Weiter so, verehrtes Höchstgericht

Die Presse: Der OGH hat für eine mutige Entscheidung nicht gerechtfertigte Diffamierungen geerntet.

Ultraschall
MedicalPrudens

In „Die Presse“ erschienen:

Sechs Leserbriefschreiber der „Presse“ probten den Aufstand gegen den Obersten Gerichtshof (OGH). Da wurden die Höchstrichter so ziemlich alles geheißen, was „Betroffenen“ in Österreich einfällt, wenn ihnen nichts mehr einfällt. Von „Zynismus und Menschenverachtung“ war die Rede und davon, daß die Herren Hofräte „den letzen Rest zivilisierten Rechtsempfindens über Bord geworfen“ hätten.

Einer der Schreiber fühlte sich gar an die Zeit „unter Hitler“ erinnert und unterstellte dem Gericht, daß es die klagenden Eltern dazu getrieben habe, öffentlich zu bekunden, „sie hätten ihr Kind lieber im Mutterleib ermordet, als es behindert auf die Welt zu bringen.“

Was war geschehen? Der OGH hatte entschieden, daß den Eltern eines Kindes, das ohne Arme und Hände und mit Klumpfüßen zur Welt gekommen war, Schadenersatz gegen die Erhalter jenes Spitals zustünde, in dem Ärzte bei vier Ultraschall-Untersuchungen die Behinderung (grob) fahrlässig nicht erkannt hatten. Die überaus heikle und in vielen Rechtsordnungen kontrovers diskutierte Frage lautete: Dürfen die Eltern ihre Ersatzklage darauf stützen, daß sie bei rechtzeitiger Aufklärung über die schwere Behinderung ihres Kindes einen eugenisch indizierten Schwangerschaftsabbruch durchgeführt hätten?

Die Untergerichte verneinten die Frage, der OGH bejahte sie auf 53 Seiten mit guten Gründen. Da er aber mit seiner Entscheidung tief in ethische, soziale und religiöse Grundpositionen eingriff, trat er eine österreichische „Sachdiskussion“ los. Und die besteht regelmäßig in heftigen Betroffenheitsbekundungen („Wir sind entsetzt und fühlen Abscheu“), bösartigen Unterstellungen („Wie bei den Nazis“) und der Aufforderung, die Vertreter der anderen Auffassung in die Wüste zu schicken („Die Richter sollen ihr Amt schleunigst zur Verfügung stellen“).

Das war vorherzusehen. Ich persönlich bewundere daher den Mut der Richter. Jahrzehntelang hatten sich Österreichs Höchstgerichte hinter gesetzlichen Anordnungen verschanzt und so getan, als seien ihre Entscheidungen nur „logische“ Schlußfolgerungen aus gesetzlichen Vorgaben. Nach dem Vorbild des Verfassungsgerichtshofes, der sich in letzter Zeit immer wieder mutig aus dem Fenster lehnt, ändert nun auch der OGH seinen Stil. Er legt seine Wertungen offen und übernimmt die Verantwortung für seine Entscheidungen.

Der Preis dafür ist hoch. So wurde dem OGH unterstellt, er mache aus dem Kind einen Schaden. Tatsächlich meinte der Gerichtshof nur, daß die Akzeptanz eines schwerst behinderten Kinder leichter fällt, wenn man zumindest die materiellen Belastungen lindert. Und zwar durchaus auf Kosten jener, die – wie die Ultraschallärzte – schlampig gearbeitet haben. Ließe man solche Schlampereien ungeahndet, so wäre dies ein ganz falsches Signal.

Im übrigen ist in Österreich niemand gezwungen, eine Schwangerschaft abzubrechen oder eine Schadenersatzklage anzustellen. Das muß jeder mit sich und seinem Gewissen ausmachen. Aber das ist in einem Land, in dem die Untertanen jahrhundertelang gewohnt waren, daß für sie höheren Orts gedacht und entschieden wurde, eine gewaltige Umstellung.

Bleibt nur zu hoffen, daß der OGH jenen Vertretern der „beschaulichen Jurisprudenz“ widersteht, die ihm jetzt zurufen: „Sixtas, do hostas“. Der Vorzug dieser Standhaftigkeit wäre beträchtlich. Einmal, weil man nur durch Übung die öffentliche Gesprächskultur verbessern kann und zum anderen, weil man das schwache Pflänzchen der persönlichen Verantwortung in Österreich nicht gleich wieder zertreten sollte.

Von Bernd Schiler. Der Autor ist ordentlicher Professor für Privatrecht in Graz

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