Wann wird die ARD barrierefrei, Frau Piel?

Offener Brief an die ARD-Vorsitzende vom 11. Jänner 2011.

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Sehr geehrte Frau Piel, mit Interesse habe ich Ihre Interviews zum Beginn Ihrer Amtszeit als ARD-Vorsitzende gelesen. Unter anderem äußern Sie sich zum neuen Gebührenmodell, bei dem künftig auch blinde und gehörlose Menschen GEZ-Gebühren zahlen sollen. Ich sage Ihnen ganz offen, ich habe damit überhaupt kein Problem, wenn diese Menschen auch die gleiche Leistung bekommen wie nicht behinderte Gebührenzahler. Die Tagesschau hat gerade ihre erste App für iPhone & Co. veröffentlicht. Es ist kein Hexenwerk, die App so zu entwickeln, dass sie auch die von Apple standardmäßig im iPhone integrierte Sprachausgabe (VoiceOver) unterstützt. Damit könnten auch blinde und sehbehinderte Menschen die App nutzen.

Schon kurz nach der Veröffentlichung der App war klar, die Software ist für blinde Menschen völlig wertlos. Sie ist so programmiert, dass die Sprachausgabe weder das Navigieren noch das Vorlesen unterstützen kann. Ich habe über Twitter meinen Unmut darüber ausgedrückt und „gut unterrichtete Kreise“ informierten mich darüber, dass man das schlicht „vergessen“ habe. Wie man das im Jahr 2010 im Pflichtenheft vergessen kann, wo doch die Barrierefreiheit im Rundfunkstaatsvertrag festgelegt ist, wundert mich allerdings schon. Ich bot den „Kreisen“ an, der Tagesschau kostenfrei bei der Änderung behilflich zu sein. Nach wenigen Tagen meldeten sich die „Kreise“ wieder und teilten mir mit, bei der Tagesschau bestehe kein Interesse, die App dahingehend zu ändern.

Ich habe mein Hilfsangebot auch noch einmal im Tagesschau-Blog als Kommentar hinterlassen und eindringlich gebeten, die App zugänglich zu machen. Keine Reaktion. Wie darf ich das verstehen? Behinderte Menschen sollen zwar Gebühren zahlen, aber das heißt nicht, dass sie die Angebote im gleichen Umfang nutzen dürfen?

Ihre Kollegen bei der BBC haben übrigens auch eine App für BBC News mit ganz ähnlichen Funktionen wie die Tagesschau-App. Und wissen Sie was? Ich kenne blinde Menschen in England, die diese auf dem iPhone haben. Sie ist einigermaßen barrierefrei und übrigens kostenfrei.

Und wo wir gerade bei der Barrierefreiheit bei der ARD sind: Mir ist klar, warum gehörlose Zuschauer künftig nur 1/3 der GEZ-Gebühren zahlen müssen. Die öffentlich-rechtlichen Sender untertiteln ja auch nur 1/3 des Programms. Das Erste hat 2009 33 Prozent des Programms untertitelt. Mit Verlaub, ich halte das für einen Skandal. Jeder gehörlose Mensch, der eine Weile in Großbritannien oder in den USA war, kommt zurück nach Deutschland und fragt sich: „Warum können die Deutschen das nicht – 100% des Programms untertiteln?“. Die BBC untertitelt selbst Konzerte und im ganzen Land laufen auf Flughäfen, in Lounges und Wartezimmern Fernseher mit Untertitel, damit man durch den Ton nicht gestört wird. Die ARD untertitelt nicht einmal alle Informationssendungen und dann teilweise in haarsträubender Qualität. Schauen Sie sich mal eine ihrer aktuellen Sendungen nur mit Untertitel an!

Und von Audiodeskription, also der Bildbeschreibung für blinde Menschen, oder gar Gebärdensprache rede ich schon gar nicht. Nach meinen Beobachtungen ist durchschnittlich nur eine Sendung pro Tag mit Audiodeskription versehen. In UK ist unterdessen 20 Prozent des Fernsehprogramms mit Bildbeschreibungen verfügbar. Mich ärgert an der Debatte um die Tagesschau-App vor allem, dass bereits über neue Einnahmequellen geredet wird, bevor die ARD (gleiches gilt allerdings auch für das ZDF) überhaupt ihrer Aufgabe der Grundversorgung nachgekommen ist – und zwar für alle Menschen. Also, wann wird die ARD barrierefrei, Frau Piel?

Update

Der technische Leiter von Tagesschau.de hat in den Kommentaren zu dem Blogbeitrag zugesichert, dass es in den nächsten Wochen ein Update geben wird, das die Sprachausgabe unterstützt.

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