Warum die GRÜNEN ein Problem bekommen …

... und es vielleicht noch gar nicht bemerkt haben. Ein Kommentar.

GRÜNE: Selbstbestimmung und Solidarisch
GRÜNE

Am 15. Februar 2020 wurden die KandidatInnen der Wiener GRÜNEN für die bevorstehende Landtagswahl gewählt. Nun stehe fest, dass man “ein unglaublich klasses Team habe“; man sei nun “breiter aufgestellt“. “Sie sind jung und selbstbewusst” – und, so muss man kritisch ergänzen: “nicht behindert“.

Das Problem mit der Partizipation

Den GRÜNEN ist in letzter Zeit etwas passiert, was zuerst noch als Versehen gewertet wurde – nun aber zum Systemfehler wird. Jene Partei, die im Sinne der Selbstbestimmung immer sehr stolz war, auch qualifizierte Abgeordnete mit Behinderungen zu haben, scheitert laufend am eigenen Anspruch.

Man könnte nun einwenden, dass die SPÖ auch keine Abgeordneten mit Behinderungen hat und auch nie hatte. Stimmt. Nur war es der SPÖ scheinbar immer egal, weil dort das Fürsorgeprinzip wichtiger war. Doch die GRÜNEN waren bisher anders gestrickt. Und das stand auch so in den Statuten: (Die Grundwerte der Partei lauten: basisdemokratisch, feministisch, gewaltfrei, ökologisch, selbstbestimmt und solidarisch.)

Lange Reihe von Vorbildern

Zur Erinnerung hier die bekanntesten behinderten Abgeordneten der GRÜNEN: Manfred Srb (Nationalratsabgeordneter von 1986-1994), Theresia Haidlmayr (Nationalratsabgeordnete 1994 bis 2008), Helene Jarmer (Nationalratsabgeordnete 2009 bis 2017) oder Gunther Trübswasser (OÖ-Landtagsabgeordneter 1997 bis 2009). Welch beeindruckende Bilanz von 1986 bis 2017! Keine andere Partei kann da auch nur ansatzweise mithalten.

Doch in letzter Zeit – konkret seit dem Wiedereinzug 2019 – haben behinderte Kandidatinnen und Kandidaten bei den GRÜNEN keine Chance mehr.

Peinlich für die GRÜNEN: Die Wahrscheinlichkeit, als behinderter Mensch bei der ÖVP oder FPÖ ein Mandat zu erreichen, ist deutlich höher.

Nur mehr Stellvertretung bei den GRÜNEN?

Offensichtlich wurde das Scheitern der GRÜNEN bei der Nationalratswahl 2019. Waren bei der Wahl 2017 noch KandidatInnen mit Behinderungen an wählbarer Stelle gereiht, wählten 2019 die GRÜNEN keine einzige Person mit Behinderung mehr an wählbare Stelle. Das Ergebnis: Der größte jemals im Parlament befindliche Klub der GRÜNEN hat nach 33 Jahren (!) eine Premiere: Es gibt keine einzige Person mit Behinderung.

Bei der Landtagswahl 2020 in Burgenland gab es zwar kurz einen Hoffnungsschimmer, aber schlussendlich war auch dieser Kandidat chancenlos, ein Mandat zu erreichen.

Das Ende der Selbstvertretung?

Zum Ergebnis bei der Landesversammlung der Wiener GRÜNEN am 15. Februar 2020 muss ich folgendes Resümee ziehen: Der Stellenwert der Selbstvertretung ist scheinbar kein Grundwert der GRÜNEN mehr.

Von 49 KandidatInnen und Kandidaten haben mehrere eine Behinderung (beispielsweise Robert Preuss oder Jürgen Schwingshandl). Das Ergebnis der Wahl sieht aber so: NIEMAND von ihnen hatte auch nur den Funken einer Chance auf einen wählbaren Platz (evtl. bis Platz 12 – 13) bekommen. In der Endwertung der Stimmenauszählung schaffte es KEINER davon unter die ersten 40 Plätze (!). Das ist blamabel – nein nicht für die kandidierenden Personen mit Behinderung, sondern für die rund 700 stimmberechtigten GRÜNEN.

Es würde mich nicht wundern, wenn in Zukunft immer weniger behinderte Menschen bei den GRÜNEN kandidieren.

Können die GRÜNEN das Problem lösen?

Es stellen sich daher folgende Fragen:

  1. Ist diese Kritik ungerecht, weil hinter allem eine Wahl stand?
  2. Haben es die GRÜNEN überhaupt in der Hand, das Prinzip der Selbstvertretung zu leben?
  3. Und wollen die GRÜNEN die Selbstvertretung überhaupt wieder vorantreiben?

Zu Frage 1: Nein. Dem Ergebnis ging eine demokratische Wahl voraus. Doch es ist nicht so, dass Wahlen nicht unter Rahmenbedingungen gestellt werden, die Mitbestimmung fördern. Aus gutem Grund legen daher die GRÜNEN fest, dass zumindest die Hälfte aller Mandate an Frauen gehen müssen. Und nein, das ist kein Vorschlag, sondern so im Wahlrecht der Statuten der Wiener Grünen festgeschrieben. Es muss Parität zwischen Männer und Frauen erreicht werden.

