Flagge Österreich

Wann wird die Besatzungsmacht Behindertendiskriminierung endlich unser Land verlassen?

Am 26. Oktober feiern wir das Verlassen Österreichs durch den letzten Besatzungssoldaten im Jahr 1955. Doch werden wir auch jemals einen Nationalfeiertag feiern können, an dem die letzte behindertendiskriminierende Barriere beseitigt sein wird?

Seit 1. Jänner 2006, also seit rund zehn Monaten, ist das sogenannte Behindertengleichstellungspaket in Kraft; Grund genug, ein erstes Resümee zu ziehen:

  • Die ersten Schlichtungsverfahren sind bereits abgeschlossen worden, wobei die meisten Diskriminierungen in der Arbeitswelt bzw. durch Barrieren betrafen und sich wie erwartet gezeigt hat, dass mit Schadenersatz allein nicht geholfen ist, sondern es eines Unterlassungs- bzw. Beseitigungsanspruches bedürfte, um von Diskriminierern die Unterlassung der Diskriminierung bzw. die Beseitigung z. B. einer diskriminierenden Barriere auch mit Nachdruck fordern zu können.
  • Es gab noch keine einzige Klage bei den ordentlichen Gerichten gegen eine Behindertendiskriminierung im Sinne des neuen Behindertengleichstellungspaketes.
  • Es gab bislang noch keine einzige Verbandsklage nach dem Behindertengleichstellungsgesetz.
  • Die von der österreichischen Behindertenbewegung in Form des „Aktionsbündnisses Österreich für Behindertenrechte“ allen Parlamentsfraktionen am 13. April 2005 übergebenen Vorschläge für Abänderungsanträge zum Behindertengleichstellungspaket, wodurch die gröbsten Schwachstellen beseitigt hätten werden sollen, sind noch in keinem einzigen Punkt vom Parlament beschlossen worden.
  • Die überwiegende Mehrzahl der behindertendiskriminierenden Bestimmungen im Bundesrecht, die im Bericht des Bundeskanzleramtes Verfassungsdienst vom März 1999 dokumentiert sind, wurde noch immer nicht durch entsprechende Bündelgesetze bereinigt und schon gar nicht die seit diesem Bericht neu ermittelten behindertendiskriminierenden Bestimmungen.
  • Das für Herbst 2006 angekündigte Bündelgesetz zur Umsetzung der verfassungsrechtlich als eigenständige Sprache anerkannten Österreichischen Gebärdensprache steht noch immer aus.
  • Die in den Materialien zum Behindertengleichstellungspaket angekündigten Verhandlungen des Bundes mit den Ländern über den Abschluss einer Vereinbarung nach Art. 15a B-VG zur Schaffung eines österreichweit einheitlichen und hohen Standards der Behindertengleichstellung sind noch nicht einmal eingeleitet worden.
  • Die nach dem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz bis Ende des Jahres 2006 auszuarbeitenden Etappenpläne zum Abbau von Barrieren bei Bundesgebäuden und im öffentlichen Verkehr stehen ebenfalls noch aus.

Nun, die Bilanz ist bislang nicht gerade berauschend, was sich natürlich auf die Weiterentwicklung der Behindertengleichstellung in Österreich nachteilig auswirkt:

Verbandsklagen sollten Richtungsentscheidungen bei Diskriminierungen von allgemeinem Interesse bringen!

Das in § 13 Behindertengleichstellungsgesetz verankerte Verbandsklagerecht der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation wurde ja im Zuge der Gesetzeswerdung massiv von der Behinderten- und Gleichstellungsbewegung kritisiert; ist es doch so schwach ausgestaltet wie sonst kein anderes Verbandsklagerecht im österreichischen Recht.

So kann die ÖAR nur auf Empfehlung des Bundesbehindertenbeirates, der diese Empfehlung mit einer Zweidrittelmehrheit beschließen muss, eine Verbandsklage einbringen und dann ist auch noch die Frage, wer das doch nicht unerhebliche Prozesskostenrisiko trägt.

