Die 5. Internationale Hartheimkonferenz setzte sich am 18. und 19. November 2016 unter dem Titel „Die Optimierung des Menschen“ mit einem alten Traum der Menschheit auseinander – der „Verbesserung“ bzw. „Vervollkommnung“ des Menschen.
In der Moderne wurden die theoretischen Grundlagen der „Selbstevolution“ des Menschen, ihrer Möglichkeit und Notwendigkeit, geschaffen. Die neuen wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten des späten 20. und des 21. Jahrhunderts beschleunigen diese Entwicklung. Sie liefern die Werkzeuge auf diesem, scheinbar so vielversprechenden und heilsbringenden Pfad zur „Optimierung“ des Menschen.
Jahrhunderte alter Diskurs über die „Verbesserung“ des Menschen
In ihrem Eröffnungsvortrag verwiesen der Schriftsteller und begnadete Geschichtenerzähler Michael Köhlmeier und sein philosophischer Gefährte Konrad Paul Liessmann auf die uralte Vision des Menschen, Makel zu überwinden.
Sie erörterten Grundfragen der Thematik der Konferenz mit Hilfe der Interpretation von Geschichten aus der Bibel und der Antike, welche vor allem durch Optimierungsübungen sowie bereits den Einsatz von Technik den Menschen verbessern wollten.
Nachzulesen sind ihre Ausführungen, die das breite Themenfeld in allgemeinverständlicher und dennoch tiefgehender Weise eröffneten, in ihrer jüngsten Publikation „Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, Adam?“ (2016).
Riskante Problemlagen für Menschen mit Behinderungen
Am zweiten Tag der Konferenz ging Karin Harrasser von der Kunstuniversität Linz auf die riskante Allianz von Technik und Disability ein, insbesondere auf die Inszenierung von Prothesen und deren Verwender/innen.
Sie beschäftigte sich mit der weit verbreiteten Vorstellung, dass Technik die Lösung zur Überwindung von Nachteilen und vermeintlichen Defiziten sei – um alles andere brauche man sich dann nicht mehr zu kümmern. Interessant waren ihre Ausführungen über die Inszenierung von behinderten Sportler/innen als „super humans“ oder als „human 2.0“.
Auf großes Interesse stieß weiters auch Eva-Maria Bachingers Vortrag „Wahlkind durch PID“. Die Autorin und Journalistin verwies eindrücklich auf die Verwendung von PID als Ausleseinstrument. Der Begriff „Diagnostik“ verschleiere, dass die Folge nicht Therapie sondern Auslese sei.
Es sei auch nicht wahr, dass Embryonen ausgesiebt würden, die sonst nicht lebensfähig seien – es leben ja sehr viele Menschen, deren Behinderung oder chronische Erkrankung einen Indikator für eine etwaige Aussortierung hätte darstellen können.
Warum dieses Thema an diesem Ort?
Die insgesamt vier Panels der zweitägigen Veranstaltung zeigten auch, dass das Projekt der „Verbesserung“ des Menschen im 21. Jahrhundert nicht mehr hauptsächlich durch den Staat oder eine übergeordnete Instanz, sondern durch das Individuum betrieben werden soll. Anders als in früheren Zeiten stehen nicht mehr Zwangsmaßnahmen im Vordergrund.
Optimierungskonzepte begegnen uns heute vor allem als individuelle Verpflichtungen, „das Beste aus sich zu machen.“ Der Einzelne ist dazu verpflichtet, sich fit, gesund und leistungsfähig zu halten – und dies solle natürlich auch für seine (potentiellen) Nachkommen gelten.
Das Publikum und auch die Vortragenden waren von ihrem beruflichen Background sowie im Hinblick auf das Alter sehr bunt gemischt. Bis auf wenige Ausnahmen waren die Vorträge in gut verständlicher Sprache gehalten.
Zahlreiche Fragen und Wortmeldungen aus dem Publikum zeigten, dass die Thematik große Relevanz besitzt und Diskussionsbedarf aufzeigt. Im Jahr 2017 soll auch ein Tagungsband erscheinen, in dem die Vorträge bzw. Inhalte der Konferenz nachgelesen werden können.
Mit dieser Veranstaltung wurde der Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim seinem Anspruch gerecht, sich nicht nur dem Gedenken an die Opfer der NS-Euthanasiemorde zu widmen, sondern auch als Ort der Reflexion und Diskussion gegenwärtiger Entwicklungen in den Bereichen Ethik, Biotechnologie oder Disability zu fungieren – Entwicklungen, die menschliches Leben einer Bewertung unterziehen und in ein enges Raster von Normalität, Konformität und Leistungsfähigkeit pressen wollen.