Wegen diskriminierender Sicherheitskontrolle wurde Deutschland verklagt

Bundespolizei erkennt im Rahmen eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Berlin an, dass Rollstuhlfahrer zu Unrecht diskriminierender Sicherheitskontrolle unterzogen wurde. Eine Erkenntnis dieser Klage: Verbandsklagerecht muss verbessert werden.

Oliver Tolmein
Tolmein, Dr. Oliver

„Nach fast zweijährigem Rechtsstreit zwischen einem österreichischen Rollstuhlfahrer, der von Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein von der Kanzlei Menschen und Rechte (Hamburg) vertreten wird, hat die beklagte Bundespolizei eingeräumt, Martin Ladstätter im Dezember 2005 am Flughafen Tegel anlässlich der Sicherheitskontrollen ohne hinreichenden Anlass gezwungen zu haben, seinen Rollstuhl zu verlassen und sich in einen für ihn nicht geeigneten Flughafenrollstuhl umzusetzen“, hält Tolmein in seiner heutigen Presseaussendung fest.

Lange Verfahrensdauer

So positiv der Ausgang des Verfahrens auch ist, es gibt auch Aspekte, die genauer betrachtet werden müssen. (Das Verfahren wurde vor dem VG Berlin unter dem Az.: VG 13 A 114.06 geführt und wird nun wegen der Erklärung der Bundespolizei ohne Urteil für erledigt erklärt.)

„Die lange Verfahrensdauer und das wenig um Effizienz bemühte deutsche Behindertengleichstellungsgesetz bewirken, dass behinderte Menschen kaum klagen. Am konkreten Fall sieht man aber, dass es sich lohnt“, zieht Ladstätter nach dem Verfahren Bilanz und meint auch, dass sein Fall ein gutes Beispiel dafür liefert, dass das Verbandsklagerecht zur Abwehr von Diskriminierungen in Deutschland gestärkt werden müsste.

Er habe das Verfahren deswegen gemacht, weil er es wichtig finde, dass sich behinderte Menschen gegen Diskriminierung wehren, berichtet er den kobinet-nachrichten.

Mit Klage diskriminierende Behandlung bekämpft

Martin Ladstätter, der im Dezember 2005 aus Wien zur Preisverleihung des „BIENE“-Wettbewerbes für barrierefreies Web-Design nach Berlin geflogen war, hatte sich gegen die diskriminierende und für ihn schmerzhafte Behandlung gewehrt.

„Der für die Bundespolizei tätige Flughafensicherheitsdienst hatte behauptet, es sei für die Sicherheitskontrolle zwingend erforderlich, dass Ladstätter aus seinem Rollstuhl umgesetzt wird“, erinnert Dr. Tolmein und ergänzt: „In der Vergangenheit hat es an Flughäfen und insbesondere am Flughafen Berlin-Tegel, häufiger Probleme zwischen den Sicherheitsbehörden und Rollstuhlfahrern wegen Kontrollen gegeben.“

Unterschiedliche Versuche für Begründungen

Außergerichtlich waren weder die Bundespolizei noch die Flughafenverwaltung Tegel bereit gewesen, einzugestehen, dass das Vorgehen gegen Martin Ladstätter, der einen speziell angepassten elektrischen Rollstuhl nutzt, rechtswidrig war, hält Tolmein fest.

Die Bundespolizei hatte die Zwangsmaßnahmen damit begründet, dass „die beengten Raum- und Platzverhältnisse in den Fluggastkontrollstellen am Flughafen Tegel gegenwärtig nicht die Voraussetzungen für eine angemessene und die Persönlichkeitsrechte wahrende Kontrolle des Fluggastes in seinem personengebundenen Rollstuhl … bieten.“ Daher müsste Martin Ladstätter die Kontrollen in der Art, wie sie durchgeführt wurden, dulden. Später hatte die Bundespolizei vorgebracht, nicht sie sei für die Art und Weise der Durchführung der Kontrollen verantwortlich.

Zwischenzeitlich hatte auch der Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, das diskriminierende Vorgehen gegen Rollstuhlfahrer am Flughafen (in einem Schreiben an die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung vom 31. Mai 2006) gerechtfertigt und hatte die Verantwortung für Konflikte behinderten Menschen zugeschoben, denn „ein Teil der rollstuhlfahrenden Fluggäste (sei) mit der konkreten Situation am Flughafen Tegel überfordert“.

Kläger beharrte auf Richtlinie

Eine rollstuhlfreundlichere Sicherheitskontrolle sei erst nach dem Umbau von Tegel im Jahr 2011 möglich. Damit wollte sich der Kläger aber nicht zufrieden geben und beharrte darauf, dass entsprechend den „Richtlinien über der Behandlung behinderter Personen bei der Luftsicherheitskontrolle gemäß § 5 LuftSiG vom 15. März 2005“, behinderte Fluggäste Anspruch auf eine „möglichst wenig belastende Kontrolle“ haben und eine Aufforderung „zum Verlassen des Rollstuhls nur bei begründetem Verdacht oder bei Vorliegen sonstiger besonderer Gründe vorzunehmen (ist)“.

Schriftliche Erklärung

In einer schriftlichen Erklärung vom 16. Mai 2008 hat die Bundespolizei nun kurz vor der mündlichen Verhandlung zugestanden, dass „kein entsprechender Anlass zur Umsetzung des Klägers“ bestanden hat, berichtet der Rechtsanwalt in seiner Aussendung und erläutert: „Damit wurde auch anerkannt, dass räumliche Gründe, die in der Verantwortung des Flughafens liegen, keine besonderen Gründe im Sinne der Richtlinie des Bundesinnenministeriums sind. Die Bundespolizei hat sich damit auch bereit erklärt, die Kosten des Verfahrens zu tragen.“

Tolmein: Kein Einzelfall

Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein begrüßt den Ausgang des Verfahrens: „Es geht hier keineswegs um einen Einzelfall. Beschwerden behinderter Passagiere über erheblich belastende und unbegründete Sicherheitskontrollen hat es in der Vergangenheit schon mehrfach gegeben. Allerdings war es meistens möglich, sich außergerichtlich zu einigen.“

Er konstatiert aber auch, dass sich viele Menschen mit Behinderungen in Diskriminierungsfällen scheuen, das Kostenrisiko und die Belastung eines Gerichtsverfahrens zu tragen: Auch er hält deswegen „eine Erweiterung der Möglichkeiten des Verbandsklagerechts für erforderlich“.

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