Wo bleiben die gleichen Chancen? Oder: Viel Lärm um Nichts

Das neue Wiener Chancengleichheitsgesetz verspricht sehr viel, hält recht wenig, aber lässt sich gut verkaufen. Die Leidtragenden von solchen politischen Mogelpackungen sind Menschen mit Behinderungen. Ein Kommentar.

Wiener Gemeinderat und Landtag - Sitzungssaal
PID / Markus Wache

Ich mag es nicht, wenn ich für dumm verkauft werden soll. Aber genau das hat die Wiener SPÖ mit Menschen mit Behinderung vor. Denn am 24. Juni 2010 wurde vom Wiener Landtag das Wiener Chancengleichheitsgesetz beschlossen. Und genau dieser Titel weckt Hoffnungen, die vom Gesetz aber nicht erfüllt werden.

Denn wo sind meine gleichen Chancen, wenn ich nur auf 4 von insgesamt 11 geförderten Leistungen einen Rechtsanspruch habe und weiterhin so wichtige Bereiche wie die Finanzierung von Gebärdensprachdolmetschern, der Persönlichen Assistenz und von Freizeitfahrten im Rahmen des Fahrtendienstes von der Gnade der Stadt Wien oder des FSW abhängen?

„Gleiche Chancen“ soll wohl suggerieren, dass Menschen mit Behinderungen durch dieses Gesetz zu gleichen Chancen wie nichtbehinderten Menschen verholfen werden soll. Wie kann das aber funktionieren, wenn ich als Betroffener auf die Mehrzahl der Angebote gar keinen Rechtsanspruch habe? Da hat die Behindertensprecherin der Wiener ÖVP, Ltabg. Karin Praniess-Kastner schon recht, wenn sie in diesem Zusammenhang davon spricht, dass behinderte Menschen weiterhin in einer Bittstellerrolle verharren müssen.

Nein, mit diesem Gesetz kann Wien wohl leider wieder nicht den ursprünglich erhofften Paradigmenwechsel herbeiführen, wie das der Vorsitzende der Interessenvertretung der behinderten Menschen (IvbM), Mag. Michael Krispl, bald enttäuscht feststellen musste. Das geht auch deswegen nicht, weil Veränderungen im Leistungsangebot kostenneutral gestaltet werden müssen, also keine Mehrkosten entstehen dürfen.

Die neue Vorsitzende der Gemeinderätlichen Behindertenkommission, Ltabg. Gabriele Mörk meint zwar, „das neue Chancengleichheitsgesetz baut auf den Prinzipien der Chancengleichheit und Selbstbestimmung auf und basiert damit auf der UN-Konvention“, aber entweder sie oder die Presseabteilung des SPÖ-Rathausklubs scheint hier die UN-Behindertenrechtskonvention etwas missverstanden zu haben.

Wenn die zuständige Stadträtin, Mag. Sonja Wehsely die Ansicht vertritt, der Inhalt der UN-Konvention würde durch das Gesetz voll abgedeckt werden, kann ich dem keinesfalls zustimmen. Allein der fehlende Rechtsanspruch auf Persönliche Assistenz widerspricht den Vorgaben des Artikel 19 der UN-Konvention, was einen klaren Verstoß gegen die in der UN-Konvention festgelegten Standards darstellt.

Zuerst verschleppten die zuständigen Magistratsabteilungen jahrelang die notwendige Aktualisierung des Wiener Behindertenhilfegesetzes und dann schrieben sie, ohne Information und die Mitwirkung der Betroffenen, die nunmehrige Version. Doch plötzlich, nachdem zuvor ein dreiviertel Jahr verhandelt wurde, war auf einmal alles so dringend, dass die IvbM, ohne zwingende Gründe und ohne die aktuelle überarbeitete Fassung des Gesetzesentwurfs in Händen zu haben, ihre Zustimmung gab. Das nur, um noch schnell den Weg für eine Beschlussfassung spätestens in der Julisitzung des Wiener Landtages freizumachen. Exakt 3 Monate vor den Wiener Wahlen.

Absolut unbegreiflich ist aber, dass sämtliche (!!) Mitglieder der IvbM in ihrer Sitzung vom 29. April 2010 dem Gesetz letztlich zustimmten, einschließlich jener Personen, die als glühende Verfechter der UN-Konvention bekannt sind.

Für mich stellt sich die Frage, von welchen Menschen mit Behinderung hier die Interessen vertreten wurden. Meine Interessen waren es jedenfalls nicht.

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