Zu Frage 2: Wenn die GRÜNEN wollen, dann ja. Wenn man nun bedenkt, dass statistisch eine von 6 Person behindert ist, könnte man schlussfolgern: Überall wo sechs Mandate erreicht werden könnten, wird eine Person mit Behinderung gesetzt – falls es Bewerbungen gibt. So wären Personen mit Behinderung wirklich von den GRÜNEN angesprochen.

Zur Klarstellung: Derzeit gibt es keine Abgeordneten mit Behinderungen, keine Referentinnen mit Behinderungen. Einzig vereinzelt die eine oder andere Person im Office-Bereich, damit man nicht ganz so weit weg von der Erfüllung der Beschäftigungspflicht ist – und manches Mal nicht mal das mehr.

Zu Frage 3: Die Antwort darauf ist besonders schwierig. Eigentlich wäre es nach den GRÜNEN Grundwerten notwendig, eigentlich wäre es im Selbstverständnis der GRÜNEN angebracht, eigentlich war es bisher so üblich.

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10 Kommentare

  • Ich bedanke mich für das Aufzeigen dieses Problemes! Demokratiepolitisch finde ich es höchst bedenklich. Dennoch glaube ich, dass ein Umdenken bei allen politischen VertreterInnen stattfinden muss.

  • Guuuuute Analyse, wenngleich die Enttäuschung nicht groß sein darf, weil man bei den Grünen jetzt einfach den Übergang von der Bewegung, die für alles und alle Gut(es) gestanden ist, zur Partei mit ihrer ganzen DNA dahinter wird – schließlich wurde sie dafür ja auch gewählt.
    Spannend nur, wie (weit) Ernst sie, die Partei es (noch) mit den Menschenrechten nimmt. Jedenfalls stimmt die Richtung: Sie werden (zu) eine(r) Partei, wo man sie von den anderen nicht mehr unterscheiden wird können – davon bin ich überzeugt.

  • Lieber Martin!
    Es freut mich das Du das Thema ansprichst. Aber es ist heutzutage nicht leicht Kandidaten für ein politisches Amt zu finden. Wahrscheinlich sogar noch schwerer Menschen mit Behinderung zu finden die in die Politik gehen.
    Ich selbst war 12 Jahre im Korneuburg Gemeinderat. Derzeit gebe ich dem Gemeinderat Tipps zum Thema Barrierefreiheit.
    Es ist derzeit mühsam eine Gruppe die selbst nicht betroffen ist zu erklären wie wichtig die Barrierefreiheit z.B. ist.
    Es wäre natürlich schön wenn alle Parteien einen Behindertensprecher hätten der selbst eine Behinderung hat damit vielleicht die UN-Behindertenrechtskonvention schneller umgesetzt wird.

  • Martin Ladstätter hat die Kritik sehr höflich formuliert, was verständlich ist, haben wir behinderte Menschen doch über drei Jahrzehnte mit den Grünen eine Partei gehabt, die unsere Anliegen nachhaltig unterstützte. Einmal mehr, einmal weniger. Aber grundsätzlich waren die Grünen auf unserer Seite. Selbstvertretung ist ein zentraler Wert der Selbstbestimmt Leben Bewegung. Das Expertentum in eigener Sache ist unverzichtbar, wenn wir etwas erreichen wollen. Die Grünen haben es in der Hand gehabt: Sie hätten so wie früher einen/eine VertreterIn der behinderten Menschen an sicher wählbarer Stelle kandidieren müssen. Dann hätte weiterhin gegolten, daß die Grünen die Partei sind, sie sich verläßlich für behinderte Menschen einsetzt und keine Ausgrenzung betreibt. Sie hat sich bewußt anders entschieden und damit den behinderten Menschen die offene Tür in die Politik zugeschlagen. Das ist wahrscheinlich der größte Sündenfall der Grünen, seit es sie in der Politik gibt. Es ist eine Katastrophe. Und es ist eine Schande!

    • ……vielleicht muß es erst einmal ein paar GRÜNE und GRÜNINNEN mit ihrem Fahrradl auf die Goschn haun,damit sie einmal in die Situation kommen,Behinderung am eigenen Leib zu verspüren.
      Die sind halt im Moment alle sehr ausgelasted mit dem Retten des Planeten und dem Retten aller Flüchtlinge weltweit.Da bleibt für die Menschen, die oft ein Leben lang in das Sozialsystem eingezahlt haben ,nix mehr übrig.Weder finanziell noch an Empathie.
      Viele GrünInnen wollen eh´keine Kinder in diese Welt setzten,die dem Untergang geweiht ist – dann können sie auch nicht in die Lage kommen ein möglicherweise behindertes Kind zu haben.
      In den Wahlreden lassen sie immer die „Gutmenschen“ raushängen,aber wem gegenüber man sich „gut“ und menschlich zu verhalten hat bestimmen sie selber.
      Einmal am Futtertrog des Steuerzahlers angekommen wird auf vieles und auf viele vergessen: in einem angeblich der reichsten Länder der Welt …….

