Wien: Obsorgeverfahren gegen blinde Eltern sorgt für Aufregung

Timea Arcs und Andreas Zehetgruber sind blind. Sie haben eine Tochter. Aufgrund der Anzeige einer Hebamme wurde ein Obsorgeverfahren eingeleitet. Auch wenn es zugunsten der Eltern ausging, sorgt der Fall für Aufregung.

Die Eltern Timea Arcs und Andreas Zehetgruber
ORF

Laut Artikel 23 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen haben Menschen mit Behinderungen das Recht, eine Ehe zu schließen und eine Familie zu gründen. Die Vertragsstaaten müssen wirksame und geeignete Maßnahmen treffen, um Menschen mit Behinderungen dieses Recht zu ermöglichen. So die Theorie.

Leider sind Menschen mit Behinderungen, wenn es um Elternschaft geht, immer noch mit zahlreichen Vorurteilen und Benachteiligungen konfrontiert, wie ein Obsorgeverfahren gegen ein blindes Elternpaar zeigt:

Timea Arcs und ihr Mann Andreas Zehetgruber sind blind. Die mittlerweile fast zweijährige Tochter Sonja ist ein aufgewecktes Mädchen. Sonja wurde im Jänner 2023 geboren. Bereits wenige Tage nach der Geburt wurde das Ehepaar von einer Hebamme angezeigt. Die Eltern würden das Baby verhungern lassen, hieß es gegenüber der Kinder- und Jugendhilfe (MA 11).

„Ich war am Boden zerstört und habe mich gefragt, was ich Schlechtes gemacht habe“, so Timea Arcs in einem Beitrag Čedomira Schlapper für „Aktuell nach eins“ im ORF.

Es kommt zu einer Hausbesichtigung durch die MA 11, im Zuge derer Andreas Zehetgtuber auf die Rechte von Menschen mit Behinderung hinweist. Daraufhin bekommt er die Antwort, sie seien keine Menschen sondern Gefahrenquellen, die überwacht werden müssten.

Nochmal gut ausgegangen!

Mitte September 2024 entschied das Gericht, dass keine Gefährdung vorliegt. Die MA 11 entschuldigte sich bei dem Ehepaar. Der Vorwurf, die Eltern würden das Kind verhungern lassen, konnte mit medizinischen Unterlagen entkräftet werden.

Eine Mitarbeiterin der MA 11 sagt gegenüber „Aktuell nach eins“, man habe ein Fortbildungsprogramm entwickelt, um Mitarbeiter:innen im Umgang mit Eltern mit Behinderungen zu schulen.

Elternrechte von Menschen mit Behinderungen stärken

Solche Fälle seien leider kein Einzelfall, so Julia Moser vom Monitoring-Ausschuss. Immer wieder würden sich Eltern mit Behinderungen aufgrund solcher Vorfälle bei der Behindertenanwaltschaft melden.

Julia Moser weist auf die Wichtigkeit von Maßnahmen wie flächendeckende niederschwellige Beratungsangebote und Ausbau von Persönlicher Assistenz hin, um das Recht auf Elternschaft von Menschen mit Behinderungen umzusetzen.

„Es braucht vertrauensvolle und barrierefreie Beratungsangebote, an die sich die Eltern wenden können, ohne Angst zu haben, das Sorgerecht zu verlieren“, erläutert Moser. Zudem müsste es eine Schnittstelle zwischen Behindertenhilfe und Kinder- und Jugendarbeit geben.

Eine solche gibt es laut Moser in Österreich bisher noch nicht. Es müssen daher ganz dringend strukturelle Voraussetzungen für Elternschaft mit Behinderung geschaffen werden.

Abschließend meint Moser, dass der vorliegende Fall von Timea Arcs, Andreas Zehetgruber und ihrer Tochter Sonja Ausdruck der strukturellen Gewalt wäre, die es in Österreich gegenüber Menschen mit Behinderungen immer noch gibt.

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4 Kommentare

  • Haben die diskriminierten Eltern ein Schlichtungsverfahren eingeleitet und Schadenersatz beansprucht?
    Bei derartigen Vorfällen ist es wohl mit einer einfachen Entschuldigung nicht mehr getan.

  • Unfassbar. Danke für die Berichterstattung!

  • Unfassbar, dass wir darüber im Jahr 2024 noch reden müssen. Ich selbst bin hochgradig seheingeschränkt, habe 2 Kinder, die inzwischen Erwachsen sind. Aber auch ich fühlte mich immer wie auf einem Minenfeld als sie Kleiner waren. Bloß nichts falsch machen. Schade, dass das heute immer noch so ist!

  • Da wird einem ja fast schlecht. Da würde sogar ich mir überlegen, falls ich die betroffene Mama wäre, gegen den Mitarbeiter der MA 11 zu klagen. Nur weil man blind ist, lässt man doch sein Kind nicht automatisch verhungern!!!