Wir müssen reden: Über Bildung

Immer wieder höre ich mir im Radio den so genannten Mikromann an. Da stellt ein Mann Fragen. Und verschiedene Menschen antworten auf diese Fragen. Manchmal merkt man an den Antworten: Die Leute hören nicht zu, wenn sie etwas gefragt werden. Und manchmal merkt man an den Antworten: Die Leute wissen einfach ganz viel nicht. Auch wenn es ganz einfache Fragen sind, antworten sie oft komplett falsch.

Symbolbild: Bildung
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Jedes Mal denke ich dann über diese Antworten nach, wenn ich den Mikromann im Radio höre. Dann denke ich zuerst: Das ist erschreckend, dass so viele Leute so viel nicht wissen. Und oft denke ich mir danach: Na ja, es sind gar nicht so viele Leute. Es sind halt die wenigen Leute, die dem Mikromann eine Antwort geben.

Aber dann denke ich weiter. Ich denke dann über Bildung nach. Bildung bedeutet viele verschiedene Dinge. Aber Bildung bedeutet grundsätzlich: Ich erfahre und lerne etwas. Ich eigne mir also Wissen an. Ich weiß dann über Dinge Bescheid. Ich kann Dinge erklären. Ich kann Dinge einordnen. Ich verstehe, was bestimme Dinge bedeuten.

Viele Menschen haben eine allgemeine Bildung. Das heißt, sie wissen über viele Dinge zumindest ein wenig Bescheid. Manche Menschen haben eine spezielle Bildung. Das heißt, sie verstehen bestimmte Dinge besonders gut. Weil sich zum Beispiel viel darüber nachgedacht und gelesen haben. Und dann gibt es Menschen, die haben keine Bildung.

Die Gründe dafür können unterschiedlich sein: Manche Menschen wollen sich nicht bilden; sie denken, dass man das nicht zum Leben braucht. Manche Menschen glauben von sich, dass sie gebildet sind, sind es aber nicht. Und manche Menschen würden sich gerne bilden, aber sie können oder dürfen es nicht – zum Beispiel, weil die anderen denken, dass das jemand nicht kann.

Bei vielen Menschen mit Lernschwierigkeiten zum Beispiel wird das oft behauptet: Die können sich ja nicht bilden. Bildung ist bei denen umsonst. Daher bringen wir ihnen auch nicht wirklich etwas Grundlegendes bei.

Wenn ich also die Antworten beim Mikromann höre, denke ich an die vielen Menschen mit Lernschwierigkeiten, die ich kenne. Und dann denke ich mir:

Wer, bitte, teilt uns Menschen in solche Gruppen ein?

Warum gibt es DIE Menschen mit Lernschwierigkeiten, DIE Menschen mit Behinderungen, und dann die angeblich sehr große Gruppe der Menschen ohne Behinderungen?

Erstens: Das sind keine einheitlichen Gruppen (bei denen alle Menschen gleich sind). Sondern das sind Menschen, die von uns in der Gesellschaft in bestimmte Gruppen eingeordnet werden. Diese Menschen sind aber sehr unterschiedlich.

Zweitens: Wieso glauben wir, dass alle Menschen ohne Behinderungen so ganz anders sind als alle Menschen mit Behinderungen? Wer sagt, dass alle Menschen ohne Behinderungen gleich sind? Das sind sie nicht. Menschen ohne Behinderungen sind genauso unterschiedlich wie Menschen mit Behinderungen.

Worauf ich hinaus will – was ich also meine: UNS ALLEN tut Bildung gut!!

Der Mikromann zeigt uns das nur zu deutlich: Es gibt sehr viele Menschen, die einfach viel zu wenig wissen und die falsche Antworten geben. Und die sich nicht nachfragen trauen. Beim Mikromann fällt mir immer wieder auf: Niemand fragt nach. Ist es peinlich nachzufragen? Was ist daran peinlich? Ist es nicht viel peinlicher, eine falsche Antwort zu geben?

Wenn ich bei einem Vortrag in Schwerer Sprache rede, höre ich oft die Frage aus dem Publikum: Was heißt das, was bedeutet das? Wie heißt das in Einfacher Sprache? Dieses Nachfragen ist sehr wichtig. Nur so können wir Dinge verstehen lernen und uns Wissen aneignen. Und die Menschen mit Lernschwierigkeiten, die ich kenne, tun genau das. Sie fragen nach. Und sie bilden sich dadurch.

