Der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) fand bei Selbstprüfung nur "damals übliche Betreuungsmethoden". Doch der Text des Endberichts wird verheimlicht. Ein Kommentar.
„Die Schande von Pavillon 15“ hieß ein viel beachteter Artikel im Falter 22/2013, der detailliert berichtete, wie behinderte Kinder misshandelt wurden und welche Qualen sie durch die Stadt Wien und ihre Einrichtungen erlitten.
Die Vorwürfe sind der heutigen Sozialstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) völlig neu; sie unterstütze aber „die umfassende zeithistorische Aufarbeitung“, hieß es aus ihrem Büro – so der Falter im Jahr 2013.
Peinliche Wiener Schlampigkeit
Statt endlich die Sache wirklich aufzuarbeiten, setzte man auf Ablenkung. Die Stadt Wien zog es vor, sich lieber selbst mit einer Arbeitsgruppe zu prüfen, wurde schon damals kritisiert.
Diese 3 Personen Arbeitsgruppe – 2 Personen davon praktischerweise gleich vom Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) – sollten den Vorkommnissen im stadteigenen Bereich nachgehen.
Man spielte für die Öffentlichkeit auf servicenah und erlaubte ergänzend auch Anrufe von externen Personen sowie Mails. Doch so konnte dies nicht funktionieren, das war von Anfang an klar. „Insgesamt sind vier E-Mails und drei Anrufe in der Servicestelle eingelangt“, musste der KAV die magere Anzahl an Rückmeldungen nun zugeben.
Endbericht wird verheimlicht
Statt zumindest im Jahr 2014 transparent zu sein und Fehler einzugestehen, mauert die Stadt Wien und vernebelt Tatsachen mit schönen Sätzen wie dieser Zwischenüberschrift der Presseinformation: „Keine Hinweise auf vorsätzliche, strafrechtlich zu ahndende Behandlung“.
Und weiter ist der höchst peinlichen und verharmlosenden Presseinformation des KAV zu entnehmen: „Die Mitglieder der Arbeitsgruppe konnten keine Anhaltspunkte für vorsätzliche, strafrechtliche (wenn auch bereits verjährte) Vorgehensweisen finden. Das Verhalten der MitarbeiterInnen entsprach den in den 1960ern bis 1980ern üblichen Betreuungs- und Behandlungsmethoden, die mit den heute üblichen state of the art Methoden in keinster Weise vergleichbar sind. Es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass das Betreuungspersonal den PatientInnen eine andere als in vergleichbaren Versorgungseinrichtungen dieser Zeit übliche Behandlung oder Betreuung zuteilwerden hat lassen.„
Manche Medien – wie der ORF – fielen auf den Trick des KAV herein und schrieben „Prüfbericht: Keine Misshandlung in Steinhof“; andere – wie Profil – konnten dies besser einschätzen und schlussfolgerten „Otto-Wagner-Spital: Bericht dokumentiert Misshandlungen behinderter Kinder“.
Zusätzlich höchst bedenklich: Der Endbericht wird sicherheitshalber aus Datenschutzgründen nicht veröffentlicht, hielt der KAV fest. Volksanwalt Kräuter sieht darin eine „problematische Optik“, er will den Bericht prüfen. (Siehe DerStandard , Kurier und ORF)
Also alles paletti?
Es entsprach also den damals üblichen Methoden und daher ist es für uns nun ok. Doch von welchen Vorwürfen sprechen wir genau? Hier zur Erinnerung Auszüge aus dem Falter-Artikel aus 2013 von Ruth Eisenreich:
„Wenn Pohl über ihre Zeit im Pavillon 15 erzählt, ist von ausgerenkten Armen und verkrüppelten Beinen die Rede. Von behinderten Kindern, die mit Strumpfhosen und Leintüchern zu kompakten Bündeln verschnürt werden, und von anderen, die über Jahre hinweg tagein, tagaus in ihren Netzbetten liegen, nackt und ohne Bettzeug in ihrem eigenen Kot und Erbrochenen, und die seit ihrer Ankunft nicht mehr im Freien waren. ? Vom Niederspritzen mit Schlafmitteln und von Ärzten und Schwestern, die ihren kleinen Patienten mit Gleichgültigkeit oder roher Gewalt begegnen. ? Es sei nicht Sadismus gewesen, der zu den Zuständen im Kinderpavillon geführt habe, sondern Überforderung, Personal- und Ressourcenmangel.“ (siehe auch Kurier: Steinhof-Kinder: In der Psychiatrie zu Tode vernachlässigt)
Mit der gleichen Argumentation könnte man auch die Verbrechen der damaligen Beschäftigten wie des Arztes Heinrich Gross– nochmals 20 Jahre früher im EXAKT gleichen Gebäude – rechtfertigen. (Wir nennen das heute „Euthanasie“ – genauer Vernichtungsaktion T4 der NS-Zeit.) Daran sieht man wie sinnlos solch eine Rechtfertigung des KAV in Wahrheit ist.
