Interview mit Mikrofon

Was möchte Sozialminister Rudolf Anschober erreichen?

Ja, es gibt es – das Leben jenseits der Corona-Krise. Im ausführlichen BIZEPS-Interview verrät Sozialminister Rudolf Anschober, welche Vorhaben in den nächsten Monaten auf seiner Agenda stehen.

Rudolf Anschober
Christoph Dunker

Beinahe täglich sehen wir Gesundheitsminister Rudolf Anschober (GRÜNE) in Pressekonferenzen souverän über aktuelle Entwicklungen berichten. Dabei könnte man fast vergessen, dass er seit fünf Monaten auch Sozialminister ist. Dies sorgt auch für Kritik.

Was macht er eigentlich als Sozialminister und welche Projekte möchte er für Menschen mit Behinderungen in nächster Zeit angehen und umsetzen? BIZEPS führte folgendes ausführliche Interview.

Nächste Projekte des Sozialministers

BIZEPS: Welche Projekte möchten Sie als Sozialminister heuer noch bearbeiten?

Rudolf Anschober: Wie Sie bereits vorab zum Ausdruck gebracht haben, ist derzeit der Schwerpunkt meiner Arbeit als Gesundheitsminister die erfolgreiche Bewältigung der COVID-19-Krise.

Im Bereich Menschen mit Behinderungen habe ich als Sozialminister die Rechte der Menschen mit Behinderungen im Sinn der UN-Behindertenrechtskonvention zu stärken und im Bereich Beschäftigung für Menschen mit Behinderungen Maßnahmen zu setzen. Diese Funktion werde ich aktiv wahrnehmen und habe dies im Parlament und gegenüber den Medien bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht. Behindertenangelegenheiten betreffen alle Bundesministerien und alle Bundesländer.

Daher mein Appell, dass jede verantwortliche Stelle und jede verantwortliche Politikerin und jeder verantwortliche Politiker nach dem Grundsatz des „Disability Mainstreaming“ immer auch die Behindertenperspektive bei den eigenen Maßnahmen und Projekten berücksichtigt und entsprechend „einbaut“.

BIZEPS: Wie werden diese finanziert werden?

Rudolf Anschober: Die Finanzierung dieser Maßnahmen ergibt sich aus den Ressortbudgets, den verschiedenen Fonds und den EU-Geldern. Es gibt kein zusammenfassendes Budget für alle Angelegenheiten, die Menschen mit Behinderungen betreffen. Ein Beispiel aus dem Sozialressort sind die laufenden Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung.

BIZEPS: Welchen Bezug werden diese Projekte zu Menschen mit Behinderungen haben?

Rudolf Anschober: Zwei große Projekte, in die auch BIZEPS eingebunden ist, sind in diesem Jahr und darüber hinaus die Neuerstellung des Nationalen Aktionsplanes Behinderung sowie die umfassende Reform der Langzeitpflege, für die im Herbst die Sitzungen starten.

Weiters werde ich ehestmöglich in Umsetzung des Regierungsprogramms die Einrichtung von Experten/innen-Arbeitsgruppen für die Erarbeitung bundeseinheitlicher Rahmenbedingungen zur „Persönlichen Assistenz“ sowie zum Thema „Menschen mit Behinderungen in Tagesstrukturen“ veranlassen.

Anschober: Wichtig, auf ExpertInnen in eigener Sache zu hören

BIZEPS: Möchten Sie Ihre Arbeit als Sozialminister im Bereich Partizipation anderes als ihre Vorgänger anlegen?

Rudolf Anschober: Die Einbeziehung der von staatlichen Maßnahmen betroffenen Menschen ist nicht nur wichtig, weil sie den Respekt ausdrückt, den die Entscheidungsträger gegenüber jenen Menschen haben, für die diese Maßnahmen gesetzt werden.

Die Partizipation an politischen Entscheidungsprozessen, die je nach Zusammenhang unterschiedliche Formen annehmen kann, hat auch für die Verwaltung und die Politik den Vorteil, dass Entscheidungen auf einer gut ausdiskutierten fachlichen Grundlage beruhen. Daher ist es wichtig, immer auch auf die Expertinnen und Experten in eigener Sache zu hören.

BIZEPS: Werden Sie Maßnahmen treffen, um kooperative, partizipative Einbindung (also Mitbestimmung) von Menschen mit Behinderungen zu schaffen?