Derzeit streiten immer noch viele Menschen über die Abschaffung der Sonderschulen. Viele Menschen behaupten: Wir brauchen Sonderschulen. Obwohl sie es besser wissen: Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sagt klar, dass Sonderschulen weg müssen. Und allen ist klar: In Sonderschulen lernt man kaum etwas Grundlegendes.

Ich kenne viele Menschen mit Lernschwierigkeiten. Und alle diese Menschen, die ich kenne, haben tatsächlich eines gemeinsam: Sie sind alle wissbegierig. Sie wollen etwas lernen, etwas wissen. Und sie fragen nach, wenn sie etwas nicht verstehen. (Und falls das jetzt jemand gerne absichtlich falsch verstehen möchte: Das ist NICHT das Gute an Sonderschulen, dass man dort nichts lernt und dann umso wissbegieriger in die Welt geht; sondern das liegt an den wissbegierigen Menschen selbst!)

Wie können wir Menschen, die lernen wollen, dieses Recht einfach so wegnehmen? Nur, weil wir glauben, dass diese Menschen anders sind? Und wer sagt das, mit welchem Argument (mit welcher Begründung)?

Nach einer Mikromann-Sendung sagen Leute gerne: Na ja, das sind ein paar Menschen, die einfach ungebildet sind und nichts wissen. Das Problem dabei ist: Diese Menschen werden zu den Menschen ohne Behinderungen gezählt. Bei denen ist es ok, (manchmal) nichts zu wissen. Menschen mit Behinderungen (vor allem jenen mit Lernschwierigkeiten) wird dieses Recht nicht gegeben – wir lassen sie einfach von vornherein gar nichts Grundlegendes lernen.

Ein Abschaffen der Sonderschule ist ein wichtiger Schritt in ein Bildungssystem, das nicht künstliche Grenzen zieht: Es gibt eben nicht DIE Menschen mit Behinderungen und es gibt eben nicht DIE Menschen ohne Behinderungen. Sondern es gibt Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten insgesamt in der Gesellschaft. Inklusion denkt nicht in Gruppen, die wir selbst in der Gesellschaft erzeugen. Inklusion betrifft uns ALLE.

Solange wir das nicht verstehen, werden wir Menschen die Möglichkeit nehmen, etwas Grundlegendes zu lernen. Und wir werden den vermeintlich so anders lernenden Menschen ohne Behinderungen die Möglichkeit nehmen, etwas zu lernen. Der Mikromann zeigt es deutlich auf: Die Leute wissen zu wenig. Die Leute denken nicht nach. Die Leute fragen nicht nach.

Nur ein grundlegend neues Bildungssystem wird dies ändern können. Das jetzige Bildungssystem zeigt uns deutlich: Ein Teil der Menschen kann in diesem System gut lernen, ein anderer Teil aber nicht.

Und wenn jetzt jemand mit den Kosten daher kommt: Ja, das kostet etwas. Aber es bringt viel –  nämlich Bildung für uns alle. Wir brauchen das dringend. Die Mikromann-Sendungen zeigen es deutlich auf. Und wir sollten daher endlich daran gehen, unser Bildungssystem grundlegend zu überdenken und zu überarbeiten.

Was ich mir also wünsche: Wir müssen über Bildung reden. Und zwar über Bildung ALLER Menschen.

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3 Kommentare

  • Wer den Mainstreammedien glaubt, hat selbst eine Bildungslücke. Gerade beim Rundfunk wird sehr selektiv nach den Wünschen der Reaktion ausgewählt.

    Ich bin selbst schon einige Male vom ORF interviewt worden, und da war die Auswahl nicht immer so wie ich es erwartet hätte. Einmal haben die mich zu AMS-Kurse interviewt, ob nicht alles besser geworden sei nach der Intervention des Volksanwalts, die haben mich 3 x gefragt und nichts gebracht, weil meine Antwort nicht so war, wie die sie haben wollten.

    Der Mikromann, das ist ja Unterhaltung, da wird natürlich selektiv ausgesucht, was der Redaktion gefällt!

  • danke, sehr schön erklärt! JEDER mensch hat fragen und niemand muss sich schämen müssen, oder betteln, um antworten zu bekommen.

  • Danke für den Artikel! Wir brauchen ein System, in dem alle Menschen gut lernen können, derzeit ist das nicht der Fall. Der Handlungsbedarf ist groß.