Aber nun ist alles besser?
„So unvorstellbar das aus heutiger Sicht auch klingen mag, das Ziel der Betreuung von körperlich und geistig schwerstkranken Menschen war bis in die 1980er Jahre hinein nicht die Verbesserung ihres Zustandes, sondern die Unterbringung am Rande der Zivilgesellschaft und ein Beruhigen der PatientInnen durch entsprechende Medikation“, erläutert der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) und führt ausführlich aus, welche positiven Veränderungen durch die Psychiatriereform erfolgten.
Diese ist in vielen Punkten hochnotwendig gewesen und hat auch nachweislich wesentliche Verbesserungen bewirkt.
Menschenrechtsverletzungen werden ausgeblendet – auch heute noch
Doch das systematische Ausblenden von Menschenrechtsverletzungen, das Vertuschen, Verschleiern, Vernebeln muss endlich ein Ende haben – auch und vor allem in Wien. Hier wird immer und immer wieder das Spiel gespielt: „Früher war es schlecht, aber das war so. Heute ist alles besser.“ Ausgeblendet wird, dass man sich nie wirklich einer grundlegenden Kritik – und vor allem auch Selbstkritik – gestellt hat.
Es fehlt auch eine ehrliche Bewertung der Menschenrechtsverletzungen, um Strukturen anhand dieser Erkenntnisse grundlegend zu überarbeiten.
Ein Beispiel: Die im obigen Falter-Bericht erwähnten Netzbetten wurden Österreich in den letzten zwei Jahrzehnten in ziemlich jeder internationalen Menschenrechtsprüfung als schwere Verletzung der Menschenrechte verworfen. Nicht irgendwann „damals“ in dunkler Vorzeit, sondern zuletzt 2013 in Genf vor der UNO.
Was macht das Land Wien und der KAV? Mauern und verteidigen. Rechtfertigen und ablenken. Erst ein kürzlich geschriebener Erlass des Bundes verbietet dem KAV nun ultimativ den Einsatz von Netzbetten. Volksanwalt Kräuter sagte dazu wörtlich vor wenigen Tagen: „Ein dunkles Kapitel der österreichischen Psychiatrie wird endgültig geschlossen“. Und konkret meinte er die Stadt Wien und den KAV.
Da sprach er nicht von 1940, auch nicht von 1960 bis 1980, sondern von 2014. Und genau dafür muss man sich als WienerIn schämen.
Umfassende historische Aufarbeitung fehlt noch immer
Ganz traut man in der Politik der aktuellen Aufarbeitung des KAV aber anscheinend doch nicht. Man möchte eine Aufarbeitung von 1945 bis zur Psychiatriereform durchführen. „Die historische Aufarbeitung soll die psychiatrisch-neurologischen Einrichtungen der Stadt Wien generell umfassen“, heißt es weiters.
Sozial- und Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) spricht davon, dass die damaligen Behandlungsmethoden für uns heute unvorstellbar sind und vom Naziregime geprägt waren.
Die geplante umfassende historische Aufarbeitung muss aber deutlich länger – nämlich bis in die Gegenwart – gehen und auch die Zustände rund um Andreas Rett aufarbeiten. (Wir haben in unserer Broschüre „wertes unwertes Leben“ diesbezüglich ausführlich berichtet.)
Ob die Stadträtin dafür den Mut aufbringt, ist höchstfraglich. Man wird sehen.