Wo ein Wille, da ein Weg?

Barrierefreiheit in Unternehmen und non-profit-Organisationen in Ostösterreich

barrierefreies Bauen
unbekannt

Die Studie untersucht die Bereitschaft von UnternehmerInnen, bauliche Barrieren für ihre KundInnen und MitarbeiterInnen zu beseitigen. Die Bereitschaft steigt, aber lobenswerte Ansätze sind nicht genug. Die Diskussion mit BehindertenvertreterInnen zeigte, dass die wahren Stolpersteine, eher in den Köpfen als auf dem Fußboden, ein gleichberechtigtes Weiterkommen für Menschen mit Behinderungen verhindern.

In Österreich sind ca. 1,7 Mio. Menschen in irgendeiner Form dauerhaft beeinträchtigt, davon gelten ca. 94.000 als „begünstigte Behinderte“ (nach dem Behinderteneinstellungsgesetz BEinstG). Die Überalterung der Gesellschaft erfordert zusätzlich den Abbau baulicher Barrieren, um die Zugänglichkeit öffentlicher Räume für möglichst alle StaatsbürgerInnen zu sichern. Betriebsstätten sind dabei ein wichtiges Segment, hier schafft Barrierefreiheit verbesserten Kontakt zu KundInnen, LieferantInnen, und erreichbare Arbeitsplätze für Menschen mit Handicaps.

Studie

Die Studie entstand im Auftrag des ÖZIV mit Unterstützung des Bundessozialamtes, durchgeführt vom Institut für NPOs der WU Wien. Federführend präsentierten Dr. Christian Schober und Mag. Selma Sprajcer die Ergebnisse vor BehindertenvertreterInnen aus Politik und Interessenvertretungen. 

Ein Hauptthema bei der Beschäftigung von Menschen (mit oder ohne Behinderung) ist immer deren Leistungsfähigkeit. Sowohl in der Privatwirtschaft als auch im Nonprofit-Bereich müssen MitarbeiterInnen dem wachsenden Druck standhalten – was manche älteren oder behinderten Menschen ohne genauere Prüfung vorurteilsvoll absprechen. Gerade in kleinen Nonprofitorganisationen sind die Mittel oft knapp, „Leistung von allen zu 120 %“ wird gefordert. Bauliche Barrieren dienen dabei als Vorwand, sich nicht um menschengerechte Arbeitsgestaltung kümmern zu müssen.

Die Erhebungen in Betriebsstätten sollten den Status Quo dokumentieren: „Welche Barrieren diskriminieren Menschen mit Behinderungen?“ und fragten davon ausgehend, „inwieweit sind Unternehmen und NPOs zu Investitionen bereit, solche baulichen Barrieren zu beseitigen?“ Auch der Bedarf an Unterstützung zur Um/Neugestaltung wurde erhoben.

Das Sample

Untersucht wurden aus Zeitgründen nur 14 kleine/mittlere Unternehmungen (ab 25 MitarbeiterInnen) aus den Branchen Telekommunikation, Versicherungen, Reisebüros, NPOs als Dienstleister/Interessenvertretungen. Qualitative Interviews lassen eindeutig Tendenzen erkennen, statistische Aussagen sind auf Grund der geringen Objektzahl nicht möglich.

Das ernüchternde Ergebnis

Fast alle untersuchten Unternehmungen hatten bauliche Barrieren, die die Mobilität von Menschen mit Beeinträchtigungen stark einschränkten. Studienautor Schober bezeichnete sie als „K.O.-Barrieren“: Stiegen, fehlende Handläufe und Aufzüge, zu geringe Türbreiten, keine BehindertenWCs. Die Bereitschaft, nachzubessern, wird freundlich versichert- aber „da sich ja keine ArbeitnehmerInnen mit Behinderung bewerben“, würde vorerst nichts geändert.

Hier beißt sich argumentativ die Katze in den Schwanz: fehlen MitarbeiterInnen mit Behinderungen nicht genau deshalb, weil sich schon beim Vorstellungsgespräch zeigt, dass sie an den angestrebten Arbeitsplatz vorerst gar nicht gelangen könnten? Wieviel an Vorleistung erwarten Betriebe von BewerberInnen, wenn schon die Raumgestaltung ihre Unerwünschtheit suggeriert? Wie und wo bekommen ArbeitnehmerInnen mit Handicap eine Chance, ihren Leistungswillen zu beweisen, bevor in Zugänglichkeit für alle investiert wird?

Die Wirtschaftskammer (WKÖ) zeigt auf ihrer Webseite www.arbeitundbehinderung.at gerne gelungene Beispiele von Integration von Menschen mit Behinderung vor.

Andererseits argumentieren sogar manche BehindertenvertreterInnen selbst gegen den erhöhten Kündigungsschutz – als ob dieser allein Schuld an der zögerlichen Berücksichtigung behinderter BewerberInnen hätte. Dr. F.-J. Huainigg (ÖVP-Nationalrat, selbst behindert) regte in der Diskussion an, den Kündigungsschutz für eine begrenzte Zeit zu flexibilisieren, um zu testen, ob dann mehr behinderte Menschen eingestellt würden.

Ein Vertreter der AK warnte davor, er wollte eher die Ausgleichtaxe für die Nichteinstellung auf das Niveau eines Durchschnittsgehalts anheben. Die Mehrzahl (2/3) der begünstigten Behinderten ist derzeit im Arbeitsleben aktiv, das restliche Drittel sucht Beschäftigung. Pro Jahr werden mehr als 500 Arbeitsverhältnisse von begünstigten Behinderten (gerichtlich) aufgelöst.

Bauliche Barrieren schließen nicht nur die (gar nicht wenigen) Menschen mit Behinderungen aus, sie stellen für alle ein Sicherheitsrisiko dar.

Sinnesbehinderungen kommen im normalen Alterungsprozess auf die meisten Menschen zu: man sieht und hört schlechter, die Geschicklichkeit nimmt ab. Besonders Sozialräume und Fluchtwege müssen in Betrieben auch für behinderte KundInnen und MitarbeiterInnen ohne fremde Hilfe betretbar sein. Leider werden oft nicht einmal diese Vorschriften umgesetzt. ArchitektInnen/PlanerInnen geben vor, keine gehandicappten Menschen zu kennen. Ein Praxislehrgang im Rollstuhl kann da Wunder wirken: die Wiener Linien etwa haben für FahrerInnen der Niederflurbusse Workshops veranstaltet, die die benötigten Hilfen als Rollstuhlfahrer/in selbst erlebbar machten.

Fazit

Bis zur selbstverständlichen Teilnahme am Arbeitsleben ist es für Menschen mit Behinderungen noch ein weiter Weg. Das Bewusstsein, dass nicht ein „behinderter Arbeitnehmer“ das Problem ist, sondern die Gesellschaft mit ihrem Unvermögen, alle zu berücksichtigen, dieses Problem verursacht, beginnt langsam durchzusickern. Zu langsam für BehindertenvertreterInnen, die seit Jahren an der Basis „unten“ auf das Sickerwasser der Mitmenschlichkeit warten.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich