Gestern, am 13. Juni 1999, wurde einer Wiener Bürgerin das Wahlrecht zu den Europawahlen verweigert.
Tamara Grundstein wohnt im 15. Bezirk, ihr Wahllokal ist in der Meiselstraße 19, der Wahlsprengel hat die Nummer 62. Die wahlberechtigte Person benutzt einen Elektrorollstuhl.
Wohlwissend, daß das Wahllokal nicht berollbar ist, mehrere Stufen im Eingangsbereich und 2 Stiegen in den ersten Stock, rief Grundstein vier Tage vorher bei der Wiener Wahlbehörde (MA 62) an. Sie machte auf das Problem aufmerksam. Der Herr am Telefon (Name bekannt) entschuldigte sich sofort für diesen Mißstand. Für die Zukunft werde das Magistrat sich bemühen, nur noch barrierefreie Wahllokale anzubieten.
Für diese Wahl schlug der freundliche Herr der MA 62 eine sehr unbürokratische Lösung vor: „Wenn sie wählen kommen, lassen sie Bescheid sagen, Mitarbeiter der Wahlkommission kommen zu ihnen, und die Wahl kann unten stattfinden“. Tamara Grundstein stimmte zu!
Am Wahltag selber erwies sich diese Lösung für die Wahlkommission und für den Bezirkswahlleiter Dr. Dietmar Klose als unmöglich. „Das verstoße gegen jegliche Vorschriften“, so die Begründung.
Als Lösung des Problems wurde die Rettung vorgeschlagen. Da Tamara Grundstein nicht akut erkrankt war, sondern nur ihr Wahlrecht ausüben wollte, lehnte sie diesen Vorschlag ab. Es war der Wahlkommission sowie dem Bezirkswahlleiter nicht beizubringen, daß die Lösung darin läge, die Wahl im stufenlosen Bereich stattfinden zu lassen. Selbst Interventionen der Magistratsabteilung 62 halfen nicht weiter!
Obwohl sich der freundliche Herr der Stadt nochmals für diesen Mißstand entschuldigte, war das Resultat eindeutig. „Einer Bürgerin im Rollstuhl wurde aufgrund von Barrieren und dem starren Festhalten an Vorschriften seitens der Behörde das Wahlrecht verweigert“ so Dr. Klaus Voget, Präsident der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (ÖAR).
Hinweise, wie, „sie müssen eine Wahlkarte beantragen, wir lassen Sie mit der Rettung hinauftragen, für Behinderte ist die ´Mobile Wahlkommission´ zuständig“, untermauern nur diesen diskriminierenden Tatbestand. „Behinderte Menschen wollen nicht weiter durch Sondermaßnahmen zu Menschen zweiter Klasse degradiert werden“ so Voget.
Die Vorgehensweise der Bezirkswahlbehörde stellt eine eindeutige Diskriminierung dar und verstößt damit gegen die österreichische Verfassung, Artikel 7: „Niemand darf auf Grund seiner Behinderung benachteiligt werden“. „Da beruft sich die Wahlbehörde auf Vorschriften und verweigert somit Menschen im Rollstuhl das Wahlrecht. Gleichzeitig beugt sie mit diesem Vorgehen Grundrechte, die in der Verfassung verankert sind“, analysiert Präsident Voget diesen Vorfall.
„Die Rechtsabteilung der ÖAR prüft eine Anfechtung dieser Wahl“, kündigt Voget an. „Es ist davon auszugehen, daß aus diesem Grund mehrere Personen von der Europa-Wahl ausgeschlossen wurden.“