Vielleicht ahnungslose Politiker oder selbsternannte "Pflegeexperten"? Wir Betroffene brauchen sie nicht, denn wir haben sie bereits und sie heißt Pflegevorsorge.
Dass die Pflegevorsorge reformbedürftig ist, spricht nicht gegen sie sondern für die Unfähigkeit der Politik und den mangelnden Mut der Fachleute im zuständigen Ministerium, die sich nach ihrer Einführung bestenfalls zu Maßnahmen mit Fürsorgecharakter oder zur Systemkosmetik aufraffen konnten.
Meilenstein abgewirtschaftet
Die politisch Verantwortlichen, also SPÖ, ÖVP und FPÖ, haben diesen „Meilenstein“ der Sozialpolitik, dieses Jahrhundertgesetz, diesen „Quantensprung“ (copyright: Dr. Franz Vranitzky), diese 5. Säule der Sozialversicherung nicht weiterentwickelt, sondern das Gesetz – nach einer „Schrecksekunde“ über ihren damaligen Mut – abgewirtschaftet, es systematisch entwertet.
Vor allem aber haben die jeweiligen Regierungen (immer war die ÖVP, meistens die SPÖ und teilweise auch die FPÖ daran beteiligt) das Bundespflegegeldgesetz systematisch ausgehungert, indem sie das Pflegegeld nicht – ähnlich den vergleichbaren Leistungen in der Pensionsversicherung – jährlich (so wie es ursprünglich auch vorgesehen war) valorisiert haben.
20 % an Wert verloren
Auf diese Art und Weise hat das Pflegegeld seit 1995 um mehr als 20 % an Wert verloren und noch einmal einen mindestens gleich hohen Betrag durch die teilweise unverschämt großen Preissteigerungen bei den Sozialen Diensten der Länder und der sogenannten Wohlfahrtverbände.
Wenn jetzt – meist sind es Vertreter der 2. Garnitur oder gar Hinterbänkler – ebendiese Politiker immer wieder und vor allem beseelt von dem unbändigen Willen, sich wichtig zu machen, indem sie eine vermeintlich neue Idee wie ein Kaninchen aus dem Hut ziehen, vehement die Einführung einer Pflegeversicherung finanziert nach deutschem Muster fordern, dann zeigen sie damit auf, wie ahnungslos sie sind:
- in Deutschland ist das Pflegegeld bedeutend niedriger als in Österreich: maximal 665 Euro bei häuslicher Pflege (in Österreich 1.562 Euro) und
- in Deutschland sind auch die Beiträge zur Finanzierung ungleich höher als bei uns: 1,95% plus 0,25% für Kinderlose (in Österreich betragen sie 0,8% der Krankenversicherungsbeiträge für Berufstätige und 0,5% für Pensionisten).
- Zudem ist das deutsche System permanent in Geldnöten: So musste deshalb der Beitragssatz am 1. Juli 2008 um 0.25% erhöht werden.
Startfinanzierung
Zwar kommt das Geld in Österreich offiziell aus dem Budget, doch erfolgte die Startfinanzierung über die Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge und ist de facto eine Beitragsfinanzierung.
Österreich braucht keine neue Pflegeversicherung, Österreich braucht mehr Geld für die Leistungen der bestehenden Pflegevorsorge, wie z.B. für eine Erhöhung und Valorisierung des Pflegegeldes oder generell für ein neues und gerechteres Einstufungssystem.
Persönliche Assistenz
Österreich braucht auch mehr Geld für die Weiterentwicklung der Pflegevorsorge, wie für drastisch verbesserte Leistungen für behinderte Kinder und für Demenzkranke. Der aktuelle Vorschlag des Sozialministers für Demenzkranke ist ein Hohn für alle Betroffenen und Angehörigen.
Österreich braucht vor allem auch mehr Geld für die österreichweite Finanzierung der Persönlichen Assistenz. Die Persönliche Assistenz wird ja bereits jetzt, natürlich in einem völlig unzureichenden Ausmaß, von den Betroffenen aus dem Pflegegeld (mit)finanziert.
Die Finanzierung der Persönlichen Assistenz ist einfach die logische Konsequenz der Pflegevorsorge. Sie entspricht auch einer Forderung der österreichischen Behindertenbewegung, dies es seit den 80er Jahren gibt und die da heißt: Pflegegeld in der Höhe des tatsächlichen Bedarfs gegen Nachweis der Kosten.
Die Finanzierung der Persönlichen Assistenz fällt natürlich nicht – so wie Sozialminister Buchinger den Betroffenen in einem Schreiben vom 28. 1. 2008 weismachen wollte – in den Kompetenzbereich der Länder, auch wenn er als „Beweis“ dafür anführt, dass es dort bereits hie und da zaghafte Leistungen dafür gibt.
Finanzierung der Persönlichen Assistenz
Natürlich kann der Bund sich jederzeit mit den Ländern zusammenreden und ihnen anbieten, die Finanzierung der Persönlichen Assistenz zu übernehmen. Die Länder würden ihm mit Handkuss die Kompetenzen dafür überlassen. So spricht sich z.B. Wiens Sozialstadträtin, Mag. Sonja Wehsely, am 28. November 2007 ausdrücklich für ein Engagement des Sozialministers zwecks Weiterentwicklung der Pflegevorsorge aus.
Wir brauchen keine Kannleistungen mit Sozialhilfecharakter sondern – dem Charakter des Pflegegeldgesetzes entsprechend – Ergänzungen und Verbesserungen mit einem Rechtsanspruch. Und wir dürfen nicht darauf warten, dass die ohnedies permanent überforderten Angehörigen von Demenzkranken auch noch die Hürden der Bürokratie erklimmen, sondern die Bürokratie muss mit ihren ohnedies dürftigen Leistungen zu den Betroffenen kommen.
Zaghafte Schmalspurlösung?
Mehr Geld heißt aber nicht, wieder irgendeine zaghafte Schmalspurlösung zusammenzubasteln, mehr Geld heißt, wirklich ausreichend Geld in die Hand zu nehmen. Und das kann nur bedeuten, dass dieser Bereich aus dem Steuertopf finanziert werden muss. Und da bieten sich ja einige gute Möglichkeiten an, wie z.B. eine die Besteuerung von Einkommen und Vermögen, die in Österreich ja so gering ist wie in kaum einem anderen Land.
Raus aus der Sozialhilfeecke
Denn für eines muss es in Österreich endlich einen nationalen Konsens geben: Es darf nicht länger so sein, dass für das Risiko Pflege schlechter vorgesorgt wird als für das Risiko Gesundheit, Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfall oder Pension. Das Risiko Pflege muss aus der Sozialhilfeecke herausgeholt werden und alle menschenunwürdigen Regressforderungen müssen abgeschafft werden. Die werden ja auch nicht gestellt, wenn es um Pensionen geht.