All diese, im Vorfeld von den behinderten ExpertInnen bereits scharf kritisierten, Schwachstellen dieses Verbandsklagerechtes scheinen die Befürchtungen der österr. Behinderten- und Gleichstellungsbewegung zu bestätigen, wurde doch bislang keine einzige vorstellbare Verbandsklage im Bundesbehindertenbeirat thematisiert und damit folglich auch keine einzige eingebracht.

Etappenpläne sollten einen umsetzbaren Fahrplan des Abbaues von Barrieren im öffentlichen Verkehr und bei Bundesgebäuden bringen!

Glaubt man den unter vorgehaltener Hand gemachten Aussagen gut informierter Protagonisten der Behindertenbewegung, so dürfte es mit den bis Ende 2006 zu erarbeitenden Etappenplänen wohl nichts werden; zu zäh gestalten sich die Verhandlungen. Damit stockt aber der für eine nachhaltige Gleichstellung von Menschen mit Behinderung unabdingbare Abbau von diskriminierenden Barrieren in den so wichtigen Bereichen öffentlicher Verkehr und Bundesgebäude.

Ein pointierter und umfassender Jahresbericht des Anwaltes für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderung sollte Schwachstellen aufzeigen und Weiterentwicklungsempfehlungen enthalten!

Gerade die in der Öffentlichkeit zu erhebende Stimme des Behindertenanwaltes könnte ein Korrektiv bzw. sogar auch ein Motor zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts werden.

Doch, so laut seinerzeit die Kritik um die (politische) Besetzung dieser Funktion mit Exsozialminister Mag. Herbert Haupt auch war, so leise ist es nun um die Tätigkeit der Behindertenanwaltschaft geworden, sieht man von der zu Beginn seiner Amtsperiode und in seiner Zwischenbilanz am 10. April 2006 angekündigten und bislang nicht umgesetzten Studie zur Wirtschaftlichkeit von Barrierefreiheit, Sprechtagen in den Bundesländern und vereinzelten Pressemeldungen, wie jüngst jener zur geplanten Musterklage gegen eine Versicherung, ab.

Nun darf mit Spannung dem ersten Jahresbericht über die Tätigkeit der Anwaltschaft für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen an die Sozialministerin und den Bundesbehindertenbeirat entgegengesehen werden, der, so steht zu hoffen, doch mit einigen richtungsweisenden und überfälligen Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Behindertengleichstellung in Österreich aufwarten sollte, wie z. B. die Aufnahme eines Unterlassungs- und Beseitigungsanspruches neben dem Schadenersatzanspruch in den Katalog der Sanktionen für Behindertendiskriminierungen nach dem Behindertengleichstellungsgesetz und den Antidiskriminierungsbestimmungen im Behinderteneinstellungsgesetz, der Stärkung des Verbandsklagerechtes im Behindertengleichstellungsbereich durch die Beseitigung der Empfehlung des Bundesbehindertenbeirates für eine Verbandsklage und die Aufnahme weiterer verbandsklagsberechtigter Organisationen neben die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, die Ausarbeitung weiterer Bündelgesetze zur Schaffung neuer Gleichstellungsrechte in den verschiedenen Materiengesetzen bzw. zur Bereinigung des Bundesrechts von behindertendiskriminierenden Bestimmungen oder auch die Aufforderung an die Bundesregierung, endlich die überfällige Initiative zur Einleitung von Verhandlungen mit den Ländern über den Abschluss einer Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG zur Schaffung eines österreichweit einheitlichen und hohen Standards der Behindertengleichstellung.

Nun, aber vielleicht bringen ja die aktuellen Regierungsverhandlungen in Sachen Behindertengleichstellung noch einen überraschenden Knüller, auch wenn die Behindertengleichstellung bislang dort noch kein wirklich brennendes Thema gewesen sein dürfte.

Vielleicht können wir ja aber dennoch am 26. Oktober 2007/2008/2009/2010 oder so den Nationalfeiertag feiern, an dem auch die letzte behindertendiskriminierende Barriere aus unserem Lande verbannt wurde. Spätestens 2015/2016 – mit Ablauf der Übergangsfristen – sollte es aber wohl so weit sein, oder?

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