  • Die Korrumpierung der Grünen und insbesondere die Verwobenheit mit dem auf der Gewalt des Sanktionenregims beruhenden AMS-Sumpf zeigt sich auch daran dass die bisherige Geschäftsführerin des Dachverbands der sklavenökonomischen Betriebe (SÖB) Judith Pühringer zu den Spitzenkandidatinnen der Grünen gehört (3. Platz) und die vormalige Mitarbeiterin im Parlamentsklub Schifteh Hashemi die neue Geschäftsführin des Dachverbands der AMS-Arbeitszwangprogrammbetriebe ist. Wer sich so mit der strukturellen GEWALT des HERRschenden Systems arrangiert ist unwählbar!

  • Auch die Erwerbslosen machen diese Erfahrung: Sei die Grünen in Wien mitregieren gibt es überhaupt keinen Kontakt mehr zu den Grünen.

    Die Grünen haben auch die massiven Verschlechterungen bei der Wiener Mindestsicherung mitgetragen und lügen was das Zeug nur hält. Hebein behauptet es sei in Wien nicht gekürzt worden. Sie verschweigt dabei, dass ersten kein Inflationsausgleich gemacht wurde, zweitens chronisch kranken Menschen die Dauerleistung weggenommen wurde in dem diese durch neubegutachtung einfach als „arbeitsfähig“ erklärt werden und Jugendlich die nicht binnen 3 Monaten in einer „Betreuung“ sind, wird um 25% gekürzt, Jugendlichen mit eigener Wohnung gar 50%.

    https://www.aktive-arbeitslose.at/mindestsicherung/appell_an_gruene_nein_zu_den_massiven_verschaerfungen_der_wiener_mindestsicherung_wmg.html

    Und auch im Regierungsprogramm ist weder eine Arbeitslosen- und SOzialanwaltschaft enthalten noch die Wiedereinführung der Wertsicherung beim AMS Bezug!

    https://www.aktive-arbeitslose.at/pressemitteilungen/regierungsprogramm_gruene_opfern_arme_und_arbeitslose_und_vieles_mehr_am_altar_der_macht.html

    Für die Macht opfern Parteimenschen nur allzu schnell die eigenen Grundsätze. Wir erfahren ja auch nicht den Inhalt der Sideletters mit dem Posten- und Subventionsschacher …

    Tango Korrupti!

  • Es geht um gut verdienende Anghörige der Mittelschicht, andere, schlechter verdiende Menschen oder marginalisierte Gruppen sind ja nicht (mehr) die potienziellen Wähler, die sollen zur SPÖ wandern. Dabei haben akademisches Prekariat und die schlecht verdienden Frauen (und Männer) in Jobs mit schlechter Ausbildung viel gemeinsam. Aber (akademischer) Feminismus ist das Wichtigste bei den Grünen : Inklusion stört da nur.

  • Nicht bedacht wird bei uns Grünen auch, dass – zumindest die meisten – Menschen mit Behinderung auch wählen dürfen und somit Menschen mit sichtbarer Behinderung auch ein sichtbares Zeichen für eine bestimmte Einstellung sind.
    Das bedeutet, dass wir uns jetzt rasch die Frage stellen müssen, ob wir diese Einstellung denn (noch) haben oder ob wir nur konsequent wählen.
    – Sind unsere Versammlungsorte barrierearm?
    – Sind unsere Veranstaltungen zugänglich #fürAlle?
    – Berücksichtigen wir auf unseren Sozial-Media-Kanälen die Bedürfnisse aller Menschen?
    – Ist uns klar, dass Barrierefreiheit allen Menschen zugutekommt?
    – Ist uns auch wirklich klar, dass ein zahnloser Paragraf in den Statuten bestenfalls ein Ausgangspunkt sein kann?
    Teilhabe kann nicht verordnet werden; Wir müssen sie leben💚

  • Eine treffende Analyse, die ich noch mit einem weiteren Aspekt ergänzen möchte. Die politische Landschaft wird zunehmend jünger. Die Wirtschaft ist an jungen, gesunden und strebsamen Arbeitskräften interessiert. Ergänzt durch die gesellschaftlichen Ideale schön, attraktiv und erfolgreich. Für das Thema Behinderung bzw für behinderte Personen, auch wenn diese mit beiden Beinen fest im Leben stehen, ist hier kein Platz. Dass, längerfristig gedacht, jeder einmal in unterschiedlichem Ausmaß von Alter, Einschränkungen, Krankheit oder Behinderung betroffen sein wird, wird ausgeblendet. Die vorgegebenen Ideale und Ziele werden kaum hinterfragt. Es ist ein sehr kurzfristiges Denken. Der politische Erfolg will jetzt erreicht und aufrecht erhalten werden. Auch wenn es auf Kosten der jetzt lebenden älteren, kranken und behinderten Menschen geht. Kann dem (noch) Einhalt geboten werden? Ich denke, entscheidend wird auch sein, ob und wie diese Menschen auf die zunehmende Exklusion reagieren wird.