„Was zählen sollte, ist die schauspielerische Qualität und nicht die Behinderung“

Florian Jung im BIZEPS-INFO Interview über seine Stärken, sein Selbstverständnis und die Erlebnisse eines Schauspielers, der behindert ist und wird.

Florian Jung
Florian Jung

BIZEPS-INFO:Welche Erfahrungen hast du in den letzten Jahren als behinderter Schauspieler gemacht?

Florian Jung: Ich übe meinen Beruf nun seit gut 4 Jahren aus. Es ist immer wieder spannend zu sehen, dass man von KollegInnen anfangs nicht als Theaterpartner gesehen wird, sondern als BEHINDERTER Schauspieler, dem man entgegenkommen müsse. Außerdem kontaktieren einen Besetzungsfirmen oft nicht freiwillig. Wenn man zufällig von einem Casting erfährt und es absolviert, vergessen die Kollegen während des Spielens oft, dass man behindert ist. Im abschließenden Gespräch heißt es vielfach, man hätte sehr gut gespielt und die Entscheidungsträger würden einen bewundern, weil man mit einer Behinderung so gut spielen könnte. Den Jobs muss man allerdings selber oft nachlaufen.

Viele Produzenten scheinen darauf zu hoffen, dass einen die Energie verlässt und man schließlich doch irgendwann auf den Job verzichtet. Grundsätzlich lässt sich aber festhalten, dass jeder so wahrgenommen wird, wie er sich präsentiert: Wenn man sich persönlich als Schauspieler begreift und bezeichnet, ist der Umgang grundsätzlich sehr freundlich und die Türen offener als noch vor 2 Jahren, obwohl man natürlich zwangsläufig auf die eingeschränkte Rollenauswahl hingewiesen wird.

BIZEPS-INFO: Wie reagieren die nichtbehinderten Kolleginnen und Kollegen?

Florian Jung: Die Kolleginnen und Kollegen nehmen einen in der Regel als gleichberechtigten Partner wahr und behandeln einen auch so, wenn man ihnen hilft, vorhandene Berührungsängste abzulegen. Es liegt also in meiner Hand als behinderter Schauspieler, wie ich von meinem Umfeld und dem Publikum wahrgenommen werde.

BIZEPS-INFO: Wo siehst du deine Stärken?

Florian Jung: Es ist immer schwierig, die eigenen Stärken zu formulieren. Einer meiner liebsten Kollegen, mit dem ich sehr lange und sehr intensiv an meiner Rolle, dem Kobold, gearbeitet habe, hat es einmal so beschrieben: „Ich kenne keinen Schauspieler, der sich weniger schont als er!“. Ich denke, das ist zutreffend. Ich habe den Anspruch an mich selbst, eine Rolle zu LEBEN, sie nicht zu SPIELEN. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass es das Publikum interessiert zu sehen, wie Florian Jung Theater spielt.

Viel interessanter ist für das Publikum der Kampf und die Auseinandersetzung des Kobolds mit dem Arzt. Daher bin ich seit dem Beginn meiner Berufslaufbahn bemüht, den Schauspieler in der Garderobe zu lassen und die Figur auf die Bühne zu bringen. Ein Arbeitsansatz, der mir bereits oft gelungen ist und der mich zu Erfolgen geführt hat. Aber auch ein emotionaler Grenzgang.

BIZEPS-INFO: Wo siehst du deine besonderen Fähigkeiten gegenüber nichtbehinderten Schauspielern bei der Darstellung im aktuellen Stück?

Florian Jung: Ich will mich nicht mit nichtbehinderten Kollegen vergleichen. Denn jeder Kollege und jede Kollegin hätte – hoffentlich eine andere Art, den Kobold darzustellen. Gerade in diesem Falle wäre es meiner Meinung nach ein fataler Fehler, den Kobold mit einem nichtbehinderten Schauspieler zu besetzen. Durch meine Behinderung gebe ich dem „behinderten Publikum“ – wobei sich immer die Frage stellt, wer oder was das ist – sich zu identifizieren.

Vor allem aber gelang es mir und meinem Team bisher, behinderten Menschen eine andere Möglichkeit aufzuzeigen, wie sie mit dem Verlust der Privat- und Intimsphäre umgehen können: Aufschreien und sich zur Wehr setzen. Sie sehen, dass der Arzt beginnt nachzudenken. Nicht behinderte Menschen, sondern der Arzt ist in der beschämenden Situation. Ein Vorschlag, den der Kobold macht und dem vielleicht ein Teil des Publikums etwas abgewinnen kann.

BIZEPS-INFO: Warum glaubst du gibt es so wenige behinderte Künstler in Österreich?

Florian Jung: Der Kunstbegriff ist nicht wirklich klar abgesteckt. Kann er gar nicht sein. Für den einen sind Nitsch oder Jelinek Kunst, für den anderen – wie für mich – Neil LaBute oder Felix Mitterer. Es fällt schwer, sich trotz seiner Behinderung als Künstler zu begreifen.

Dieses Selbstbewusstsein wird nicht gerade gefördert, wenn einen die eigenen Schauspiellehrer während der Ausbildung darauf hinweisen, man hätte den Beruf verfehlt, in dem sie einen fragen, ob man sich bewusst sei, dass man nie Rollen bekommen würde. Wie es mir passiert ist. Was dringend erforderlich und höchst an der Zeit wäre, ist ein ermutigender Ansatz: „Du willst Schauspieler werden? Okay, dann tu´s! Es gibt genügend Rollen!“.

Wer sich eingehend mit der österreichischen Theaterliteratur beschäftigt, wird sehr schnell erkennen, dass Thomas Bernhard z.B. sehr viele Stücke geschrieben hat, die durchaus von behinderten Kollegen gespielt werden könnten, fataler Weise bisher ausschließlich von nichtbehinderten Kollegen gespielt. Hierfür wäre jedoch ein Umdenken der Theaterdirektoren notwendig. Sie müssten erkennen, dass ein Theaterabend mit einem behinderten Schauspieler kein Minderheitenprogramm ist.

Was zählen sollte, ist die schauspielerische Qualität und nicht die Behinderung. Es sollten gute Stücke mit einer Aussage geschrieben und behinderte Schauspieler ohne großes Aufsehen zum Vorsprechen eingeladen werden. Ein Autor, der das heute schon tut – und dafür gebührt im alle nur erdenkliche Anerkennung – ist Michael Grünwald.

BIZEPS-INFO: Welche persönlichen Ziele hast du für die nächsten Jahre als Künstler?

Florian Jung: Ich will die nächsten Jahre Rollen spielen, die mir eine künstlerische Weiterentwicklung ermöglichen – mich manchmal auch dazu zwingen. Ich möchte Rollenangebote erhalten, die auch nichtbehinderte Kollegen spielen könnten. Engagements möchte ich aufgrund meiner Qualität erhalten und nicht, um irgendwelche Quoten zu erfüllen oder irgendjemands soziales Gewissen zu beruhigen. Vor allem aber will ich für mein Publikum interessant bleiben. Sollte ich irgendwann von mir selbst abkupfern, möchte ich den Mut haben zu gehen.

BIZEPS-INFO: Viel Erfolg für die Zukunft und vielen Dank für das Interview.

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