Rudolf Anschober: Umfassende Beteiligungsprozesse führen zu besseren und dauerhafteren Ergebnissen und ermöglichen die Mitbestimmung aller Interessengruppen. Die Letztverantwortung für Entscheidungen liegt allerdings auf der politischen Ebene, die diese Entscheidungen auch der Öffentlichkeit gegenüber verantworten und vertreten muss.

Anschober glaubt beim NAP an die Mitarbeit der Bundesländer

BIZEPS: Wird der überarbeitete NAP Behinderung zeitgerecht im Jahr 2021 fertig?

Rudolf Anschober: Ihre Organisation BIZEPS ist in die Arbeit einzelner Teams eingebunden, Sie kennen auch den Zeitplan für die Neuerstellung des NAP Behinderung und die Hintergründe, warum die Vorgängerregierung den Zeitplan für die Erstellung des erneuerten NAP so festgelegt hat, dass er bis Ende 2021 beschlossen werden kann.

Durch die derzeit laufende Evaluierung wird der Erstellungsprozess nicht verzögert. COVID-19-bedingt konnten allerdings in der letzten Zeit keine Sitzungen stattfinden. Es wird aber weitergearbeitet und die Fachabteilung in meinem Ministerium hat allen Teams umfangreiche Handlungsanleitungen zur Verfügung gestellt.

BIZEPS: Was ist vorgesehen, um zukünftig die Einbindung der Bundesländer bei der Umsetzung des NAP besser zu gewährleisten?

Rudolf Anschober: Die Bundesländer haben bei der Tagung der Landessozialreferenten/innen-Konferenz im Frühjahr 2019 ihre Bereitschaft erklärt, sich am künftigen NAP Behinderung zu beteiligen. Ich habe keinen Grund zu der Annahme, dass sie von dieser Zusage wieder abweichen werden. Unter den insgesamt 26 NAP-Teams sind neun Teams auf Bundesländer-Ebene.

BIZEPS: Werden dieses Mal Behindertenorganisationen mitbestimmen können, welche Maßnahmen im NAP festgeschrieben werden? Wenn ja, wie soll dies organisiert werden?

Rudolf Anschober: Die Behindertenorganisationen haben dieses Mal von Beginn an die Möglichkeit, die Inhalte des künftigen NAP mitzubestimmen. Sie können an den jeweiligen NAP-Teams mitarbeiten und ihre Expertise umfassend einbringen.

Weiters ist die „Community“ in der Begleitgruppe zum NAP Behinderung durch viele unterschiedliche Organisationen vertreten, auch durch die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung. Ich werde auch Vorkehrungen treffen, dass mit den Behindertenvertreterinnen und Behindertenvertretern bis unmittelbar vor der Beschlussfassung des NAP Behinderung ein regelmäßiger Austausch stattfindet.

Anschober: Bundesregierung bekennt sich zur Umsetzung der UN-BRK

BIZEPS: Welche Schritte wurden bisher gesetzt, die den Rückschluss zulassen, dass die Umsetzung der UN-BRK ein erklärtes Ziel dieser Bundesregierung ist?

Rudolf Anschober: Das eindeutige Bekenntnis der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-BRK können Sie bereits dem Regierungsprogramm entnehmen. Ganz zentral bei der Umsetzung ist, dass auf die erste Phase (NAP Behinderung 2012 – 2021) eine zweite und mit den bisherigen Erfahrungen angereicherte Phase kommt (NAP Behinderung 2022 – 2030).

Das ist eine große Herausforderung, an der wir derzeit arbeiten und an der sich alle Bundesministerien und auch die Bundesländer beteiligen. Für die Themen „Selbstbestimmtes Leben“ und „De-Institutionalisierung“ ist auch die geplante Reform der Langzeitpflege von großer Bedeutung.

Anschober: Föderalismus ist oft ein Problem

BIZEPS: Sehen auch Sie in den Auswirkungen des Föderalismus ein Problem?

Rudolf Anschober: Der Föderalismus ist oft ein Problem. Als langjähriger Regionalpolitiker sehe ich jedoch auch die Vorteile, die es hat, in einem Bundesstaat zu leben, in dem die Menschen nicht alle Themen zentral vorgeschrieben bekommen. Es macht Sinn, wenn Aufgaben, die besser auf regionaler Ebene gelöst werden können, auf regionaler oder lokaler Ebene gelöst werden.

