Wann kommt die Revolte in den Altenheimen?

Vor 50 Jahren forderten die sogenannten 68er die Gesellschaft zu einem neuen Denken und Handeln heraus. Der Marsch durch die Institutionen wurde als ein Weg der Veränderung gesellschaftlicher Strukturen und Rahmenbedingungen propagiert und vieles, was damals noch als unmöglich erschien, veränderte sich im Laufe der Jahre. Vieles wurde allerdings auch "noch" nicht erreicht.

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Sex, Drugs and Rock ’n‘ Roll, dieser Spruch trifft die Umwälzungen in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts genauso gut, wie Sit-Ins, Demonstrationen, neue Wohnformen und neue Rollenbilder.

Vieles kam damals mit der Protestbewegung der 60er Jahre in Bewegung, das unser Leben heute noch prägt und in vielerlei Hinsicht freier und lebenswerter gestaltet.

Auch die Situation der damaligen Heimkinder spielte in der politischen Auseinandersetzung eine wichtige Rolle, auch wenn es dabei hauptsächlich um die miserablen Zustände in den sogenannten Jugendhilfeeinrichtungen ging. Auch hier hat sich mittlerweile einiges zum Besseren gewendet und zunehmend wird die schreckliche Geschichte der deutschen Heime aufgearbeitet.

Mittlerweile langsam auch die Geschehnisse in den Behinderteneinrichtungen und Psychiatrien – und das nicht nur während der Nazizeit, sondern bis hinein in die 90er Jahre. Von der heutigen Situation spricht man jedoch noch recht wenig, da verdienen ja viele noch richtig gut daran, bzw. bestreiten dort ihren Lebensunterhalt.

Heute, da diejenigen, die damals in ihrem jugendlichen Schwung die Gesellschaft herausforderten und in einigen Bereichen auch veränderten, im sogenannten Seniorenalter angekommen sind, darf die Frage gestellt werden, was von der damaligen Protestkultur, dem kritischen Denken und dem Streben nach Veränderung noch übrig geblieben ist.

Denn diese Generation hat bereits Kontakt mit dem Altenhilfesystem aufgenommen, bzw. wird dies zu großen Teilen bald vor sich haben. Und dieses System unterscheidet sich nur unwesentlich von den aussondernden und zum Teil menschenrechtsverachtenden Rahmenbedingungen der sogenannten Behindertenhilfe, die genauso einrichtungsgeprägt ist, wie die Altenhilfe.

Hunderttausende behinderter Menschen müssen in Behinderteneinrichtungen leben und sich dort meist ohne ernst zu nehmende Alternativen dem institutionellen Alltag anpassen. Und noch mehr ältere Menschen leben bereits in sogenannten Altenheimen, Altenpflegeheimen, Seniorenresidenzen oder wie sie gerade auch heißen.

Je nach finanzieller Betuchtheit spüren die Menschen dort mehr oder weniger das, was behinderte Menschen in den Einrichtungen meist auch erleben, ein hohes Maß an Aussonderung mit all seinen Facetten. Und die heutigen Systeme sind meist genau so verlogen, wie die damaligen. Immer mehr Einrichtungen leisten sich PressesprecherInnen, die über alles Mögliche, vermeintlich tolle berichten, nur nicht darüber, wie es ihren Insassen wirklich geht.

Wäre da nicht der Drang der älteren Generation – und wahrscheinlich unserer Gesellschaft allgemein – diese Zustände so lange im Glauben an die eigene Gesundheit zu verdrängen, bis man selbst davon betroffen ist und sich nicht mehr richtig wehren kann, böten die vielen Sondereinrichtungen in Deutschland einen idealen Schauplatz für so manche Revival-Aktion der 68er Bewegung.

Statt Kommune 1 das städtische Altenheim mit Doppelzimmer, Warten auf die PflegerInnen, gemeinsames Singen und Basteln und vor allem wenigen Möglichkeiten, jemals wieder raus zu kommen. Welch Protestpotenzial, welche Menschenrechtsbewegung im eigenen Land könnte daraus entstehen, damit der Marsch in die Institutionen gestoppt und würdige ambulante Alternativen geschaffen werden, die Inklusion auch weiterhin ermöglichen.

Vielleicht tut sich ja was, wenn Mick Jagger 80 wird, derzeit ist auf jeden Fall noch kaum Regung der mittlerweile alten 68er in diese Richtung zu vernehmen. Der Marsch aus den Institutionen wird also wohl noch warten müssen. Jetzt ist ja auch erst mal Sommer und man kann sich die Sache entspannt von Malle aus betrachten.

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3 Kommentare

  • Wenn schon, denn schon…
    Ich würde ich die Menschen in den Altenheimen BewohnerInnen nennen und nicht Insassen!!!

  • eigentlich müsst ma uns ja gar net auf die heime beschränken … könnten alle freiheiten nützen, die der “ Marsch aus den Institutionen “ aufmacht…

    ein paar gute sprüche hätt ma schon
    http://www.alterskompetenzen.info/karten-zum-altern/
    etwa gegen das aktivierungsregime –
    für das „recht auf würde, gebrechlichkeit und verfall“

    • Ernüchternder Beitrag – cooler Link. Danke!