sie es zu Herbert X. oder Otto N. nie im Leben sein würden.
dorothea brozek,
22.03.2006, 15:30
@anonym: die rede ist von politischer interessensvertretung. interessensvertretung wird immer von den jeweils betroffenen gemacht – wenn sie glaubwürdig und effektiv sein soll. – oder was würden sie von männern als frauensprecher halten. – ja, reden dürfen eh alle, wie man auch an rückratlosen anonymen schreibern sieht – aber ob’s effektiv ist? – eher viel heisse luft …
Anonymous,
22.03.2006, 12:44
naürlich: betroffene Expertinnen in der Politik wären eine tolle Sache. Aber eine Garantie, dass die es besser machen, gibt es nicht. Ein gutes Beispiel gab der blinde Minister David Blunkett -> http://en.wikipedia.org/wiki/David_Blunkett. Aber will Rudolf G. wirklich, dass sich Leute ohne Behinderung nicht mehr um dieses Thema kümmern, nicht mehr davon reden, nicht mehr darüber denken, und sei es noch so respektvoll – dann dürfte niemand von uns über andere Kontinente reden, über MigrantInnen etc. Das kann nicht funktionieren. Das ist übertriebene Selbstbestimmung, finde ich. Und erneut Diskriminierung.
rudolf G.,
22.03.2006, 12:23
Warum müssen noch immer nichtbehinderte Menschen Ihren „Senf“ über die Wünsche, Gefühle, Bedürfnisse und Empfindungen von uns behinderten Menschen abgeben. Wir können denken, fühlen, reden und sind durchaus in der Lage selbst zu sagen, was wir wollen und wie wir uns fühlen. Gibt es in der SPÖ wirklich keine Menschen, die selbst von einer Behinderung betroffen sind.
Karina Ertl,
22.03.2006, 10:59
Naja: Wenn ich mich einmal an eine Stelle wenden muss, um Förderungen zu erhalten, die mir zustehen, dann bin ich kein Bittsteller. Wenn ich dauern zum Amt rennen muss, warten muss, es immer wieder dauert, dann fühle ich mich sehr degradiert. Alle hier unter mir, die die Stadt Wien in Schutz nehmen, sollen mir sagen, das komme nicht vor.
Ein Beispiel ist die großartige Homepage über Barrieren in Wien: (BIZEPS hat kürzlich darüber berichtet): Zusammen mit Betroffenen wurde mit Prof. Stubenvoll und Herrn Pfleger eine Lösung besprochen, wie man ein effizientes und überprüfbares System einrichten kann: a) Jeder, dem eine Barriere auffällt, kann dies auf einer Homepage melden. Jeder Mangel sollte dann allen anderen auch offensichtlich sein, außerdem sollte dann ersichtlich sein, ob der Schaden schon behoben ist, wie lange es gedauert hat oder warum keine Sanierung erfolgt ist.
Doch was ist rausgekommen? Eine Homepage die man gar nicht findet, weil sie so versteckt ist. Von Transparenz keine Spur und die Anfragen beantworten bis zu vier (!) Sachbearbeiter und dann kommen treuherzige und ahnungslose Kommentare, dass eh schon alles so schön sei.
So und jetzt denken wir wieder an den Bittsteller oder an die „verdienstvollen PolitikerInnen“!
Zweites Beispiel: Beim Modellversuch zur Persönlichen Assistenz gibt es einen Beirat, in dem die Mitglieder der gemeinderätlichen Behindertenkommission auch teilnehmen können. Aber seltsamerweise vergisst deren Vorsitzender Riha, selbst Kandidat auf einer Parteiliste, immer wieder, auch die anderen Parteien einzuladen. Nein nein, die Stadt Wien behandelt die anderen nicht als Bittsteller, sie weiß alles, ähnlich wie viele der Bundesregierung, schon so viel besser, dass sie längst den Kontakt mit dem Boden verloren haben – und auch zu einer guten demokratischen Kultur.
Anonym,
22.03.2006, 10:01
Das ist Kronenzeitung-Niveau: Eine aus dem Zusammenhang gerissene Aussage als „Aprilscherz“ hinzustellen.
Dem könnte ebenso gegenüber gestellt werden, dass Wien schon Anfang der 90iger Jahre auf Niederflur gesetzt hat oder etwa dass es in Wien Fahrtendienste gibt – wo sonst in Österreich gibt es das?
Verdienstvolle Politikerinnen aufgrund eines einzigen Zitats anzupinkeln sollte eigentlich nicht der Stil einer Behindertennachrichtenagentur wie Bizeps sein! Oder steckt da auch schon die Kronenzeitung dahinter?
anita gronek,
22.03.2006, 09:57
@gerhard-norbert ludwig: gut gebrüllt, löwe. und woran erkennen sie das?
Gerhard-Norbert Ludwig,
22.03.2006, 08:19
Richtig ist, dass die Behindertenpolitik in Wien einen ständigen Lernprozess unterliegt. Dank dem Engagement von Frau Landtagspräsidentin Stubenvoll ist es gelungen, Menschen mit Behinderung nicht als „Bittsteller“, sondern als vollwertige Mitglieder der Kommune gesehen werden.
Anonymous,
22.03.2006, 08:06
Leicht möglich das behinderte Menschen nie als Bittsteller gesehen wurden denn es wird anscheinend jede/r BürgerIn als Bittsteller behandelt, naja fast jeder – manche sind halt gleicher. Aber dass sie sich in letzter Zeit unter anderem auch für unsere Anliegen einsetzt ist in der Planung von Öffis, Verkehrswegen und Wohnanlagen wahr. Aber wie gesagt nur in letzter Zeit (ca. 10 – 15 Jahre).
Anonymous,
18.03.2006, 13:31
Vielleicht hat die Stadt behinderte Menschen wirklich nie als Bittsteller gesehen. Aber eines ist sicher: Sie behandelt sie laufend wie Bittsteller.
Gerhard Lichtenauer,
18.03.2006, 02:34
Einmalig: „Tatsache ist, dass die Stadt behinderte Menschen nie als Bittsteller gesehen und sich immer für ihre Anliegen eingesetzt hat.“ Der ist aber auch gut: „Niemand muss von einer Stelle zur anderen laufen, die AnsprechpartnerInnen im Fonds Soziales Wien agieren rasch und unbürokratisch“.
Da bleibt kein Auge trocken! Das ist Satire, Tragödie und Drama zugeich: Satire, weil es nur ironisch gemeint sein kann, Tragödie, weil es nicht stimmt und Drama, weil es Menschen gibt, die das wirklich glauben!