BIZEPS: Im Regierungsprogramm wird mehrfach (beispielsweise bei der Persönlichen Assistenz, bei Hilfsmittel, beim Inklusionsfonds) eine koordinierte Zusammenarbeit Bund und Bundesländern angekündigt. Wann werden diesbezügliche Gespräche beginnen und werden dieses Mal Behindertenorganisationen im Sinne der Partizipation beteiligt?

Rudolf Anschober: Wenn allerdings nicht zu rechtfertigende Unterschiede bei staatlichen Leistungen dazu führen, dass Menschen benachteiligt werden, weil sie im „falschen“ Bundesland leben, ist es wichtig, gegenzusteuern. Das tun wir, und wir werden die von Ihnen angesprochenen Themen unter Beteiligung der Zivilgesellschaft mit den Ländern besprechen.

Der Beginn dieser Gespräche hängt noch von den weiteren Lockerungen zu COVID-19 sowie von technischen Vorkehrungen ab, sie werden allerdings zeitnah erfolgen.

Anschober: Inklusionsfonds oder Ausgleich über den Finanzausgleich

BIZEPS: Welche Chancen sehen Sie, damit der im Regierungsprogramm erwähnte Inklusionsfonds geschaffen wird? Welche Maßnahmen sollen Ihrer Meinung nach damit (mit)finanziert werden?

Rudolf Anschober: Wichtig ist, dass die für ein selbstbestimmtes Leben der Menschen mit Behinderungen benötigten finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden, vor allem für die beiden Projekte „Persönliche Assistenz“ und „Menschen mit Behinderungen in Tagesstrukturen“.

Dies kann über einen Inklusionsfonds erfolgen, aber auch, indem ein entsprechender Ausgleich für die Ausgaben der Länder im Rahmen des nächsten Finanzausgleichs vorgesehen wird. Ich bitte um Verständnis, dass ich an dieser Stelle diesbezüglich noch keine detaillierteren Festlegungen machen kann.

Anschober: Demnächst wird Arbeitsgruppe zur Persönlichen Assistenz eingerichtet

BIZEPS: Wann beginnen die diesbezüglichen Arbeiten für die Persönliche Assistenz im Sozialministerium? Wie soll die Finanzierung von Persönlicher Assistenz erfolgen? Ab wann sollen diese Rahmenbedingungen gelten?

Rudolf Anschober: Das Regierungsprogramm legt fest, dass bundeseinheitliche Rahmenbedingungen zur „Persönlichen Assistenz“ zu erarbeiten sind. Zu diesem Zweck werde ich, wie oben erwähnt, demnächst eine Arbeitsgruppe einrichten. Erst wenn die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe vorliegen, kann ich nähere Aussagen über die weitere Vorgangsweise treffen.

BIZEPS: Wir danken für das Interview!

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12 Kommentare

  • @MarkusLadstätter
    ad) Krisenstab/TaskForce: Das ist keine Antwort, sondern eine wiederholte Beschreibung des derzeitigen Ist-Standes. Warum informiert BIZEPS als Interessensvertretung und Nachrichten-Dienst nicht darüber? Warum muss das geheim bleiben?
    ad) NAP: Ist BIZEPS als Organisation in diesem Gremium vertreten? Oder eine/einer seiner Mitarbeiter?

    • Zum Krisenstab/Task-Force: Geht’s auch freundlicher? Ich bin es auch. Da ist nichts geheim daran. Wenn es nicht auf dieser Liste steht wird auch offiziell keine Organisation darin eingebunden sein.

      Zum NAP: Ja sind wir, wir können aber nicht sagen wer aller daran teilnimmt da wir darüber keinen Überblick haben weil wir die Gruppen eben nicht organisieren. Da es aber noch keine Resultate gibt, gibt es auch noch nichts zu berichten. Ich rechne auch nicht vor Ende 2020 oder im Jahr 2021 damit.

    • Also um das noch zu präzisieren, der Behindertenrat dürfte eingebunden gewesen sein, die geben sicher gerne näher Auskunft darüber.

  • Vielleicht lässt sich BIZEPS auch herab, seinen behinderten und nicht behinderten, jedoch interessierten Leser_innen mitzuteilen, wer aller von den Behinderten„vertretungen“ nun offiziell zum Krisenstab gehört und wer nicht?! Konkretes gefunden, habe ich nichts. Mehr Transparenz ist angebracht! Ebenso während des Prozesses bei der Erstellung des NAP. Es kann und darf nicht sein, dass einige wenige ohne Austausch und Diskussion mit der Behinderten-Community ihr Ding drehen.

