Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für gehörlose Menschen in Wien?

Manfred Schütz (WITAF): Unsere größte Forderung ist natürlich, dass es einen möglichst flächendeckenden Ausbau von Dolmetschangeboten gibt.

Manfred Schütz
WITAF

Im ausführlichen BIZEPS-Interview erläutert Manfred Schütz, stellvertretender Verbandsobmann der Wiener Gehörlosenorganisationen WITAF, vor welchen Problemen gehörlose Menschen in Wien stehen und was der WITAF an Verbesserungsstrategien einfordert.

Der WITAF – und seine Vorläufervereine – existiert seit 1865.

Interview mit Manfred Schütz vom WITAF

BIZEPS: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für gehörlose Menschen in Wien?

Manfred Schütz: Unsere größte Forderung ist natürlich, dass es einen möglichst flächendeckenden Ausbau von Dolmetschangeboten gibt. Z.B. fordern wir schon seit mehreren Jahren eine Koordination der Dolmetschleistungen im Rahmen einer Dolmetschzentrale.

Zudem braucht es Beratungsangebote für z.B. Menschen mit Fluchthintergrund und auch der Bedarf von Kindern und Jugendlichen sollte mehr berücksichtigt werden. So passiert es aktuell, dass gehörlose Kinder nicht am Ferienspiel teilnehmen können, weil vom Veranstalter kein Budget für Dolmetscher:innen eingeplant wurde.

BIZEPS: Wo sehen Sie Problematiken bei Förderangeboten?

Manfred Schütz: Die Kosten für Gebärdensprachdolmetschung müssen bedarfsgerecht bewilligt werden. Förderungsangebote für Personen mit Hauptwohnsitz in Wien müssen gleichwertig sein, ungeachtet der Staatsangehörigkeit.

Wir finden es außerdem sehr bedenklich, dass sich der FSW bei der Übernahme der privaten Gebärdensprachdolmetschung an der Überschreitung des Mindeststandards nach der Wiener Mindestsicherungsgesetz-Verordnung (WMG-VO) orientiert.

Dadurch ergeben sich sehr hohe Kosten, bereits bei mehrmaligen, kurzen Terminen mit einer:m Gebärdensprachdoltmetscher:in. Diese können von einem Großteil unserer Community nicht bezahlt werden. Dadurch folgt, dass soziale Teilhabe nicht möglich ist.

BIZEPS: Was bedeutet die Vorgangsweise der Stadt Wien für die Selbstbestimmung von gehörlosen Menschen?

Manfred Schütz: Unsere Selbstbestimmung und unser Empowerment ist untrennbar mit der Anerkennung der Österreichischen Gebärdensprache (ÖGS) als vollwertige Sprache in allen gesellschaftlichen Bereichen verknüpft.

Ist das nicht der Fall, sind wir ausgeschlossen. Menschen mit Hörbehinderung brauchen Zugang zu Gebärdensprachen, in allen Lebensbereichen, sei es im Bildungswesen, im Privatbereich oder in Kunst und Kultur.

Wo ist in Wien Nachholbedarf?

BIZEPS:  In welchen Bereichen sehen Sie diesbezüglich Nachholbedarf?

Manfred Schütz: Wie wir schon in den vorangegangenen Fragen angemerkt haben, ist das Dolmetschbudget sehr unzureichend. Wir haben schon vermehrt darauf hingewiesen, dass z.B. ein Dolmetschbudget für Kinder und Jugendliche im Privatbereich fehlt. Besonders wenn Eltern hörend sind, steht kein Dolmetschbudget seitens der Eltern zur Verfügung.

Kinder und Jugendliche haben aber ein Recht auf Barrierefreiheit, auch im Privatbereich, sei dies bei Arztbesuchen, bei Kultur oder bei Freizeit- oder Ferienangeboten. Hierbei ist auch darauf zu achten, dass öffentlich angebotene Freizeitangebote barrierefrei sind. Auch im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe sehen wir dringend Nachholbedarf.

Es gibt z.B. keine gebärdensprachkompetente Kontaktperson. Auch die Sozialarbeiter:innen sind nicht für dieses Thema sensibilisiert. Das niedrige Honorarniveau der Kinder- und Jugendhilfe wirkt sich zudem verstärkend auf den ohnehin schon bestehenden Mangel an Gebärdensprachdolmetscher:innen aus.

Die Relevanz dieses Themas ist enorm

BIZEPS: Welche Bedeutung hat die Zugänglichkeit zu Informationen für die Community?

Manfred Schütz: Die Relevanz dieses Themas ist enorm. Um empowert zu sein, muss man über das politische und gesellschaftliche Geschehen Bescheid wissen und seine Rechte kennen. Wir fordern daher, dass politische Veranstaltungen durchgehend in Gebärdensprache zugänglich sind. Dasselbe gilt natürlich für alle Informationssendungungen.

Das hat auch einen anderen positiven Effekt, nämlich den, dass Gebärdensprache vermehrt sichtbar wird und dadurch Menschen außerhalb der Community für das Thema sensibilisiert werden und eventuell auch das Interesse am Erlernen des Berufs der Gebärdensprachdolmetscher:in geweckt wird.

BIZEPS: Was könnte noch für die Verbreitung der Gebärdensprache hilfreich sein?

Manfred Schütz: Den Ausbau von Ausbildungslehrgängen sehen wir als sehr wichtig an. Ausbildungslehrgänge für Gebärdensprachdolmetscher:innen im Raum Wien, Niederösterreich und Burgenland fehlen gänzlich. Es braucht ÖGS-Kurse in vielen Bereichen, wie z.B. für Kinder und Familien, Pädagog:innen oder im Bereich der Frühförderung und der Bildung.

Außerdem soll das Thema Sprachgemeinschaft der Gehörlosen und ihre Kultur auch in andere Ausbildungen des öffentlichen Bereichs einfließen, wie z.B. Polizei, Rettung oder Feuerwehr. Wichtig ist auch, dass entsprechende Angebote durch gehörlose Expert:innen in den jeweiligen Bereichen gestaltet werden.

BIZEPS: Was erhofft sich der WITAF als Interessensvertretung von der Stadt Wien?

Manfred Schütz: Schon 2017 hat eine Befragung gehörloser Menschen in Wien ergeben, dass sie mit ihren Möglichkeiten und Lebenswelten unzufrieden sind. Daraus resultierende Handlungsfelder sind aber leider nicht definiert worden.

Wir als Interessensvertretung hoffen zeitnah auf konkrete Verbesserungsstrategien.

BIZEPS: Wir danken für das Interview!

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