    • Die „Corona-Taskforce“ des Gesundheitsministeriums kann man hier nachlesen:
      https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus—Taskforce.html

      Der Krisenstab wird vom Innenministerium und Gesundheitsministerium geleitet.
      Die anderen TeilnehmerInnen sind namentlich nicht gelistet.

      Zu der NAP-Frage: Da ist der Österreichische Behindertenrat die passende Stelle um nachzufragen, denn die organisieren viele dieser Gruppen.

  • Danke für das Interview! Es klingt wieder einmal alles so wunderschön.Wie wir alle wissen verstummen diese schönen Meldoien alsbald.Schon alleine der Begriff von den
    sogenannten EXPERTINNEN läßt meine Hoffnung auf wesentliche Veränderung-Verbesserung erfahrungsgemäß schwinden.Ich habe das Interview kopiert und zu den
    Unterlagen gegeben.Jetzt kann ich beobachten und abhaken oder auch nicht.Ich lebe
    weiterhin nach dem Grundsatz- wenn du dich auf jemanden verlässt dann bist du verlassen.Eigeninitiative leben- geht es schief ist man selber für seine Misere verantwortlich, aber man muss niemanden Vorwürfe machen.Seit 32 Jahren lebe ich an der Armutsgrenze ohne Anspruch, Beistand auf Urlaub, Erholung, schöne Dinge genießen können.Seit 9Monaten ohne eigene Wohnung und keine Chance eine zu bekommen.Zu teuer, keine Möglichkeit auf Unterstützung weil immer irgendein Pünktchen wiedereinmal fehlt,keine Lobby- also Herr Minister ich hoffe, warte ob es für uns Menschen zweiter Klasse ( pflegende Angehörige- 24 Stunden Betreuung,Pflege, Arbeitsbereitstellung meiner von Geburt an schwer geitsig beeinträchtigten Stieftochter!!!-FASD Syndrom Pflegestufe 2)endlich eine Möglichkeit auf Verbesserung gibt.
    DIE HOFFNUNG STIRBT ZULETZT und ich arbeite weiter im 20 Stunden Rythmus ohne Wochenende…..

  • das klingt alles sehr gut. aber wenn man genau liest, stellt man fest, daß es sich nur um ankündigungen und vage absichtserklärungen handelt. das kennen wir schon. immerhin ist positiv, daß der minister den wert u die eigenständigkeit der selbstbestimmt leben bewegung anerkennt.

    • Ob eine Anerkennung für Menschen mit Behinderungen stattfindet wird man erst an der Leistung und Arbeit erkennen und sehen, die abgeliefert wird… Vorschusslorbeeren sind sicherlich nett, aber wirklich nicht angebracht.

  • In dieser derzeit super Regierung arbeitet Dr. Anschober hervorragend. Er hat uns alle super durch diese Corona Pandemie geführt, auch für ihn hat ein Tag nur 24 Stunden. Tausende Österreicher liegen derzeit auf der faulen Haut, lassen sich freistellen und sind zu Hause oder auf Kurzarbeit, aber arbeiten nur das notwendigste . Vielleicht denken sie einmal darüber nach.

    • G Feifel: Eine solche Aussage können Sie sich komplett sparen.
      Eine Begründung sehe ich als völlig sinnlose Aktivität, da die Leistung der Regierung, der Anschober angehört, die schlimmste Bilanz seit dem 2. WK vorzuweisen hat!
      Daher wäre es wohl viel besser und wirtschaftlicher, wenn sich die Regierung auf die „faule Haut“ gelegt hätte, bevor sie das Volk bevormunden, überwachen, bestrafen, berauben, einsperren, Maulkörbe in Form von Gesichtsmasken verpassen usw.
      Mit dem einzigen Hintergrund sich selbst und die feine Bagage in der Wirtschaft aus dem Steuergeldtopf zu sanieren!!! Und wissen Sie auch warum das so ist, weil es keinen Zweifel daran gibt, wenn man kein Brett auf dem Kopf hat! MFG

  • Tschuldigung, hab‘ nicht so genau mitgezählt. Die wievielte Arbeitsgruppe zum gleichen leidigen Thema ist das doch gleich in den letzten Jahrzehnten? …

    • Persönlichkeiten werden nicht durch schöne Reden geformt, sondern durch Arbeit und eigene Leistung.
      Albert Einstein